Berater oder Hexenmeister

Die Mächtigen haben Respekt � vor ihresgleichen, vor Konkurrenten, vor neugierigen Reportern und neuerdings auch vor Enthüllungsportalen. Von denen könnten sie etwas zu befürchten haben.

Weniger Respekt haben sie vor ihren eigenen Leuten, den Untergebenen. Von ihnen haben sie nichts zu befürchten. Auch deswegen steht der eigene PR-Mann (oder Frau) in aller Regel in der zweiten Reihe � neben anderen dienstbaren Geistern wie Chauffeuren oder Bodyguards. Durch sie schaut der Mächtige einfach hindurch, wenn ihm danach ist. Und sie dürfen mit herabhängenden Mundwinkeln zuschauen, wenn der Chef mit dem angeheuerten Spin Doctor in den Aufzug steigt und nach oben fährt.

Der Spin Doctor, das meint der Chef, ist nämlich wichtig für ihn. Er bezieht kein Gehalt, er verlangt Gagen � Tagessätze zwischen 1.000 und 10.000 Euro, je nach selbstdefinierter Bedeutung der eigenen Person und nach Größe der Aufgabe. Die meisten lehnen diese Berufsbezeichnung ab, sie stört der abwertende Unterton, den die Arbeit der Medienbeeinflussung mit sich bringt. Jobbezeichnungen enthalten schließlich Wertungen über den gesellschaftlichen Rang einer Tätigkeit. Deswegen schmückt sich der Hausmeister heute mit dem Titel Facility Manager, die Putzfrau nennt sich Reinigungsfachwirtin � und der Spin Doctor eben Medienberater.

Ein Etikettenschwindel:

Spin Doctors lassen sich nicht in die Karten schauen, sie suggerieren Einfluss, sie kokettieren mit dem kurzen Draht zu Chefredakteuren und sie versprechen oft mehr, als sie wirklich halten können. Vor allem aber: Sie leben von einer Überhöhung, von einer Aura des Geheimnisvollen. Sie spielen den Hexenmeister, den Zauberer, der dem in Not geratenen Mächtigen die Hand reicht, nicht im Morast einer vermeintlich enthüllungswütigen Medienlandschaft unterzugehen.

Ein solches Angstszenario ist eine gemähte Wiese für den Spin Doctor. Vorstandschefs können sich nicht mehr einfach so äußern, wie ihnen gerade der Sinn steht. Heerscharen von Anwälten wittern ihre Chancen, wenn sich Unternehmensführer im undurchsichtigen Gesetzes- und Vorschriftengeflecht von Publizitätspflichten bis Ad-hoc-Meldungen verheddern. Die Gefahr, mit dem Staatsanwalt in Konflikt zu geraten oder den Aktienkurs in den Keller zu schicken, steckt in jedem unbedachten Halbsatz. Der Hexenmeister mutiert zum Problemlöser, mehr noch: zum Heilsbringer.

Das ist sein Geschäftsmodell. Er kann Botschaften verdeckt in die Medien tragen und muss nicht notwendigerweise zu erkennen geben, für wen er arbeitet. Er kann Gerüchte streuen und Konkurrenten madigmachen. Und er kann Kampagnen organisieren, die Unternehmen nützen, mit denen sie selbst aber nicht in Verbindung gebracht werden wollen, beispielsweise mithilfe von organisierten Gutmenschen: erst die Vogelgrippe und die Erlösung durch das Gegenmittel Tamiflu (Profiteur: Roche), dann die Schweinegrippe mitsamt dem Gegenmittel Pandemrix (Profiteur: GlaxoSmithKline). Tausende Tote wurden jeweils als Apokalypse an die Wand gemalt oder mindestens flächendeckende Gesundheitsfolgen. Nach einigen Wochen war die Welle jeweils abgeebbt, ohne dass Menschen nachweislich daran gestorben wären. Die Chemieriesen aber klatschten sich auf die Schenkel.

Stilles Wasser, das war einmal

Und da liegt der Unterschied zwischen einem Spin Doctor und dem klassischen Medienberater. PR-Strategien erarbeiten, die Questions-and-Answers formulieren, Reden schreiben, die richtige Sitzhaltung bei öffentlichen Diskussionen trainieren und vor dem Auftritt nur stilles Wasser empfehlen � das waren einmal selbstverständliche Aufgaben von PR-Chefs, wenn sie das Vertrauen ihres Herrn hatten. Auch auf unbotmäßige Zeitungsartikel zu reagieren hat der Kommunikationschef zwar als lästige, aber immer lohnende Aufgabe angesehen. Und wenn er mit seinen Künsten nicht zurande kam, hat er eine PR-Agentur oder einen Medienberater engagiert. Zu seiner Unterstützung � nicht als seine Konkurrenz an der Seite des Firmenchefs.

Für Kampagnen an der Grenze zu den guten Sitten brauchte es dagegen schon immer den Mann fürs Grobe, der das Spiel in der Grauzone von Tatsachen und Behauptungen beherrscht.

Den, der mit dem Chef tanzt, den Spin Doctor eben.

Erschienen in Ausgabe 06/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 60 bis 60. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.