Die Besten im Netz

Nach den Kriterien klassischer Journalistenpreise hätten einige der Kandidaten für den diesjährigen Grimme Online Award gar nicht auf der Nominierungs-Shortlist auftauchen dürfen. Auf dem Portal �This is South Africa� berichten Journalistenschüler der Axel Springer Akademie von der Fußball-WM in Südafrika, aber sie waren nicht vor Ort (erwecken allerdings mit dem Untertitel �Live aus dem Social Web� auch gar nicht erst den Anschein). Auch �medien-doktor� betreibt keinen eigenständigen Medizinjournalismus, sondern bewertet, was andere Medienjournalisten auf anderen Seiten schreiben. �Zeit Online� wiederum beschreibt das Bewegungsprofil des Grünen-Politikers Malte Spitz. Aber der interessanteste Teil des Beitrags ist kein erzählender Bericht, sondern im Grunde nur ein roter Kreis, der über eine Landkarte saust und die Aufenthaltsorte des Abgeordneten von Anfang September 2009 bis Ende Februar 2010 verrät.

Trend 1: Kuratieren.

Diese wie auch weitere nominierte Angebote zeigen deutlich, dass innovativer Journalismus im Netz mittlerweile auch andere Aufgaben erfüllt als klassisches Fakten-Reportieren und Analysieren. Für das abgeschlossene Webprojekt �This is South Africa� nutzten die jungen Journalisten Social-Media-Plattformen, um die besten und interessantesten Einträge aus Facebook, Twitter, Flickr und Co. auszuwählen und in einer ansprechenden Darstellung zu präsentieren. Zusätzliche Interviews führten sie per Chat. �medien-doktor� trennt anhand nachvollziehbarer Kriterien die Spreu vom Weizen medizinischer Onlineportale und Berichte. Nicht jeder Journalist recherchiert, ob die Wirksamkeitsstudie zu einer neuen Therapie wissenschaftlichen Kriterien genügt. Gerade im Medizinjournalismus werden die Angaben aus PR-Texten oft ungeprüft übernommen. Deshalb ist ein kompetenter Wegweiser zu vertrauenswürdigem Medizinjournalismus im Netz wahrscheinlich wichtiger als die x-te neue Medizin-Webseite.

Diese Angebote, wie auch das Designblog iGNANT und das Modeblog Les Mads, beide ebenfalls nominiert, stehen für einen neuen Trend im Journalismus: �Kuratieren�, das heißt einordnendes Empfehlen. Ebenso wie ein Museumskurator Werke auswählt, thematisch gruppiert und dadurch Themen und Zusammenhänge betont, sollten sich auch Journalisten und Medien angesichts der immer stärker anschwellenden Flut von minderwertigen und gleichförmigen Inhalten im Netz stärker darauf besinnen, zu finden und sichtbar zu machen, was andere, egal ob Amateur oder journalistischer Profi, an Berichtenswertem bereits veröffentlicht haben. Im Extremfall sortiert sich das Wissen des Schwarms sogar weitgehend selbst: Mit dem �Guttenplag�-Wiki wird nach Wikipedia (Preisträger 2005) erneut eine Plattform nominiert, auf der kollaboratives Wissen sichtbar gemacht wird.

Trend 2: Datenjournalismus.

Zeit Online�, dessen Gesamtangebot im Vorjahr nominiert wurde, will mit seinem Dossier �Was Vorratsdaten über uns verraten� die gesellschaftliche Debatte über die Vorratsdatenspeicherung anregen, was vor allem dank einer exzellent animierten Grafik (in Kombination mit einem linearen Einstiegstext) gelingt. Der nominierte Beitrag zeigt, dass Datensätze in geeigneter Visualisierung in manchen Fällen eine Thematik (hier das Bedrohungspotenzial einer staatlich erzwungenen informationellen Entblößung) eindringlicher vermitteln können als ein linear erzählter Bericht. Und das Dossier zeigt, dass wegweisender Datenjournalismus nicht länger allein eine Domäne der �New York Times� und des britischen �Guardian� ist.

Trend 3: Grenzen verschwimmen.

Natürlich ist der Grimme Online Award kein Journalistenpreis, sondern ein Preis für Qualitätsinhalte im Netz. Unterhaltende oder Wissen und Bildung vermittelnde Webangebote, die nicht von Journalisten stammen, können ebenso nominiert werden wie die Angebote von Medien und einzelnen Journalisten. Es zeigt sich in diesem Jahr aber deutlich, dass die Grenzen zwischen professionellem Journalismus und anderen gestalterischen Berufen verschwimmen. Johannes Klaus ist Fotograf und Webdesigner. Doch was er während seiner Weltreise auf seinem nominierten Blog �Reisedepesche� präsentiert, ist nicht nur visuell erstklassig gestaltet. Klaus versteht es, seine persönlichen und subjektiv geschilderten Erlebnisse in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. So wird aus einem Webtagebuch innovativer Reisejournalismus im Netz. Auch die �Tonspur� von Arte zieht Reisejournalismus neu auf: Autor Felix Zeltner berichtet in seinem Videoblog über Bands, Roadies, Studiotechniker oder Instrumentenbauer in aller Welt, verbindendes Element ist die Musik.

Trend 4: Nutzer involvieren.

Einige beachtenswerte Webprojekte, die in früheren Jahren durchaus Chancen auf eine Nominierung gehabt hätten, wurden in diesem Jahr von der Nominierungskommission schon frühzeitig aussortiert. Keine Frage: Das Netz ist gereift, der Anspruch an Qualität im Netz ist gestiegen und es gibt mehr Webseiten, die diesen gestiegenen Anspruch erfüllen. Nicht mehr die aufwendig programmierten, aber letztlich doch nur passiv anzuschauenden Flashprogramm-Effekte, sondern interaktive und Nutzer involvierende Angebote sorgen für �Wow�-Effekte. Dies gilt in besonderem Maße für �Prison Valley�, eine interaktive Webdokumentation von Arte. Sie zeigt aus vielen Perspektiven, wie eine gottverlassene Region im US-Staat Colorado fast ausschließlich vom Wirtschaftsfaktor Strafvollzug lebt. Auch die Kinderseiten �Wortwuselwelt� und �JoNaLu� aktivieren Nutzer, und zwar die Jungen und die Jüngsten.

Trend 5: Dranbleiben.

Bei einigen Angeboten fragten wir uns als Nominierungskommission: �Warum gerade jetzt, warum nicht schon im vorigen Jahr?� Doch das �Lawblog� von Udo Vetter, das Wirtschaftsblog �Weissgarnix� von Hans Hütt, Frank Lübberding und Thomas Strobl und der Podcast �Was mit Medien� (�WWM�) von Daniel Fiene und Sebastian (�Herr�) Pähler beweisen, dass nicht nur die zündende Idee zu Beginn zählt, sondern manche Idee auch mit der Zeit reift. Alle drei Angebote gibt es schon mehrere Jahre und sie haben sich enorm gesteigert. Dass Fleiß und Engagement sich letztlich wahrscheinlich auszahlen, wenn die Qualität stimmt, beweist nicht zuletzt der Umstand, dass �WWM� nach mehreren Jahren, in denen die beiden freien Journalisten unentgeltlich ihren Podcast weiterproduzierten, nun wieder ein renommierter Kunde für die Marke zahlt: Seit Ende März produzieren Fiene und Pähler im Auftrag von DRadio Wissen auch einen �Was mit Medien-Talk�, live an jedem letzten Samstag im Monat.

Erschienen in Ausgabe 06/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 34 bis 34 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.