Kernauftrag

Was, glauben Sie, haben Sie mit George Clooney gemeinsam?

Andreas Cichowicz: � (lacht) Ist er eventuell so alt wie ich?

Sie sind beide wie �Panorama� im Jahr 1961 geboren. Mit 50, so heißt es, sollte ein Mann einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut und einen Sohn gezeugt haben �

das habe ich alles schon hinter mir.

Reden wir also über die Herausforderungen: Was sind für Sie selbst die drei wichtigsten?

Die wichtigste habe ich mir nicht ausgesucht: Mit weniger Geld und weniger Ressourcen mindestens dieselbe, wenn nicht bessere Qualität zu liefern. Das ist wahrscheinlich auch die schwierigste Herausforderung, zu der auch eine bessere Vernetzung innerhalb der ARD gehört. Die zweite ist, Prioritäten zu setzen: Wir müssen mehr in Inhalte investieren, weil das unsere Stärke ist. Dazu gehört für mich ganz zentral: Investitionen in Recherche. Und drittens: die Digitalisierung im Fernsehen und das Meistern des technologischen Umbruchs durch eine konsequente Ausbildung für eine Trimedialität.

Die jüngste Reform im NDR � die regionalen Nachrichten um 21.45 Uhr seit Anfang Juni � stößt aber intern nicht allseits auf Gegenliebe. Wie begründen Sie diese Regionalisierung?

Die ARD-Landesrundfunkanstalten haben ihren Ursprung im Regionalen. Wenn die Dritten Programme nicht stark sind und die Zuschauer nicht überzeugen, verspielen die Sender einen großen Teil ihrer Glaubwürdigkeit. Es ist daher Kernauftrag, aktuell zu berichten. Als ich nach Hamburg kam, gab es keine Nachrichtensendungen im NDR-Fernsehen, außer der Übernahme der �Tagesschau� um 20.15 Uhr. Nachdem wir die Nachrichten am Nachmittag etabliert, die 19.30-Uhr-Landesmagazine auch auf das Wochenende ausgedehnt, eine werktägliche 18-Uhr-Regionalleiste eingeführt haben und zudem nun tagsüber vier werktägliche Ausgaben von �NDR aktuell kompakt� in 100 Sekunden senden, war es nur eine Frage der Zeit bis zu eigenen Nachrichten auch am Abend.

Die nun vom Landesfunkhaus Niedersachsen verantwortet werden, nicht aus der Zentrale in Hamburg.

Der NDR ist eine Mehrländer-Anstalt. Unser größtes Mitgliedsland ist Niedersachsen, dort sitzt der größte Teil unseres Publikums. Das sollten die Strukturen auch abbilden. Aus Hamburg kommt deshalb das Überregionale für Norddeutschland und auch das Nationale mit der �Tagesschau�, aus Hannover nun die Abendnachrichten. Ich kann akzeptieren, dass man so dem Standort Niedersachsen im NDR einen höheren Stellenwert verschafft, zumal dort wie in den anderen NDR Landesfunkhäusern auch die regionale Kompetenz verankert ist. Manchen meiner Mitarbeiter/-innen im Zeitgeschehen fällt das schwerer, weil wir erfolgreiche Nachrichtensendungen am Nachmittag gemacht haben und es für uns ein Fingerschnipsen wäre, das auch am Abend zu machen.

Klingt nicht so, als liefe die Kooperation innerhalb des NDR schon reibungslos.

Für eine gute Kooperation müssen wir nicht unbedingt auf einem Campus sitzen. Wir werden uns für die Abendnachrichten austauschen, wie die Landesfunkhäuser uns zu den Nachmittagsnachrichten zuarbeiten.

Befürchten Sie keine Konkurrenz durch das �heute-journal� im ZDF um 21.45 Uhr?

National ist zwar mit dem �heute-journal� das erste Angebot da, aber die neuen NDR-Abendnachrichten sind ja überwiegend regional. Der Norden ist ländlich geprägt, viele Menschen gehen dort bereits früh schlafen. Also kommt nur die Zeitspanne zwischen 21 und 22 Uhr in Betracht. Um 21 Uhr laufen aber bereits Nachrichten in einigen länderangrenzenden Dritten Programmen, das wäre eine Konkurrenz. Außerdem könnten wir dann im Hauptprogramm um 20.15 Uhr keine größere Programmstrecke mehr wie einen �Tatort� senden.

Dennoch bringt das neue Schema einiges ganz schön durcheinander. Sendungen wie �Zapp�, �Panorama � die Reporter� und �Extra 3� wandern auf noch spätere Sendeplätze �

Es stimmt, dass �Zapp� und auch die �Weltbilder� eine Viertelstunde nach hinten rutschen und die Zahl der Zuschauer vermutlich sinken wird. Aber Schemareformen sind ja nicht für die Ewigkeit. �Extra 3� bekommt allerdings einen anderen Sendeplatz � Mittwoch, 22.30 Uhr, testweise im Sommer auch mit einem leicht veränderten Sendungskonzept in Richtung politisches Kabarett am Freitag um 21.15 Uhr. Ich bin sehr gespannt, wie das ankommen wird. Die investigative Doku-Reihe �45 Min� wird künftig sogar eine halbe Stunde früher als bisher zu sehen sein, und die geplanten drei Folgen der neuen Sendung �Panorama Nord� werden zur Primetime um 21.00 Uhr laufen. Auch die �Reportage� bekommt einen früheren Platz. Dass eine Sendung wie �Zapp� als Medienmagazin nicht im Hauptprogramm laufen kann, ist allerdings klar, weil einfach der Zuschauerkreis dafür viel kleiner ist.

Ist die Existenz des einzigen kritischen TV-Medienmagazins im Fernsehen trotzdem gesichert?

Die Sendung wird es weiter geben � da gibt es überhaupt keine Diskussion. Erstens, weil wir damit ein Alleinstellungsmerkmal haben.Zweitens, weil es für das Renommée und die Glaubwürdigkeit der ARD gut ist, dass wir uns kritisch auch mit uns selbst beschäftigen � nicht immer zur internen Freude. Als �Zapp� beispielsweise über den Skandal bei Kika berichtet hat, von dem der NDR ja auch betroffen ist, erhielten wir auch Anrufe von anderen Sendern, wie man denn so was zulassen könne. Die Antwort des Intendanten: �Das ist ja genau der Sinn von, Zapp�. Natürlich werden die das machen. Punkt.�

Als NDR-Chefredakteur sind Sie auch zuständig für den �Weltspiegel�, in der ARD ist aber das Ausland im TV-Bereich streng nach Senderzuständigkeit aufgeteilt. Wie verträgt sich das mit Ihrem Ziel einer besseren Vernetzung?

Es wird Sie überraschen, aber wir sind ziemlich weit gekommen. Bei der Berichterstattung aus Kairo, Libyen und Syrien hat die Kooperation zwischen dem zuständigen Sender SWR und anderen ARD-Sendern wie dem NDR sehr gut funktioniert. Vor zwei Jahren war es noch kaum möglich, Reporter aus anderen Sendern zur Unterstützung zu entsenden. Aber über diese Grenzen, die die starke föderale Aufteilung der ARD setzt, kommen wir zunehmend hinweg, was Reporter angeht. Und auf der technischen Seite haben wir ein Krisenkoordinations-System für logistische Fragen eingerichtet, wie es bei den internationalen Networks längst Usus ist. Die Reporter vor Ort sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren können, und nicht auch noch Bett, Essen und Geld organisieren müssen. Das war eine Konsequenz unserer Erfahrungen in Haiti, die uns jetzt in Ägypten und Libyen, aber auch in Japan zugutegekommen ist.

Dennoch wurde kritisiert, dass die Korrespondenten gerade in der arabischen Revolution nicht nahe genug dran waren.

Unser System hat zweifellos seine Stärke: Wir sind mit vielen Standpunkten auf der ganzen Welt vertreten � im Gegensatz zu anderen, die ihre Leute nur einfliegen. Das System schlägt sich allerdings manchmal selbst. Wenn ein Korrespondent für jede Sendung live geschaltet werden soll, kann er nicht gleichzeitig recherchieren. Ich plädiere daher für klare Schwerpunkte: aktuelle Zulieferungen für die 20-Uhr-�Tagesschau�, �Tagesthemen� und eventuell die 17-Uhr-Ausgabe. Wir müssen die Planungsredakteure besser sensibilisieren, dass nicht jede Sendung von �Morgenmagazin� bis zum �Nachtmagazin� die Korrespondenten live zuschalten möchte. So viele Kollegen, um das sinnvoll zu bedienen, können wir gar nicht vor Ort bringen. Wir müssen den Korrespondenten auch den Freiraum geben, recherchieren zu können, und sie ermutigen, bei gehäuften Anforderungen nach Live-Schaltungen auch mal �Nein� zu sagen. Mich interessiert nicht, wie
viele Berichte ein Korrespondent an einem Tag abgesetzt hat, sondern was er exklusiv berichten konnte. Diese Richtlinie gilt es zu vermitteln.

Was halten Ihre ARD-Kollegen davon?

Das ist eine Systemveränderung, über die wir bereits ausführlich diskutiert haben. CNN oder BBC lassen ihre Reporter nicht in jeder Sendung live auftreten. Mit dem WDR sind wir uns einig, dass das Nachtmagazin nur in Ausnahmefällen exklusiv beliefert wird und sich stattdessen auf die Aufbereitung des Tages konzentriert. Darüber ist Kai Gniffke, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell, natürlich nicht begeistert, aber diese Notwendigkeit zugunsten besserer Recherchemöglichkeiten sieht auch er so. Hinzu kommen die Anforderungen, die die Trimedialität mit sich bringt.

Was verstehen Sie darunter?

Die Korrespondenten der nächsten Generation müssen verschiedene Medien bedienen können. Darauf achte ich schon heute bei der Besetzung der Studios. Ariane Reimers in Peking zum Beispiel kann selbst drehen, schneiden, eine Satellitenverbindung aufbauen und sie bloggt auch noch. Aber auch die Struktur der Studios wird sich ändern müssen: In Stockholm setzen wir gerade ein trimediales Studio auf, das Hörfunk, Fernsehen und Internet besser integriert und zeigen wird, wie die Korrespondenten in Zukunft arbeiten werden. Damit sind wir in der ARD vorne.

Stefan Raue wird beim MDR ab 1.11. sogar den Titel �Trimedialer Chefredakteur� tragen. Warum gehen Sie nicht mit gutem Beispiel voran?

Ich lege nicht so viel Wert auf Titel, sondern darauf, dass es im Alltag zur trimedialen Integration kommt. Stefan Raue hat eine große Herausforderung angenommen, weil er beim MDR mit seinen weit verteilten Standorten erst mal die Grundlagenstruktur dafür schaffen muss. Beim NDR sind wir da weiter, auch wenn wir zwei verschiedene Standorte in Hamburg für Hörfunk und Fernsehen haben und Online dem Hörfunk zugeordnet ist, aber vom Bewegtbild lebt. Ohne Flexibilität und besseres vernetztes Arbeiten kann man heute nicht mehr gewinnen. Ich habe meinen Bereich so organisiert wie eine Waage, wo das Wasser mal von links nach rechts schwappt, dann wieder andersherum. Je nachdem, wo gerade besonders Bedarf ist, werden Kräfte eingesetzt. Und wir arbeiten gerade an einem �Newsroom� zur Koordination der Themen und Ausspielkanäle, statt das wie bisher über vier verschiedene Redaktionen abstimmen zu müssen.

Wie soll das aussehen?

Ende des Jahres werden wir einen Newsroom für alle nachrichtenproduzierenden Einheiten � regionale ebenso wie für die ARD � innerhalb der Fernsehdirektion einrichten. Außerdem wollen wir dort ein �Content-Center� schaffen, das sich z. B. um Social Media und verschiedene Bildquellen kümmert.

Hat die arabische �Facebook�-Bewegung eine trimediale Kompetenz forciert?

Dort wurden die Kompetenzen gebraucht, aber das ist eher eine zwangsläufige Entwicklung: Wir brauchen mehr Reporter-Journalisten, die selbst filmen, schneiden und Internet-Quellen auswerten können, die also auch im aktuellen Krisenfall handlungsfähig bleiben.

Der HR arbeitet ja schon lange mit VJs. Ist das ein Vorbild für Sie?

Die Ausgangsvoraussetzung war eine andere: Der HR hat VJs aus Spargründen eingeführt. Die Praxis hat inzwischen gezeigt, wo VJs sinnvoll eingesetzt werden können und wo nicht. Für den Alltagsbetrieb sind sie kaum tauglich. Ich will nicht, dass sich jemand bei einer Pressekonferenz mehr mit der Technik als mit seinen Fragen beschäftigen muss. Man sieht ja, wohin das führt: Jemand hält ein Mikro hin und fragt nur noch �und?�. Bei uns war immer klar, dass VJ kein Sparinstrument sein kann.

Wo also sehen Sie sinnvolle Möglichkeiten für VJs?

Das kann hilfreich sein in Situationen, in denen ein großes Team stört, wenn es um eine besondere Nähe zu den Gesprächspartnern geht. Oder beispielsweise bei �Panorama � die Reporter�, wo möglicherweise auch verdeckt gearbeitet werden muss. Aber Sie können sich nur so schnell bewegen, wie der Tanker fährt. Und ein großer Tanker dreht nicht so schnell bei. Also lassen wir hier viele kleine Beiboote zu Wasser.

Soll künftig jeder NDR-Reporter auch als VJ arbeiten können?

Nein, nicht jeder muss alles können. Wir schulen etwa 10 bis 15 Prozent der Mitarbeiter in Videojournalismus, auch auf Produktionsseite: Wir brauchen in Zukunft mehr Mediengestalter, die nicht mehr nur als Cutter arbeiten. Trimediales Arbeiten ist keine Frage des Alters, auch ältere Kollegen haben daran Spaß. Ein Berufsanfänger sollte aber mit der Technik und Internetquellen umgehen können, bei einer engen Auswahl würde diese Zusatzqualifikation immer den Ausschlag geben. Übrigens auch bei der Frage, ob jemand ins Ausland darf. Nehmen Sie nur mal die Ereignisse in der arabischen Welt: Eine Revolution, die per Facebook organisiert wird, ist schwer abzubilden im klassischen Fernsehen. Kenntnisse im Umgang mit Social Media gehören heute einfach dazu.

Nutzen Sie selbst Facebook und Twitter?

Nein. Wenn ich Reporter wäre, würde ich mir einen Account zulegen. Ich halte nichts von einer Diktatur der Transparenz. Es gibt nicht so viel, das ich twittern wollte, das für den Rest der Welt interessant wäre. Und ein eigenes Blog zu pflegen bedarf viel Zeit. Mich beunruhigt aber die generelle Entwicklung.

Inwiefern?

Für junge Leute wird immer wichtiger, wie über Facebook und Twitter Themen oder Ereignisse im Freundes- und Bekanntenkreis kommentiert werden. Und wer sich daran gewöhnt, in kurzen Botschaften zu denken, dessen Aufmerksamkeitsniveau ist relativ niedrig. Diese Entwicklung gefährdet das Muster der klassischen Information � da, wo wir stark sind. Wir werden uns diesem Trend nicht entziehen können. Nachrichtenbeiträge, Schnitte werden zwangsläufig kürzer. Und wir kommen nicht drum herum, stärker im Internet präsent zu sein.

Sollen Ihre Reporter künftig verstärkt bloggen?

Bloggen soll nur, wer eine Meinung hat.

Sie haben also nicht so viele Leute, die eine Meinung haben?

Wenn man was zu sagen hat, ist es gut. Auch in besonderen Situationen, wie der Katastrophe in Japan. Aber ansonsten können wir damit in der Regel keine Duftmarken setzen. Bloggen dient der Markenbildung für herausgehobene Reporter. Bei uns zählt aber die Breite und Teamarbeit.

Wo setzen Sie Schwerpunkte?

Bei gutem recherchestarken Personal und Vernetzung. Wir haben mehrere Hunderttausend Euro für Recherche-Formate wie �Panorama � die Reporter� bereitgestellt �

Wie viel davon gehen für Rechtskosten drauf, wie im Streit mit Carsten Maschmeyer?

Wir haben mehr Aufwand, aber nicht nennenswert höhere Kosten � weil wir ja die allermeisten Verfahren gewinnen. Außerdem geht dieses Geld nicht von unserem Programmetat ab. Was die Schwerpunkte betrifft: Wir haben auch einen zweiten Korrespondentenplatz in Peking eingerichtet, weil die Achse USA-China geopolitisch beherrschend sein wird. Und wir wollen die Vernetzung zwischen meinem Programmbereich, dem Programmbereich Kultur mit den Dokumentationen und dem Hörfunk stärker fördern über gemeinsame Projekte. Dafür stellen wir zusätzliches Geld bereit. Eine bessere Kooperation über Teambildung von guten Reportern aus den verschiedenen Bereichen halte ich für sehr wichtig, ebenso die Förderung von Recherchekompetenz. Auch da müssen wir neue Wege gehen. Warum beispielsweise gibt es keine Wikileaks-Plattform im Fernsehbereich? Das sollte auch möglich sein. Wir prüfen deshalb zurzeit, wie wir selbst eine solche Plattform anbieten könnten.

Ein Wikileaks fürs Fernsehen?

Ja, so etwas Ähnliches. Aber dafür brauchen Sie eine Struktur, die das Know-how für Recherche, Investigatives und Aufbereitung des Materials bereitstellen kann. Für uns allein wäre das sicher zu aufwendig, der �Spiegel� hat viel mehr Leute. In meinem Bereich Zeitgeschehen arbeiten 100 Festangestellte und rund 150 fes
te Freie � die aber rund 240.000 Sendeminuten im Jahr produzieren.

Der ARD muss es doch möglich sein, ein paar Leute dafür zur Verfügung zu stellen?

Vielleicht fangen wir kleiner, regional an: im Sendebereich des NDR gibt�s bestimmt jede Menge an Material, für das wir eine Plattform bieten sollten. Und langsam wächst die Erkenntnis, dass nicht fünf Redaktionen zu demselben Thema recherchieren müssen, sondern übergreifende Teams Schwerpunktthemen für die verschiedenen Kanäle besser gemeinsam aufbereiten können. Wir wollen zudem unsere Marken stärken durch weitere Ableger von Erfolgsformaten � wie mit �Panorama � die Reporter� oder �Panorama Nord�.

Sie meinen ein regionales �Panorama�?

Das testen wir jetzt. Die Strategie mit Markenfamilien funktioniert im Verlagswesen seit Jahren grandios, im Fernsehen aber wird das kaum praktiziert. Meine Kollegen in der ARD haben mich schräg angeguckt, als ich von den Plänen eines �Panorama�-Ablegers für das NDR-Fernsehen berichtet habe. Aber ich halte diesen Weg für richtig � und machbar auch für andere Programm-Marken.

Für welche zum Beispiel?

Nehmen Sie �Visite� � ein hoch angesehenes Gesundheitsmagazin mit 8,7 Prozent Marktanteil, mehr erreicht keine Nicht-Unterhaltungssendung. Daraus ist bereits, wenn auch mit anderem Namen, der Ableger �Abenteuer Diagnose� entstanden, eine spannende Sendung, in der Menschen erzählen, wie Ärzte ihren Krankheiten auf die Spur gekommen sind. So kann man Marken-Leuchttürme bauen.

Sollen die Leuchttürme auch Apps zieren, wann gibt es eine �Panorama�-App?

Die Diskussion ist noch nicht zu Ende geführt. Wir müssen also abwarten.

Wie weit geht eigentlich Ihre Bereitschaft zur Kooperation mit den Verlagen: Würden Sie auch Material der Printhäuser statt eigener Inhalte übernehmen?

Ich könnte mir schon vorstellen, das mal zu testen. Wir würden ja gerne kooperieren, das hat mein Intendant klar gesagt. Ich verstehe ja die Position der Verlage, die für ihre Internetangebote Geld generieren müssen. Allerdings sind die klassischen Informations-Inhalte der ARD-Produkte da wohl kaum eine Konkurrenz. Das größte Interesse im Internet besteht doch an Unterhaltung und nicht an Informationen, erst recht nicht an Informationen, für die man bezahlen muss.

Aber auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mangelt es ja wahrlich nicht an Unterhaltung. Gehört eine stundenlange Übertragung einer Adelshochzeit zum Kernauftrag?

Wie definiert man Kernauftrag? Der Kern des Kerns ist eindeutig die Information. Aber zum Kern gehören auch �Bildung, Beratung und Unterhaltung� sowie �Beiträge insbesondere zur Kultur�, so steht es im Staatsvertrag. Und ich behaupte, wir sind da gut. Dank der NDR-Zuständigkeit für Skandinavien und Großbritannien fällt nun mal die Royal-Berichterstattung weitgehend in �mein Gebiet�. Man kann darüber diskutieren, ob die Parallel-Übertragung in ARD und ZDF nötig war, die Kritik daran verstehe ich. Aber dann soll doch derjenige die Berichterstattung einstellen, der als Zweiter über die Ziellinie läuft. Wir haben dieses Genre eingeführt � mit Erfolg, wie ja auch die jüngste Quote gezeigt hat. Und ein Ereignis wie die Hochzeit in London ist ja nicht alltäglich. Wenn die ARD bei so einem globalen Medienereignis nicht mehr dabei wäre, würden wir international doch nicht mehr ernst genommen. Neben uns in der Reporter-Box hat ja selbst al Dschasira live gesendet.

Gehören auch Talkformate und die neue Multi-Talkschiene zum Kern des Sendeauftrags?

Dass wir dem politischen Diskurs bzw. der Diskussion gesellschaftspolitischer Fragen mehr Raum geben, finde ich grundsätzlich gut. Gerade Politiker/-innen bemängeln immer wieder, dass dafür zu wenig Zeit bleibt. Wichtig ist, dass wir es schaffen, die Formate gegeneinander abzugrenzen � das ist eine Herausforderung! Schwieriger waren und sind die Folgen für das ARD-Schema. Medienjournalisten sehen das kritisch, die Zuschauer entscheiden sich aber immer öfter für unsere Talksendungen. Nehmen Sie die eher zeitlose Runde von Anne Will zu �Mobilität� am 27. Mai. Über 14 Prozent Marktanteil und das gegen ein Länderspiel der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Und wie halten Sie es mit der Frauen-Förderung, sind Sie ein Freund der Quote?

Ich habe zwar zurzeit leider keine weibliche Abteilungsleiterin. Dafür sind die Chefsessel der Studios in Washington, London, Peking und Stockholm alle mit Frauen besetzt. So viel Anteil hat kein anderer Sender. Also, da stehen wir doch sehr gut da.

Man könnte auch sagen: die Frauen so weit weg wie möglich.

(lacht) Nein, die wollten ins Ausland. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf keineswegs nur ein Thema für Frauen ist. Ich habe selbst vor zwei Jahren Elternzeit für zwei Monate genommen, eine super Erfahrung. Das war, glaube ich, auch ein gutes Signal an die Kollegen. Und wir haben beim NDR ein Maximum an Teilzeit-Möglichkeiten � von 18 bis 81 Prozent Arbeitszeit. Ich halte das für enorm wichtig mit Blick auf die Zukunft: Die Leute müssen heutzutage so lange arbeiten, dass man ihnen zwischendurch auch Zeit für die Familie einräumen muss. Solche Unternehmen, die die Möglichkeiten dazu bieten, werden immer attraktiver werden. Und meine Erfahrung ist, dass das die Mitarbeiter besonders motiviert. Also wenn ich mir ansehe, wie bei anderen Medienunternehmen über Frauenquote, Frauenbeteiligung oder allein schon Elternzeit diskutiert wird � (schüttelt den Kopf)

Welche Qualifikationen zählen für Sie? Ist ein Volontariat ohne Studium, wie Sie es selbst gemacht haben, heute noch möglich?

Kaum noch. Aber eigentlich spricht nichts gegen diesen Weg. Ob Sie ein guter oder schlechter Journalist werden, hängt schließlich nicht davon ab. Der Vorteil eines Studiums ist, dass man systemisch denken und strukturiert arbeiten lernt � mit Zeit, sich länger intensiv mit einem Thema zu beschäftigen. Das musste ich mir hart erarbeiten. Die Kehrseite ist die Gefahr einer allzu starken Akademisierung des Berufs. Ich achte deshalb darauf, dass bei der Volontärsauswahl auch Leute mit ungraden Lebensläufen eine Chance haben: Wir brauchen kreativen Nachwuchs, der auch quere, eigene Ideen einbringt. Das müssen wir fördern. Und zugegeben: Ich habe eine Schwäche für Leute ohne Studium.

Lesetipp zum Jubiläum 50 Jahre �Panorama�:

Anja Reschke, �Die Unbequemen. Wie Panorama die Republik verändert hat�, Redline Verlag 2011, 219 Seiten

Erschienen in Ausgabe 06/2011 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 22 bis 24 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.