Reizstoffe der anderen Seite

Ursula Weidenfeld: Herr Inacker, Sie haben mehrfach die Seiten gewechselt: von der „Welt am Sonntag“ zu Daimler, von dort zur FAS und wieder zu Daimler, dann zur „Wirtschaftswoche“ und nun als Kommunikationschef zur „Metro“. Was ist Ihr Beruf?

Michael Inacker: Ich bin Journalist mit einem Entsendevertrag als Kommunikationschef eines Unternehmens.

Warum bezeichnen Sie sich nicht einfach und ehrlich als PR-Mann?

Weil PR zu ungenau ist. Hinzukommt, dass mein Bereich Kommunikation, Politik und Nachhaltigkeitsmanagement der Metro Group umfasst. Ich habe keine Scheu zu sagen, dass es ein guter Weg ist, Unternehmenskommunikation zu machen. Es ist ein Weg, der einem für alles, was man an späterer Arbeit macht, viele nützliche Einsichten bringt. Aber kurz und gut: Ich bin Kommunikationschef.

Was sind denn diese nützlichen Einsichten?

Es ist einfach unheimlich spannend, zum Beispiel ein Unternehmen von innen kennenzulernen und zu verstehen, wie dort die Zusammenhänge funktionieren. Auch, dass man sich in einem Konzern, einem ganz anderen Umfeld, behaupten kann, ist eine Herausforderung. Den Umgang zwischen Wirtschaft und Politik erlebe ich aus dieser Position ebenfalls anders, direkter. Außerdem kann man in einem Unternehmen mehr gestalten und entscheiden. Als Journalist beschreibt man vielfach Entwicklungen, in einem Unternehmen oder auch in der Politik entscheidet man mit. Diese Erfahrung kann ich jedem Journalisten nur empfehlen.

Mitten im Geschäft zu sein ist sicher gut für die Lebenserfahrung und für das Adressbuch. Der Journalismus lebt aber doch davon, dass er Distanz hält, sich nicht gemeinmacht.

Ich habe oft die Seiten gewechselt und wusste jedes Mal, welche Prinzipien wichtig bleiben. Distanz ist wichtig, ja. Aber auch für den Journalisten ist die Dicke seines Telefonbuchs entscheidend. Intelligenz und Telefonbuch sind wichtig. Schließlich: Ich habe genügend reinrassige Journalisten erlebt, die zu nah am Objekt der Begierde gearbeitet haben. Allein die Duzerei im Politikjournalismus spricht Bände.

Seit einigen Jahren flüchten immer mehr Journalisten in Pressestellen von Unternehmen und Verbänden. Das liegt ja wohl kaum an der Suche nach Einsichten, sondern an der Medienkrise und am Geld. Oder ist da noch etwas anderes?

Bevor hier Vorurteile entstehen – Chefredakteure großer Zeitungen verdienen sicherlich nicht schlechter als Kommunikationschefs. Ich will gar nicht bestreiten, dass Geld eine Rolle spielen kann, wenn ein Journalist den Schreibtisch wechselt. Manchmal beruht der Wechsel auch auf nackter Existenzangst, wenn man sich den Stellenabbau im Journalismus anschaut. Doch bei den meisten Seitenwechslern steht Geld nicht im Vordergrund, sondern der Reiz der Aufgabe und eines völlig anderen Umfelds. Allerdings entsteht für den redaktionellen Mittelbau inzwischen tatsächlich eine ungute Entwicklung. Je schlechter es den Medien geht, desto größer wird das Gefälle zwischen dem, was man in der Kommunikationsbranche verdienen kann und dem, was man als Journalist bekommt.

… und um so mehr Spielraum entsteht für die PR-Leute. Das müsste Ihnen doch entgegenkommen.

Nein, eben nicht. Viele Journalisten, die ich erlebe, leiden unter Zeitdruck. Ein Korrespondent muss sich bei mittelgroßen Zeitungen doch um Dutzende Unternehmen parallel kümmern. Da bleibt oftmals nicht die Zeit, um komplexe Fragen zu behandeln. Es schleichen sich Flüchtigkeitsfehler ein. Verlagshäuser kürzen an den Redaktionsetats, und das führt dazu, dass sich viele gute Köpfe aus dem Journalismus verabschieden. Bei mir haben sich in den vergangenen Jahren während der Krise die Bewerbungen aus dem Journalismus gestapelt. Es ist für viele eine große Versuchung, die Seiten zu wechseln. Die Verlage füllen die Lücken dann mit jungen, billigen Kräften, die dann auch noch für mehrere Publikationen gleichzeitig arbeiten sollen. Darunter leidet die Qualität. Ich glaube nicht, dass das gutgehen wird.

Wieso nicht? Junge Journalisten sind doch nicht schlechter als die alten, als Sie und ich.

Sind sie auch nicht. Aber den Redaktionen geht Erfahrung verloren. Sie haben zu wenig Zeit, sich einzuarbeiten und die Sachen zu durchdringen. Und sie lassen sich eher ausbeuten. Eine Redaktion braucht wie ein Unternehmen einen vernünftigen Aufbau aller Generationen. Zeitungen nur mit Nachwuchsredakteuren zu führen, die außerdem in Gemeinschaftsredaktionen mal für diesen Titel, mal für jene Zeitung schreiben sollen, haut nicht hin. Deshalb haben Sie selbst doch auch Ihren Arbeitgeber verlassen.

Aber nicht, weil ich woanders mehr verdienen wollte. Warum machen sich Journalisten zu Söldnern?

Kommunikatoren sind keine Söldner. Sie haben nicht weniger hehre Ziele als Journalisten, sie bleiben der Wahrheit verpflichtet, weil sie sonst keinen guten Job machen können. Wenn Ihre Behauptung stimmen würde, dann würde sich jeder Mensch, der für ein Unternehmen arbeitet, irgendwie verdingen. Dann wäre am Ende jeder ein Söldner, auch derjenige, der für einen Zeitungsverlag oder für einen Sender arbeitet. Wir alle werden für die Arbeit bezahlt, die wir tun. Auch Sie leben als freie Journalistin und Moderatorin von den Honoraren, die Sie von Unternehmen bekommen. Auch Sie stellen sich in einen Dienst.

Nur, dass ich im Zweifelsfall nicht lügen muss.

Woher wissen Sie, dass Unternehmenskommunikatoren im Zweifel lügen? Haben Sie schon mal einen dabei ertappt? Lügen haben kurze Beine. Bei börsennotierten Unternehmen haben Sie umfassende Transparenzpflichten, Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsvertreter in einem mitbestimmten Aufsichtsrat, Börsenaufsicht – wie wollen Sie da lügen? Irgendwann wird alles öffentlich. Wenn man die Unwahrheit sagt, geht das wichtigste Kapital verloren: die eigene Glaubwürdigkeit. Ein Problem gibt es allerdings: Weil Journalisten und Kommunikatoren weniger Zeit für das tiefgehendere Gespräch haben, kann ein Sachverhalt oftmals nicht in Gänze dargestellt werden. Die Kunst des Weglassens bestimmt das beiderseitige Geschäft immer stärker, man streitet dann über Teil-Wahrheiten.

Presseleute werden fürs Weglassen bezahlt, Journalisten dafür, dass sie ohne Rücksichten nach bestem Wissen und Gewissen auswählen.

Tut das jeder Journalist und immer? Mein Eindruck ist eher, dass nicht wenige Journalisten oft so auswählen, dass ihr Bild von einer Sache bestätigt wird.

Gute Journalisten wählen so aus, dass das richtige Bild entsteht.

Dass nur Journalisten im Besitz des richtigen Bildes, der richtigen Wahrheit sind, lehne ich als Arbeitsgrundlage ab. Das habe ich auch für mich als Journalist nicht beansprucht. Ich habe eine Sicht der Dinge, ja – aber die darf ich nicht verabsolutieren. Dann wäre ich Ideologe. Das ist bei einem Unternehmenskommunikator gar nicht anders. Dass wir manchmal zurückhaltend sind oder offiziell keinen Kommentar abgeben, ist ja nicht das Grundmuster unserer Arbeit. Und selbst, wenn ich nicht kommentiere, versuche ich bestimmte Dinge durch das sogenannte „beredte Schweigen“ zu kommunizieren. Dazu müssen beide Seiten – Journalisten wie Pressesprecher – auch zwischen den Zeilen kommunizieren können. Das aber setzt eine gewisse Erfahrung und Glaubwürdigkeit auf beiden Seiten voraus. Und das sind, wie gesagt, knappe Güter.

Sind für Sie gute Journalisten automatisch auch gute Kommunikatoren – und umgekehrt?

Die Kommunikation ist die Schwester des Journalismus. Es gibt vom Prozess her viele Gemeinsamkeiten zwischen der Arbeit eines Journalisten und der eines Kommunikationsmanns. Als Pressemann in einem Unternehmen muss man journalistisch arbeiten. Die Durchdringung eines Unternehmens ist für ihn genauso wichtig wie für einen Journalisten, der kompetent über die Firma berichten will. Auch als Kommunikationsmann muss man schnell Netzwerke im Unternehmen aufbauen, damit man versteht, wie ein Unternehmen fühlt. Ohne das können Sie keine gute
Unternehmenskommunikation machen. Wenn man das nicht tut, wird man irgendwann Schiffbruch erleiden. Dazukommt, dass man ein Gespür dafür haben muss, wie sich ein Thema weiter entwickelt. Allerdings kommen in einem Unternehmen erhebliche Management-Aufgaben und oft lange Abstimmungsprozesse dazu, und die erfordern ebenso eine Führungskompetenz, die nicht jeder Journalist mitbringt. Viele sind ja eher Einzelkämpfer.

Warum sind Sie eigentlich nach Ihrer Zeit bei Daimler wieder in den Journalismus zurückgekehrt?

Der Journalismus hat einfach andere Dinge, die mit Geld nicht aufzuwiegen sind. Zum Beispiel haben Sie die Möglichkeit, die eigene Meinung mit einem riesigen Multiplikator unter das Volk zu bringen. Oder Sie begegnen interessanten Menschen. Ein Interview mit der Bundeskanzlerin zu führen, Personen der Zeitgeschichte in spannenden Zusammenhängen zu erleben oder aus Krisengebieten zu berichten – das sind schon Privilegien. Das sind die ideellen Komponenten des Berufs, die von vielen unterschätzt werden.

Von wem unterschätzt? Ich habe immer gedacht, dass man Journalist wird, um gute Geschichten zu finden, um einfach jede Frage stellen zu dürfen.

Das versteht sich von selbst und ist die Pflicht des Berufes. Ich konnte ja aus den Bürgerkriegen des Balkans oder Somalia berichten. Ich bin heute noch stolz auf die Geschichten, die ich ausgegraben habe: Den Stasi-Verdienstorden von Manfred Stolpe zum Beispiel oder den ersten Kampfeinsatz von deutschen Kommandosoldaten in Afghanistan.

Wie viel Druck darf man auf Journalisten ausüben, wenn man ein anständiger Unternehmenssprecher bleiben will?

… Druck?

Anrufe bei der Chefredaktion, das Drohen mit Anzeigenboykott, Ausladung von Hintergrundgesprächen, wenn ein Journalist unliebsam berichtet.

Journalisten neigen ein bisschen dazu, mimosig zu sein. Wer austeilt, sollte auch einstecken können. Ich finde es nicht falsch, dass man einen Chefredakteur anruft oder ihm schreibt, wenn ein wichtiger Sachverhalt falsch dargestellt wurde – vorausgesetzt, und das ist wichtig, dass man den betreffenden Journalisten darüber informiert. Das würde ich nicht als Druck bezeichnen, so etwas muss man aushalten als Journalist. Wir laden wegen negativer Berichterstattung keinen Journalisten von unseren Pressekonferenzen oder Pressegesprächen aus. Vertrauliche Hintergrundgespräche liegen da etwas anders. Hier gibt es klare Spielregeln für beide Seiten und die setzen Fairness und Glaubwürdigkeit voraus. Hier ist es legitim, wenn ein Unternehmen nicht in einen großen Kreis einlädt und folglich eine Auswahl trifft.

Ist das kein Druck, wenn man besonders kritische Kollegen von Informationen abschneidet und nur die freundlichen weiter bedient?

Bedient werden grundsätzlich alle. Wir haben kein Problem mit kritischer Begleitung durch die Journalisten, auch wenn uns das manchmal wehtut. Und ein guter Kommunikationschef erklärt seinem Vorstand zunächst, was die Hintergründe für die Kritik sind. Ich unterscheide aber schon, ob Kollegen Kritik sachlich oder als Thesenjournalismus betreiben, der die Faktenlage des Unternehmens gänzlich ausblendet und in persönliche Abrechnung ausartet – man also jemanden weg-schreiben will.

Was verstehen Sie als Kommunikationschef denn unter Fairness von Journalisten?

Zunächst einmal das aufzuschreiben, was ist – und nicht, was sein sollte. Dann sollte man meinungsoffen Recherche betreiben, dem Leser möglichst die Meinungsbildung überlassen und ihm keine Meinung vorgeben. Vermengung von Nachricht und Meinung sollte überschaubar bleiben, und ich schätze die Unaufgeregtheit des angelsächsischen Journalismus.

Was würden Sie Ihrem Chef antworten, wenn er sich über einen Journalisten ärgert und von Ihnen einen Anzeigenboykott des betreffenden Mediums fordert?

Ich habe einen CEO, der wie kaum ein anderer die Gesetzmäßigkeiten der Medien versteht und dieses nicht fordern würde. Generell aber würde jedes Unternehmen mit dem Entzug von Anzeigen einen schweren Fehler begehen. Nicht, dass ich das für unstatthaft halten würde. Es gibt keinen rechtlichen Anspruch darauf, dass ein Unternehmen ausgerechnet bei den Medien, die es unfair behandeln, Anzeigen schaltet. Aber ich halte Boykottmaßnahmen für unklug. Das ist kontraproduktiv und kein stilvoller Umgang miteinander.

Inwiefern?

Weil hier nicht mit der Kraft des Arguments reagiert würde.

Was würden Sie als Kommunikationschef niemals tun?

Ich lüge nicht. Ich bespitzele meine Gesprächspartner nicht. Ich lasse keine Telefonlisten auswerten. Ich setze niemanden unter Druck. Das schützt einen natürlich nicht davor, in ethische Grenzsituationen zu geraten. Das passiert einem vermutlich in jedem Beruf. Was die Versuchungen angeht, glaube ich übrigens, dass man als Journalist gefährdeter ist …

… weil es so viele Kommunikatoren gibt, die einen korrumpieren.

Nein, sondern eher weil einige Journalisten dazu neigen, sich selbst zu wichtig zu nehmen und sich als Teil des Getriebes zu begreifen, über das sie zu berichten haben. Da finden schon manchmal Grenzüberschreitungen statt.

Wie meinen Sie das ?

Nähe korrumpiert. Spitzenleute – gerade auch in der Politik – versuchen natürlich Nähe herzustellen, um zu vermeiden, dass man schlecht über sie schreibt. Andererseits kommen Sie als Journalist natürlich bei einem sehr persönlichen Verhältnis an exklusive Informationen und Bewertungen heran. Da ist es schon eine Versuchung, dass man erstens die Distanz aufgibt und zweitens glaubt, dass die zugelassene Nähe der eigenen Person geschuldet ist. Das kann so sein, häufig geht es aber mehr um die Publikation, für die man arbeitet.

Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 72 bis 72. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.