Und was sagen Sie heute dazu?

Die Fragen:

1. Ihr Kommentar zu dem Zitat von damals?

2. Was war für Sie in den letzten 25 Jahren die prägendste journalistische Erfahrung?

3. Welche Entwicklung im Journalismus begrüßen Sie, welche lehnen Sie ab?

Frank Schirrmacher

1/1989: „Die Zeit der Kritikerpäpste ist einfach vorbei.“ (damals Literaturchef der FAZ, seit 1994 Mitherausgeber)

… dazu 2011: Die Prognose scheint eingetroffen. Kritik ist ein kollektives Unternehmen geworden. Es spricht aber einiges dafür, dass die Zeit der Kritikerpäpstinnen erst anbricht.

Die prägendste Erfahrung: Das Internet.

Entwicklung: a) Die neuen Talente, die wir durchs Netz finden. b) Das Fehlen einer ganzen jungen Generation in Print, wenn wir nicht aufpassen.

Monika Zimmermann

4/1990: „Es klingt ein bißchen arrogant, aber was hier im Moment gebraucht wird, ist Führung. Und wir, die Westler, haben eben mehr Erfahrung mit dem freien, selbstständigen Journalismus. Das müssen wir jetzt weitergeben.“ (damals Chefredakteurin „Neue Zeit“, heute: Regierungssprecherin in Sachsen-Anhalt)

2011: Die Einschätzung damals war richtig, wenngleich tatsächlich „ein bisschen arrogant“. Aber, was den Journalismus betraf, musste der Osten in der Tat vom Westen lernen.

Die prägendste Erfahrung: … war für mich die Berichterstattung aus und über die DDR. Später, nach der Wende, war es die Zusammenarbeit mit hoch engagierten ehemaligen DDR-Journalisten.

Entwicklung: Der Journalismus hat leider keine gute Entwicklung genommen. Unter dem Konkurrenzdruck der neuen Medien hat sich das Tempo der Berichterstattung derart beschleunigt, dass die Seriosität auf der Strecke bleibt. Der wirtschaftliche Druck hat außerdem der Boulevardisierung Tür und Tor geöffnet. Dazukommt, dass die Journalisten selbst einen Teil ihrer Freiheit dadurch aufgegeben haben, dass sie sich zu sehr aneinander ausrichten und statt sich in (oft schwierige) Sachthemen zu vertiefen, auf Personaldebatten beschränken, die weniger Sachverstand erfordern. Das Meutenverhalten der Journalisten hat insgesamt zugenommen, was die Attraktivität und Unterscheidbarkeit der Medien nicht gerade erhöht.

Sergej Lochthofen

3/1991: „Für die Leser und auch Redakteure sind Anzeigen und Werbung in der Zeitung etwas völlig Neues. Beide Seiten müssen daran gewöhnt werden, dass das ein wichtiger ökonomischer Aspekt für eine privatwirtschaftliche Zeitung ist. Das heißt,dass ich mich als Chefredakteur auch um den Anzeigenbereich kümmern muss, dass hier die Grenzen zwischen Verleger und Redaktion zerfließen.“ „Als Journalist muss man wohl ein Berufener sein!“(damals Chefredakteur „Thüringer Allgemeine“, heute freier Publizist)

2011: Kein Redakteur streitet heute mehr über den Sinn oder Unsinn von Anzeigen. Kundenorientierung ist heute eher ein Verlagsproblem. Wie sonst ist es zu erklären, wenn flächendeckend Geschäftsstellen der Zeitungen geschlossen werden und der wichtige Direktkontakt zum Leser anderen überlassen wird? Dabei zeigt gerade das Verlagsvorbild Nummer eins, der Tabletmacher Apple, wie wichtig gute Schaufenster und eigene Läden für den Erfolg einer Marke sind.

Journalist ist und bleibt einer der schönsten und aufregendsten Berufe. Doch es läuft etwas falsch, wenn immer mehr gut ausgebildete junge Menschen statt in einer Redaktion, in einer PR-Agentur ihre Zukunft sehen. Das muss niemanden wundern: Fast täglich werden Entlassungszahlen von einst renommierten Titeln gemeldet. Journalisten kommen dabei oft nur noch als Kostenstellen vor. Diesem Negativdiskurs müssen die Häuser selbst begegnen, sonst verspielen sie ihre Relevanz für die Gesellschaft, und der Journalismus sucht sich neue Plattformen, die ohne Druckereien und Zusteller auskommen.

Die prägendste Erfahrung: Eine irritierende Erkenntnis nach dem Mauerfall: Es reicht nicht aus, die Freiheit zu erringen, man muss sie auch verteidigen. Journalisten können ihre kritische Funktion nach außen nur dann erfüllen, wenn sie auch die Freiheit und Unabhängigkeit zur Kritik nach innen haben. Devote Claqueure kruder Verlagspolitik können niemals gute Wächter der Freiheit sein.

Entwicklung: Auch unsere Branche kennt ihre Scharlatane. So geben einige vor, eine Zeitung ohne oder fast ohne Redakteure machen zu können. Die Leser sollen sich das Blatt selbst schreiben und bekommen es dann noch teuer verkauft. Das funktioniert nicht. Journalist ist ein ernst zu nehmender Beruf, wie es ein Ingenieur oder ein Arzt ist. Keiner kommt auf die Idee, ein Krankenhaus ohne Ärzte anzubieten, in dem sich die Patienten selbst operieren.

Claus Larass

12/1998: „Ich glaube, Tageszeitungen sind wichtiger als je zuvor.“ (mit Blick auf neue Medien, damals Vorstandsmitglied Axel Springer Verlag, heute selbstständiger Publizist)

2011: Sind Tageszeitungen wichtiger als je zuvor? Im Moment noch „Ja“, aber es bröckelt gewaltig.

Die prägendste Erfahrung: Wie lächerlich die meisten Konflikte nach ein paar Jahren wirken.

Entwicklung: Wirklich schlimm ist die zunehmende Vermischung von journalistischen Inhalten und wirtschaftlichen Interessen der Verlage. Positiv: Wie das Internet erwachsen wird, ohne seine Spontanität und Lebendigkeit zu verlieren.

Giovanni di Lorenzo

3/2003: „Die Lücke zwischen der Realität unserer Leser und der Realität unserer journalistischen Welt müssen wir verkleinern.“ (damals Chefredakteur des „Tagesspiegel“, heute Chefredakteur „Die Zeit“)

2011: Der Weg bleibt das Ziel.

Die prägendste Erfahrung: Dass wir uns weder im Guten noch im Schlechten vorstellen konnten, wie sich unsere Medien entwickeln würden.

Entwicklung: Was ich begrüße: die Entideologisierung vieler Redaktionen. Was ich ablehne: den Gleichklang beim Hoch- und Runterschreiben von Politikern – und das, obwohl wir in Deutschland so freie und vielfältige Medien haben, wie es sie in kaum einem anderen Land gibt. Eine viel schlimmere Entwicklung aber ist die von Berlusconi erfolgreich betriebene Gleichschaltung eines Teils der italienischen Medien.

Bodo Hombach

6/2003: „Einen Austausch von Artikeln und Kommentaren streben wir aber nicht an. Wir finden es richtig, dass die Blätter eine ganz eigene Charakteristik und in manchen Fragen auch unterschiedliche Haltungen haben. Unsere vier Titel im Ruhrgebiet gäbe es so nicht mehr, wenn sie bei Technik, Druck, Distribution nicht kooperieren könnten. Wir haben damit das, was den Leser und die Gesellschaft wirklich interessiert – nämlich die Meinungsvielfalt – gesichert und gleichzeitig unsere ökonomische Position verbessert. … Die Alternative ist doch, dass Titel verschwinden, weniger Menschen Zeitungen lesen oder dass die Berlin-Berichterstattung nur noch von einem Team für viele Titel gemacht wird.“ (damals und heute WAZ-Geschäftsführer)

2011: Wäre mein Rechenschieber kompromissfähiger, könnte ich kompromissloser sein. Er würdigte mich neuer Erkenntnisse, und die heißen: Sparen macht Sinn, aber nur, wenn man dadurch stärker und besser wird. Das war unter anderen Rahmenbedingungen damals schon meine Haltung und ist es auf erschreckende Weise noch immer. Der Grundsatz „Es ist alles schon gesagt, nur noch nicht von allen“ ist ein Symptom für Überfluss, aber leider auch Verführung zum Überflüssigen. Wenn in den Zeitungen der WAZ-Gruppe ein gemeinsamer Mantelteil aus Berlin, Washington oder Fukushima berichtet, ist das nicht das „Auftragen“ alter Klamotten der großen Schwester, sondern sinnvolles Wohnen im gleichen Haus. Es ist auch nicht die Herrschaft des Globalen über das Lokale. Was stört es den Leser der WAZ, wenn er weiß, dass auch Leser der NRZ diesen Artikel kennen? Den Unterschied machen nicht die Fakten, sondern deren Deutung, nicht das Stück, sondern die Inszenieru
ng. Dort zählen Verlässlichkeit und Klarheit, hier Prägnanz und Konsistenz. Aus Temperament und Charakter entsteht für Leserinnen und Leser das vertraute Gesicht ihrer Zeitung. – Die Forschung gibt uns recht: Das Ausloten sinnvoller Synergien durch das neue WAZ-Modell (gemeinsamer Newsdesk für WAZ, NRZ und WR) hat die Produktqualität nicht beschädigt, es hat die journalistische Kompetenz der Berichterstattung sogar gesteigert. Die strategische Positionierung der Titel bleibt erkennbar – verschiedene Zeitungen einer Gruppe leben im gleichen Haus, aber in verschiedenen Zimmern. Sie teilen sich vernünftigerweise diverse Sachen (Heizkessel, Antenne, Aufzug), bestehen aber auf eigene Blumen am Balkon und persönlichen Geruch in der Küche. Das ewige Rätsel sind die Leser. Zwischen uns und ihnen gilt: Wenn Treue Spaß macht, ist es Liebe.

Die prägendste Erfahrung: das Balkan-Abenteuer. Wir waren zu euphorisch mit unserem Angebot, beim Aufbau einer kritischen Presse nach westeuropäischem Muster zu helfen. In einer so tief verwundeten Region, wo die einen noch immer die Schlacht auf dem Amselfeld gewinnen wollen und die anderen das entstandene Machtvakuum mit mafiösem Clanverhalten besetzen, braucht das zarte Pflänzchen „Demokratie“ sehr geduldige und leidensfähige Gärtner. Eine zweite Erfahrung: die Macht der Transparenz. Sie domestiziert notorische Machtmissbraucher besser als das StGB. Auch die Entwicklung von Zukunft braucht Teilhabe der Betroffenen. Die enorm gewachsene Kompetenz der Bürger in Tateinheit mit den Neuen Medien ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Es ist wie in der Liebe: der Umweg ist die kürzeste Verbindung.

Entwicklung: Ich begrüße den neuen crossmedialen Formenreichtum und ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass global und lokal keine Gegensätze sind. Ich freue mich über jeden Artikel oder Kommentar, der mir im unendlichen Universum hilft, meinen kleinen, blauen Heimatplaneten zu verstehen. Ich stemme widerborstig und unbelehrbar die Hacken in den Sand, wenn Pressure-Groups aus Politik und Wirtschaft die Erkundung (auch Enthüllung) unserer Wirklichkeiten verhindern wollen. Ich bin überzeugt, damit sogar ihre langfristigen Interessen zu vertreten.

Patricia Riekel

6/2000: „Das Problem ist doch, dass die Prominenten die Medien als Image-Verstärker benutzen, aber eine nicht genehme Geschichte mit aller Macht verhindern wollen. … Bei einem Interview werden die Zitate natürlich zur Autorisierung vorgelegt, das finde ich richtig. Wenn Prominente aber alles kontrollieren wollen – den Vorspann, die Bildzeilen und vor allem die Überschrift –, wird es schwierig. Und das passiert immer häufiger.“

1/2004: „Ich bin für eine klare Trennung von Redaktion und Anzeigen. Deswegen bin ich auch gegen diese Inselanzeigen, Pyramiden und Kreise in redaktionellen Texten … Ich bedaure, dass die Chefredakteurskollegen da nur alle für sich streiten und sich nicht zusammentun und gemeinsam überlegen, wie dem Einhalt geboten werden kann.“ (damals und heute Chefredakteurin „Bunte“)

2011: Hier hat sich die Situation eher verschärft. Anwälte, die auf Prominente spezialisiert sind, versuchen immer öfter bereits im Vorfeld Recherchen zu verhindern.

Zum Zitat 2004: Die rasante Entwicklung im digitalen Bereich zwingt auch Printredaktionen die veränderten Marktbedingungen zu akzeptieren. Inselanzeigen, Pyramiden und Kreise werden inzwischen akzeptiert. Auch unsere Anzeigenkunden müssen neue Wege gehen, um Aufmerksamkeit für ihre Produkte zu finden.

Die prägendste Erfahrung: die Verletzlichkeit der Menschen. Viele Prominente brauchen die Nähe zu den Medien. Und es ist schwierig, zwischen der oft erwünschten Intimität und der aber auch notwendigen Distanz zu balancieren.

Entwicklung: Durch die digitalen Medien entsteht mehr Meinungsvielfalt. Wir haben eine neue Form des Mitmach-Journalismus. Jeder kann Informationen verbreiten. Einerseits wird dadurch vieles transparenter, andererseits: Wer redigiert diese Informationen? Wer überprüft die Fakten und den Wahrheitsgehalt? Durch das Internet ist eine neue Kultur des Meinungsjournalismus entstanden, bei der leider oft auch angeprangert und diffamiert wird.

Peter-Matthias Gaede

12/2004: „Ich glaube, dass es eine Konjunktur des Wissenwollens gibt . … Aber wir haben ein natürliches Zeitlimit zu beachten: das Zeitbudget der Menschen. Und die Gefahr der Überfütterung. Bestimmte Magazine werden gerade deshalb geliebt, weil sie nicht allzu oft erscheinen.“ (damals Chefredakteur „Geo“, heute außerdem Aufsichtsrat Gruner+Jahr)

2011: Teil eins halte ich unverändert für richtig. Allerdings mit einer noch toleranteren Definition von Wissen, als ich sie damals hatte. Der Frontverlauf in Libyen oder das Schicksal von Ai Weiwei in China einerseits und andererseits die Frage, ob man fünfjährigen Mädchen die Haare färben sollte, interessieren vermutlich nicht dieselben Menschen. Aber offenbar gibt es ja auch im Lebensbereich Lippenstift für Krabbelstuben-Girlies ein Wissenwollen. Zu Teil zwei meiner Aussage von damals: Wer sich der indianischen Infotropfen-Folter von Twitter und den minütlich aktualisierten Live-Tickern über den Austritt oder Doch-nicht-Austritt radioaktiv verseuchten Wassers vor Fukushima eine Weile ausgesetzt hat, wird nach meiner Überzeugung irgendwann merken, dass es zeitsparender und sogar informativer ist, sich das Material einmal täglich, wöchentlich, monatlich aufbereiten, bündeln, einordnen und analysieren zu lassen. Und außer den Kampf um den Präsidentenpalast in Abidjan in Echtzeit zu verfolgen, hat man ja meist noch einen zweiten Beruf. Ich bleibe also dabei: Viele sehr gute Medien muss es gar nicht im Sekundentakt geben.

Die prägendste Erfahrung: Man kann es als den Wandel vom einfachen journalistischen Schaffen zum komplexen zusammenfassen. Gute Recherche, dann guter Text, gutes Bild (herbeigeschafft via Business Class): fertig war das Blatt. Einstmals. Die Übertragungswege: simpel. Das Deutungsmonopol: aus Marmor. Einstmals. Die Fremdwörter für den Journalisten: Sales Management, Outsourcing, online, Twitter, iPad, restructuring usw. Einstmals. Heute: Chor (nicht immer schwarmintelligent) statt Solo. Der achtarmig erwünschte Journalist, auf dessen Füßen der Kassenverwalter stehen muss. Das Verblassen der Urheberschaft, das Leuchten der Vermarktung. Neues Tempo. Die Synapsen multimedial. Entwertung, Abwertung, Neubewertung. Change before you have to!

Entwicklung: Ich begrüße es, dass neuerdings nicht mehr jeden Tag das Ende des klassischen Journalismus erklärt wird, seit es sich erwiesen hat, dass User Generated Content nicht die Ersatzdroge ist. Ich freue mich über die Kraft vieler guter Medien, die es “trotz allem” immer noch gibt; und ganz in der Nähe auch an Neulingen wie „Beef” und „11 Freunde“ und „GEOmini“. Außerdem begrüße ich all die engagierten, teils bereits erstaunlich guten Absolventen von Journalistenschulen, die es ja offensichtlich nicht lassen können, Journalismus immer noch reizvoll zu finden, selbst wenn sie ohne Netz und doppelten Boden antreten müssen – denn sie haben recht! Und Ablehnung? Vom Bohlen-Boom bis zur Berlusconi-Macht gibt’s Medienerscheinungen, die man ja schlecht ablehnen, höchstens bedauern kann. Wie auch den Herztod einer großen deutschen Tageszeitung.

Medium:Online

Die Original-Interviews von d amals finden Sie unter www.mediummagazin.de, Rubrik magazin +

Tipp: In den nächsten Ausgaben können Sie weitere Zitate von damals mit Kommentaren von heute lesen.

Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 66 bis 69 Autor/en: Umfrage: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an d
ie Redaktion.