Kumpanei oder Mittel der Aufklärung?

Es war der 14. Februar 2008. In aller Herrgottsfrüh bringen sich Fotografen und Kameraleute vor einem Kölner Wohnhaus in Stellung, die Objektive wie Zielfernrohre zur Haustüre gerichtet. Dann der vernichtende Moment: Klaus Zumwinkel, damals Post-Chef, wird von Polizisten abgeführt. In Echtzeit gehen die Bilder über die Sender.

Oder die No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa, die kurz vor ihrem Auftritt in einer Frankfurter Diskothek vor laufenden Kameras festgenommen wird. Der Vorwurf: Gefährliche Körperverletzung durch HIV-Infektion beim ungeschützten Sex mit einem offensichtlich Ahnungslosen.

Oder ARD-Wetterfrosch Jörg Kachelmann. Regelmäßig konnte er in einschlägigen Gazetten lesen, was potenzielle Zeuginnen gegen ihn im Verfahren wegen angeblicher Vergewaltigungsdelikte loswerden wollen. Als ob das nicht genug wäre: Den jeweiligen Stand der Ermittlungen durfte er dem bedruckten Zeitschriftenpapier auch entnehmen.

Oder der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss, der aus der Presse erfährt, dass gegen ihn Anklage wegen des Besitzes von kinderpornografischen Bildern erhoben wird. Oder, oder, oder …

Die Auflistung lässt sich fortsetzen – auch mit Betroffenen, denen am Ende die Unschuld amtlich bescheinigt werden musste.

Zeitungen und TV-Anstalten dafür zu kritisieren, läuft zu Recht ins Leere. Die Pressefreiheit ist ein hohes demokratisches Gut und Journalisten holen sich, was sie brauchen. Es sind Allesfresser, die nicht nach den Motiven fragen, warum und wie der Informant die Suppe zusammenrührt, auf der sie „wie Schnittlauch schwimmen“ (Heribert Prantl). Ob sie aufklären, informieren, wachrütteln oder nur die öffentliche Geilheit nach Sensationen befriedigen, ist den meisten am Ende egal. Der Unterschied verwischt. Und im Zweifel fördert es die Karriere.

Was aber ist mit denen, die die Journalisten füttern?

Denen, die sie rufen, wenn Zumwinkel noch schläft und nicht den leisesten Hauch von Ahnung hat, was sich vor seinem Haus abspielt? Was mit denen, die Ermittlungsstände und geheime Vernehmungsprotokolle durchstechen? Denen, die Nadja Benaissa öffentlich vorführen? Es sind beileibe nicht nur prominente Zeitgenossen, die durch diese diskreditierende Informationspolitik vorverurteilt und nicht selten auch in ihrer Existenz bedroht werden.

Wir leben in einem Rechtsstaat und vertrauen darauf, dass der Staat jeden ohne Ansehen der Person schützt – auch wenn gegen ihn ermittelt wird. Und dass ermittelt wird, das kann jeden Tag passieren und jeden treffen. Der Staatsanwalt braucht nur einen Anfangsverdacht – ob es ein mögliches Steuervergehen ist, ein Unfall, eine vermutete Preisabsprache oder schlicht eine Anschuldigung. Blitzschnell schnappt die Falle der gesellschaftlichen Ächtung zu.

Natürlich gilt die Unschuldsvermutung für jeden, der nicht verurteilt ist. Aber das glaubt im richtigen Leben noch nicht einmal der Osterhase. Für Staatsanwälte gibt es keine Vorschriften, wie sie kommunizieren dürfen, nur eine Richtlinie für das Straf- und Bußgeldverfahren. Nach der soll der Staatsanwalt alles vermeiden, „was zu einer nicht durch den Zweck der Ermittlungen bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann“. Wer’s glaubt, darf gerne selig werden. Staatsanwälte halten sich schon lange nicht mehr daran, weil sie wissen, dass ihnen nichts passiert. Und weil sie mit dem Hebel der öffentlichen Wirkung die Verteidigung schwächen wollen.

Auf diesen Humus fällt eine Medienwelt, die steigende Auflagen und höhere Einschaltquoten verlangt. Was daraus erwächst, hat mit Rechtsstaatlichkeit nicht mehr viel am Hut. Die seltsame Kumpanei von Justiz und Medien führt geradewegs ins Mobbing der Beschuldigten.

SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp hat die Stiftung „Pro Justitia“ gegründet, weil er am eigenen Leib erfahren hat, wie rüde die Justiz mit ihm wegen einer haltlosen Anschuldigung umgegangen ist. Es ist auch ein Fingerzeig für eine faire Berichterstattung. Und eine Mahnung, ethische Grundsätze im Journalismus hochzuhalten. So schwer das sein mag.

Merke: Investigativ ist man nicht schon dann, wenn einem der Konfident des Staatsanwalts aus durchsichtigen Motiven die Vernehmungsprotokolle unter dem Tisch zusteckt.

Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 100 bis 100 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.