Von Stefan Niggemeier
Vielleicht liegt es daran, dass Journalisten so oft die Folgenlosigkeit ihrer Arbeit erleben, dass sie es sich nicht vorstellen können, tatsächlich sensationell durchschlagende Wirkung haben zu können. Vielleicht wollen sie es deshalb einfach nicht wahrhaben: Berichte über Suizide erhöhen die Zahl der Suizide.
Schon dieser Werther-Effekt wird angezweifelt, obwohl er wissenschaftlich gründlich belegt ist. Und ein journalistisches Selbstverständnis, das sich dem Veröffentlichen von Informationen um jeden Preis verpflichtet sieht, sträubt sich dagegen, aus diesem Befund Konsequenzen zu ziehen.
Dabei gibt es klare Empfehlungen, zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, wie die Gefahr von Nachahmern reduziert werden kann (siehe Linktipps). Dazu gehört, Abschiedsbriefe nicht zu veröffentlichen, die Methode und den Tatort nicht detailliert zu nennen und den Suizid nicht als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion darzustellen.
Es muss gar keine Sensationslust sein, die Journalisten dazu bringt, diese Regeln zu verletzen. Im Hamburger Abendblatt erschien im Juni die Besprechung eines Buches von einem Reporter, der sich kurz zuvor das Leben genommen hatte. Der Rezensent schrieb aus der Perspektive eines Freundes und konnte es trotzdem oder gerade deshalb nicht lassen, wie nebenbei Details über die Art und den Ort des Todes zu nennen. Details, von denen die Eltern des Toten gebeten hatten, sie nicht zu nennen. Details, die für das Verständnis des Textes und des Verstorbenen völlig überflüssig waren. Immerhin: Die Online-Version des Artikels wurde nachträglich entschärft.
Viele Berichte über den Torhüter Robert Enke und seinen Tod 2009 mögen in bester Absicht verfasst worden sein und trugen dennoch möglicherweise dazu bei, dass in der Folge die Zahl der Selbsttötungen dramatisch zunahm: um 15,5 Prozent im selben Monat. Die Zahl der Menschen pro Tag, die sich von einem Zug überrollen ließen, hat sich laut Bahn wochenlang verfünf- bis versechsfacht. Aber auch das trug nicht zu einem Umdenken, nicht einmal zu einem Innehalten bei.
Als sich der über Jahrzehnte als Playboy gefeierte Gunter Sachs im Mai erschießt, weil er Angst davor hat, möglicherweise an Alzheimer erkrankt zu sein, schreibt Bild: Er stirbt, wie er lebte: aufrecht und selbstbestimmt. Der Nachruf in Bunte trägt die Überschrift Ein Mann mit Charakter bis zum bitteren Ende! und ist voller Verständnis: Die Aussicht, nach und nach seine intellektuellen Fähigkeiten und seine Autonomie zu verlieren, muss für einen Mann, der so ein reiches, erfülltes Leben geführt hat, unerträglich gewesen sein. Der stern bewundert Sachs dafür, dass er die vermeintliche Erkrankung selbst diagnostiziert hatte, und meint: Einer, der so stark gelebt hat, war sich am Ende wohl einen starken Abgang schuldig. Der wollte nicht randlos in Dunst aufgehen, sich selbst verlieren und langsam aus dem Sinn gleiten.
Sie überhöhen Gunter Sachs bis in den Tod. Ihre Texte lesen sich fast wie Empfehlungen an Alzheimer-Patienten, doch denselben Weg zu gehen. Dabei muss man sich kein Urteil über Gunter Sachs höchst persönliche Entscheidung anmaßen, um in seinem Suizid Zeichen der Schwäche, nicht der Stärke zu sehen. Experten erklären, dass es oft keine abgeklärte Bilanz ist, die Menschen dazu bringt, sich das Leben zu nehmen, sondern ein gefährlicher vorübergehender Tunnelblick in einer depressiven Phase. Zweifelhaft ist auch, inwieweit eine Selbstdiagnose, wie sie Sachs getroffen haben will, überhaupt möglich ist.
Lässt man das ganze gefährliche Medien-Pathos weg, bleibt die nüchterne Feststellung, dass Sachs Tat offenbar nicht ganz untypisch ist für Männer über 70 so der Frankfurter Professor Harald Hampel: Sie würden sich bei der ersten großen Schwierigkeit nicht mitteilen oder zum Arzt gehen, sondern gleich zu harten Methoden wie dem Selbstmord greifen. Man muss ihnen helfen.
Die Männerzeitschrift GQ dreht das um: Warum nur Männer Gunter Sachs verstehen, steht auf dem Cover. Sie verhandelt den Suizid von Sachs unter der Rubrik COACH / Mannsein. Es war ein männlicher Selbstmord, stellt der Autor anerkennend fest. Ein Mann, ein Schuss, und tot: Voilà, un homme de style! Sachs sei einen Rock-n-Roll-Tod gestorben. Ein sauberer Selbstmord, sagen die guten Leute, das passt zu diesem Mann, der lebenslang über sich verfügen konnte und es auch tat, um am Ende, als es keinen Spaß mehr machte, in Würde abzutreten.
Nach endlosen Zeilen, in denen der Suizid verklärt und der Selbstmörder heroisiert wird, lautet der Schluss: Die Konsequenz aus Sachs Tod sei nicht unbedingt (sic!), so zu sterben wie er, sondern ein bisschen so zu leben wie er. Immerhin hat der Autor sich nicht getraut, seinen Namen unter den Text zu setzen. Da steht nur ein Pseudonym.
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Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 65 bis 65. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.