Bengasi. Es war in den ersten Wochen der libyschen Revolution: Telefonchips des libyschen Netzwerkes Libiana waren Mangelware und doch so wichtig für Journalisten. Sie stellten die einzige Möglichkeit dar, innerhalb Libyens zu telefonieren. Nachdem ich in einem halben Dutzend Handyläden in der Rebellenhochburg Bengasi nachgefragt habe, öffnet ein junger Mann spontan sein Handy, holt seinen Chip heraus und sagt: „Nimm ihn, du bist Journalist, du brauchst ihn dringender als ich, unter der Bedingung, dass du ehrlich über alles berichtest, was du siehst.“ Geld lehnt er strikt ab. Eine Gruppe Jugendlicher im Laden applaudiert, nimmt mir den Chip ab und geht damit zur Kasse, um noch Geld daraufzuladen. „Für unsere Revolution“, sagen sie und geleiten mich freundlich zur Tür.
Der östliche, befreite Teil Libyens ist ein journalistisches Paradies. Nach dem Essen in einem Restaurant in der Stadt Tobruk weigert sich der Wirt die Rechnung begleichen zu lassen. „Beschluss der örtlichen Revolutionskomitees“, erklärt er, „ausländische Journalisten essen hier kostenlos“. Dann verabschiedet er sich mit einem „Empfehlen Sie mich Ihren Kollegen“.
Libyen ist journalistisch ein zweigeteiltes Land. Die Kollegen in Tripolis im Westen des Landes sind mehr oder weniger in ihrem Hotel eingesperrt, von dem aus sie in alle Welt in Live-Gesprächen schalten können. Ansonsten sind sie eingebettet in Gaddafis Regime, werden unter Aufsicht dorthin gekarrt, wo man sie haben will. Was die Menschen in Tripolis denken, wissen wir nicht, denn die Zensur arbeitet perfekt. Entweder trifft man sie nur unter Aufsicht oder sie haben ohnehin zu viel Angst, mit einem ausländischen Journalisten zu reden. Selbst wenn Verwandte aus dem Osten sie anrufen, sagen sie nur kurz angebunden, dass alles in Ordnung ist, oder reden vom Wetter, womit derjenige am anderen Ende der Leitung sofort weiß, dass gar nichts in Ordnung ist.
Ganz anders die Szene im Osten. Egal wo man den Notizblock auspackt, überall bildet sich sofort eine Menschentraube: Frei sprechen zu können, das gab es noch nie in Libyen. Alle möchten ihre Geschichten erzählen, von den 42 Jahren, die sie unter Gaddafi gelitten haben, oder den heldenhaften Tagen, als sie seine Truppen losgeworden sind. Soweit die gute Nachricht für Journalisten im befreiten Teil des Landes. Die schlechte ist die mühsame Kommunikation mit der Redaktion. Das Internet ist abgestellt, das Handynetz funktioniert nur innerhalb des östlichen Teils des Landes und das Festnetz arbeitet nach dem Zufallsprinzip. Journalisten brauchen einen Gerätepark, um mit dem Rest der Welt kommunizieren zu können. Dieser Artikel beispielsweise wurde per Bgan-Satellitenanlage übermittelt, deren Antenne am offenen Hotelfenster klemmt, das wiederum im Südwesten liegen muss, damit es den Satelliten anpeilen kann. Dass es kein Internet gibt, hält manche Redaktion allerdings nicht davon ab, entrüstet nachzufragen, warum man die vor kurzem gesendete E-mail nicht beantwortet hat.
Ein Wanderzirkus an journalistischen Abenteurern und professionellen Kriegsberichterstattern zieht jeden Morgen in Richtung Front, die sich je nach Lage von Westen nach Osten oder andersherum verschiebt. Das Problem ist: Auf der einzigen Küstenstraße wissen selbst die Rebellen an den Straßensperren nicht, wo genau gekämpft wird. Sie winken freundlich durch und geben bei Nachfrage den Tipp, alle paar Kilometer bei den entgegenkommenden Fahrern nachzufragen. Funkkontakt mit den vorderen Linien haben sie keinen. Es empfiehlt sich übrigens nicht, auf den Pritschenwagen der Rebellen mitzufahren. Bei manchen kullern nämlich die Handgranaten über die Ladefläche. Auf die Frage, ob das nicht gefährlich sei, antworten sie: „Gott ist mit uns.“ Aber ist er auch mit uns Journalisten?
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 33 bis 33. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.