Im Krisen-Einsatz

Herr Pleitgen, Sie sind im letzten halben Jahr undercover nach Myanmar und Misrata gereist � wie kamen Sie dort rein?

Frederik Pleitgen: In Myanmar bauten wir darauf, dass sich die Regierung dort nicht ausmalen kann, dass Deutsche für CNN anreisen. Meine deutsche Kamerafrau und ich sprechen deshalb auch bewusst mit deutschem Akzent, geben uns als Touristen aus. Mit sehr kleinem Equipment, sodass man immer noch behaupten kann, man sei nur ein Tourist. Die Beamten am Flughafen halten Ausschau nach angelsächsischen Medien. Auf dem Flughafen war das sehr schön zu erkennen: Sie markieren das Gepäck derer, die sie extra überprüfen, mit einem weißen Kreidekreuz. Das hatten wir nicht. Und nach Misrata sind wir mit einem alten Fischtrawler reingefahren, der unter libyscher Flagge lossegelte und auf hoher See auf die Rebellenflagge umgeflaggt wurde. Die Nato wusste immer, wo wir waren.

Sie waren dann bei den Rebellen embedded. Wie war deren Öffentlichkeitsarbeit?

Das Gute an den Rebellen war, dass die sich zum Ziel gesetzt hatten, Anti-Gaddhafi zu sein. Sie sagten immer: �Wir würden vorschlagen, dass wir da und dort hinfahren, aber wenn ihr das nicht wollt, machen wir das nicht, denn wir wollen euch nicht wie Gaddhafi manipulieren.�

Professionelle PR.

Jein. Die haben seit 40 Jahren Diktatur und von PR keine Ahnung. Aber sie haben westliche Berater, die ihnen die Grundlagen von PR und Marketing beibringen � über Social Media. Auch in Bengasi haben sie schnell dazugelernt. Zum Beispiel, dass sie keine eklatanten Lügen erzählen dürfen. Am Anfang haben sie jede Woche die Meldung herausgegeben �Gaddhafi ist aus Tripolis geflüchtet�, und es war klar, dass das nicht stimmt. Damit haben sie aufgehört, als sie gemerkt haben, dass es nichts bringt, wenn man den Leuten einen vom Pferd erzählt.

Sie haben zwei Kinder. Was erzählen Sie denen über Ihren Job?

Meine Tochter wird fünf, mein Sohn ist zweieinhalb. Ich versuche, das ein bisschen von ihnen fernzuhalten. Ich sage ihnen immer, dass Afghanistan und Pakistan total nett sind, ich bringe ihnen Kleider mit, die kleine afghanische Kinder tragen. Deswegen sagen die immer, dass sie gern nach Afghanistan oder Pakistan wollen. Ich erzähle von Bergen, Ziegen und Kamelen.

Sehen die ihren Vater nicht im Fernsehen?

Schon, aber nur, wenn�s nicht brenzlig ist. Ich versuche, ihnen beizubringen, dass auch ältere Leute falsche Entscheidungen treffen, dass man ihnen nicht immer vertrauen soll, dass Menschen schlimme Sachen tun, dass es den Leuten in Afghanistan schlecht geht, weil sich erwachsene Leute immer noch bekriegen, solche Sachen.

Mit Ihrer Frau reden Sie aber anders darüber.

Anfangs war es für sie sehr schwer. Als ich in den Irak gegangen bin, war das für sie eine relativ harte Zeit. Mittlerweile ist es für sie zur Routine, zum Teil des Daseins geworden. Sie regt sich mehr darüber auf, dass ich lange Zeit und oft weg bin. Ich würde gern mehr Zeit mit meiner Familie verbringen, kriege aber auch schnell Fernweh.

Wie viele Wochen im Jahr sind Sie unterwegs?

2010 war ich etwa zwei Monate in Deutschland. Als meine Tochter ein halbes Jahr alt war, bin ich für sieben Wochen nach Irak gegangen. Danach hat�s zwei, drei Tage gedauert, bis sie mich wieder erkannt hat. Das war schon hart. Mein Sohn ist immer beleidigt, wenn ich abhaue, und redet dann nicht mehr mit mir. Da muss ich dann durch. Aber es würde mich ankotzen, wenn ich nicht fort könnte. Ich wäre total ätzend zu Hause. Meine Frau sagt nach einer Woche im Scherz, es wäre besser, wenn ich wieder weg wäre. Zumal ich auch zu Hause keine so große Hilfe bin. Ich weiß ja nicht, wie der Haushalt funktioniert. Letztes Jahr ging das Wegsein aber schon an meine Grenzen.

Warum machen Sie das?

Ich glaube, dass ich durch die Erfahrungen als Reporter als Mensch sehr gewachsen bin. Wenn man Gebiete kennt, in denen es den Leuten echt dreckig geht, dann merkt man, was man selber hat. Und wenn man an einem solchen Ort selber war, weiß man in dem Augenblick, wo man einen Fuß auf den Boden gesetzt hat, mehr, als wenn man zehn oder 15 Artikel gelesen hat. Wenn man selber mal Angst ums eigene Leben empfunden hat, weiß man andere Sachen mehr zu schätzen.

Oder man stumpft ab.

Glaube ich nicht. Es gibt vielleicht ein paar Journalisten, die den Adrenalinkick brauchen, aber die meisten Leute, die ich aus dem Metier kenne, lieben das Leben schon sehr. Es gibt unter ihnen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Tierschützern. Sie wollen nicht, dass irgendeinem Lebewesen was zuleide getan wird. Das sind keine Leute, die Gewalt cool finden.

Keine Frontschweine?

Frontschweine schon. Die mögen schon diese Härte, da gibt es eine Anziehungskraft. Man will ja auch irgendwie die Geschichte machen, das ist schon ein Abenteuer, da zu sein. Aber gleichzeitig ist einem immer bewusst, dass das, was dort passiert, komplett falsch ist. Man sieht dann die große Weltpolitik in anderem Licht. Wenn man die Reden von Politikern oder sogenannten Wehrexperten liest, denkt man, dass das irgend so ein Schachspiel oder ein Boxkampf ist. Wenn man in einem Krankenhaus jemanden sieht, der einen Durchschuss durchs Gesicht gekriegt hat und nur durch Tuben ernährt wird, weiß man: Krieg ist das Schlimmste.

Denken Sie ab und zu an den Reporter Tim Hetherington, der im April in Misrata umkam?

Relativ oft. Tim Hetherington und sein Kollege Chris Hondros sind an einem Ort gestorben, wo ich vorher auch war. Sie waren mit denselben Leuten unterwegs wie ich auch. Ich musste auch über ihren Tod berichten. Wir waren richtig mitgenommen. Ich kannte die beiden persönlich nicht, aber die Gemeinschaft der Kriegsberichterstatter ist relativ klein. Wir sind wie eine afghanische Familie. Zu der Zeit ballerte die Artillerie in Misrata einfach wahllos überall hin, in Vorstädte, in die Innenstadt. Die beiden waren richtig erfahren, und wir bilden uns gerne ein, dass uns die Erfahrung schützt. Tut sie nicht.

Wann schrillen bei Ihnen die Alarmglocken?

Wir waren zum Beispiel in Misrata unterwegs. Vor uns war ein Platz mit lauter zerstörten Panzern, und wir hörten Schießereien. Da wussten wir schon, dass wir da nicht hinmüssen. Die Rebellen sind dann idiotischerweise auf die Panzer geklettert und haben eine Art Siegesfeier veranstaltet. Sie sind von allen Seiten unter Beschuss genommen worden. Denn grad im Häuserkampf erkennt man die Front nicht. Wir haben die Kugeln gehört: Sie durchbrechen die Schallmauer und danach erst hört man, woher sie gefeuert wurden, da sie ja schneller sind als der Schall.

Wie schützen Sie sich?

Wir arbeiten mit der Sicherheitsfirma zusammen, schon seit vielen Jahren. Das ist eine Fremdfirma namens AKE mit Ausbildungsbüros in Atlanta und England. Wir machen bei ihnen Kurse und gehen dann auch mit ihnen in den Irak oder nach Libyen. Die meisten von denen sind ehemalige englische, australische, neuseeländische Special Forces. Die entwickeln zusammen mit uns Sicherheitskonzepte. Wir beachten die Grundregeln: Dass man in einer Schützenreihe laufen soll, also nicht auf einem Haufen, sondern versetzt, da man sonst das Feuer auf sich zieht und die Schützen nur reinhalten müssen. Und man sollte an den Häuserwänden entlanglaufen, nicht auf der offenen Straße. Man sollte sich von nicht explodierter Munition fernhalten, weil die gern mal in die Luft fliegt. In Libyen haben wir etwas völlig Idiotisches erlebt: Da wurde ein Haus bombardiert, wo angeblich Gaddhafis Sohn drin war. Wir kamen an und sahen eine noch nicht explodierte Bombe da drin. Die libysche Regierung hat erzählt, das wäre eine Bombe aus Zement � warum das irgendjemand geglaubt hat, weiß ich auch nicht. Der Pressesprecher Gaddhafis hat sich draufgestellt und eine Pressekonferenz abgehalten. Später haben sie Kinder dahin geschickt, die so etwas wie eine Pro-Gaddhafi-Demo abgehalten haben, die haben dann drauf gespielt. Das war eine 2.000 Pfund schwere bun
kerbrechende Munition. Wenn sie explodiert wäre, wären im Umkreis von 500 Metern noch nicht mal Fleischfetzen übrig geblieben. Von so was sollte man sich dann, wenn�s geht, fernhalten.

Wie gewinnt man das Vertrauen von Militärs?

Indem man die Waffen, Fahrzeuge und Flugzeuge von denen kennt. Indem man ihre Fachbegriffe benutzt. Indem man weiß, was ein MRAP ist (Mine Resistant Ambush Protected, ein Militärfahrzeug, d. Red.), ein Humvee, was für Gewehre die benutzen, was für Hubschrauber sie fliegen.

Wie groß ist die Konkurrenz unter Kriegsberichterstattern?

Das ist mehr eine Gemeinschaft als eine Konkurrenz, auch wenn man sich gegenseitig anspornt. Wir haben uns schon gegenseitig in Sicherheitsfragen ausgeholfen. Der Wettbewerb zwischen den Sendern ist natürlich noch da, aber keine Feindseligkeit.

Auch nicht mit Al Jazeera? Da kommt zur ökonomischen noch die weltanschauliche Konkurrenz.

Die sehe ich nicht. Vielleicht in den Sendezentralen. Ich hab schon eine sehr gute Zeit mit den Al-Jazeera-Kollegen verbracht. Die meisten Leute in den Kulturkreisen, in denen ich bisher war, wollen das, was wir auch wollen: ein bisschen Spaß haben, eine Familie gründen, sie wollen tun und lassen können, was sie wollen.

Ist die Expansion von Al Jazeera kein Thema?

Davon nimmt man zwar Notiz, aber wenn wir unterwegs sind, reden wir von der Lage in Afghanistan oder im Irak. Und über Quote reden wir eigentlich selten, zumal es im internationalen Geschäft keine Quotenerhebung gibt. Außerdem sind zurzeit wirklich genügend Nachrichten für alle da (lacht).

Haben Sie die Handynummern der Kollegen von BBC und Al Jazeera?

Die von Fox-Kollegen hab ich auf jeden Fall, die liegen in einem Ordner bei uns.

Sie haben für n-tv, ZDF und RTL gearbeitet. Wie unterscheidet sich die hiesige journalistische Kultur von der amerikanischen?

Bei der ARD gibt es ein paar sehr gute Leute, die vorne mit dabei sind, auch Julian Reichelt von der �Bild-Zeitung�, Souad Mekhennet, Matthias Gebauer von �Spiegel Online� oder Antonia Rados von RTL sind extrem gut. Generell halten sich die öffentlich-rechtlichen aber ein bisschen mehr zurück.

Warum?

Ich weiß es nicht genau, aber ich beobachte auch, dass sie nicht ganz so oft ganz so weit vorne sind. Vielleicht ist der Apparat ein bisschen anders, aber dazu kann ich wenig sagen, weil ich nicht so lange drin war.

Was können die deutschen Kollegen von den amerikanischen lernen?

Kurze Entscheidungswege sind wichtig, um schnell auf breaking news reagieren zu können. Gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen dauert das manchmal ein bisschen zu lange. Und die Kollegen könnten versuchen, noch ein bisschen näher dran zu sein.

Und umgekehrt?

Eine sehr gute Frage. Die Deutschen haben eine sehr solide Planung und Verwaltung und überlegen sehr lange, bis sie Entscheidungen treffen.

Was für ein Lob!

Ich glaube, dass die Mitarbeiter von ARD und ZDF irgendwann in die deutsche Botschaft in Kairo evakuiert wurden. Wir haben das nicht gemacht, und das war okay so. Aber ich würde eine solche Entscheidung niemals anzweifeln, wenn sie aus Sicherheitsgründen getroffen wurde, auch wenn ich sie anders getroffen hätte. Und wenn dadurch die Berichterstattung zu kurz gekommen sein sollte, dann ist das halt so. Dann können Sie uns kucken.

Wie lange wollen Sie den Job noch machen?

Keine Ahnung. Lange. Zehn, 15 Jahre? Es gibt Leute, die machen das ihr Leben lang.

War die CNN auch ein Weg, aus dem Schatten Ihres Vaters, des ehemaligen ARD-Vorsitzenden Fritz Pleitgen, herauszutreten?

Nicht so wirklich. Ich hab seine Präsenz nie als Problem empfunden. Ich bin gerne der Sohn von Fritz Pleitgen. Teilweise hatten andere Leute damit Probleme. Früher, wenn ich neu in eine Redaktion gekommen bin, waren manche unsicher, wie sie mit mir umgehen sollen: Manche waren besonders freundlich, andere besonders unfreundlich, weil sie zeigen wollten, dass ihnen meine Herkunft scheißegal ist. Dabei ist es nicht wichtig, woher man kommt: Wenn man ankommt und eine Sonderrolle will, ist man nach einem halben Jahr weg. Man muss von anderen Leuten lernen. Mein Ansatz war immer, dass, wenn man mit einem solchen Namen ankommt, man besonders viel arbeiten muss, um zu zeigen, dass man den Job wirklich will. Und dann interessiert die Herkunft nach zwei Wochen auch niemanden mehr. Das Schlimmste, was mir jemals passiert ist, war eine anonyme E-Mail, als ich bei n-tv war. Irgendwer hat mir über Hotmail geschrieben: �Der Flurfunk spricht: Du bist nur hier, weil dein Papa Fritz Pleitgen ist.� Ich habe geantwortet: �Freut mich, dass mein Erfolg dich ankotzt.� Ich habe nie wieder was von dem gehört.

Erschienen in Ausgabe 06/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 36 bis 39 Autor/en: Interview: Andreas Unger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.