Das Foto aus dem Weißen Haus, während der �Aktion Geronimo� aufgenommen, ging um die Welt: Präsident Obama starrt zusammen mit hohen Militärs und der Außenministerin Hilary Clinton gebannt auf einen riesigen TV-Screen und verfolgt die Erschießung des Top-Terroristen Osama bin Laden im pakistanischen Abbottabad, die von einer unbemannten Drohne übertragen wurde. Hohe Politik und Hightech-Medien inklusive einer �Big Brother�-Überwachungsmaschinerie sind hier zur Symbiose verschmolzen.
Wie hätte der kanadische Medien-Guru Marshall McLuhan (1911-80), der schon vor 50 Jahren über die Veränderung unseres Lebens durch die modernen elektronischen Medien spekulierte, dieses Foto gedeutet? Kann man das Bild als Indiz dafür werten, dass �das Medium die Botschaft ist�, wie seine bekannteste These lautete? Oder dafür, dass die Entwicklung hin zu einem globalen �Medien-Dorf� unaufhaltsam ist, weil wir mit den global präsenten Medien einen Schritt zurück zu einer Stammeskultur machen, in der das gesamte Wissen wie vor der Erfindung des Buchdrucks nur noch mündlich überliefert ist? Von einer Instrumentalisierung der neuen Medien für mehr Aufklärung (man denke nur an die �Twitter-Revolution� in Nahost) könne keine Rede sein: �Wir formen unser Werkzeug und danach formt das Werkzeug uns� hatte der Prof aus Toronto in seinem apodiktisch-deterministischen Stil festgestellt. Eine differenzierte Nutzung von Print, TV, Radio und PC konnte er sich offenbar nicht vorstellen.
Gegen Verdummungseffekte
Mit �The Gutenberg Galaxy� (1962) und �Understanding Media� (1964) erregte er so großes Aufsehen, weil sich bis dahin niemand so konsequent mit den neuen Medien auseinandergesetzt hatte wie der 1937 zum Katholizismus konvertierte Professor für englische Literatur. Er wetterte gegen die Verdummungseffekte der multimedialen Massenkultur. Die Faszination neuer Medien wollte der konservative Schöngeist nur verstehen, um nicht in einem Strudel von Ignoranz und Indolenz unterzugehen; daher wäre es grotesk, ihn als Apologeten der Post-Gutenberg-Ära zu bezeichnen.
Nur: Wo bleibt bei seiner Fixierung auf die mediale Form eigentlich der Inhalt? Ist es wirklich irrelevant, wie McLuhan behauptete, ob wir �Das Kapital� lesen oder �Mein Kampf�? Ist der �Gutenberg-Faktor� und dessen lineares Denkmuster wirklich so prägend, dass man die beim Lesen vermittelten Inhalte ignorieren kann? Es verhalte sich wie mit dem �Stück Fleisch, das ein Einbrecher für einen Bruch mitschleppt, um den Wachhund abzulenken�. Der moderne �Gutenberg-Mensch� habe mit dem Buchdruck auch ein lineares Denken internalisiert, das auf Klassifikationen und Systematisierungen fixiert sei, was im lateral operierenden elektronischen Zeitalter antiquiert sei. Da McLuhan fast alle gesellschaftlichen Aspekte auf diese mediale Schiene reduzierte, kam er dann zu Urteilen wie: �Die Leute lesen eigentlich gar nicht die Zeitung, sondern sie steigen jeden Morgen in sie ein wie in ein heißes Bad�. Der amerikanische Bestseller-Autor Douglas Coupland (�Generation X�) hat nun einen biografischen Essay über McLuhan veröffentlicht, in dem er versucht, sich der sprunghaften Denkmuster des Medien-Meisters mit einem ähnlich unsystematischen Dreh anzunähern. Er stellt McLuhan-Weisheiten in den Raum, die sich bei näherer Betrachtung nur als hübsch schillernde Seifenblasen entpuppen. �Ihm ging es meistens nur um eine hohe Aufmerksamkeits-Quote, denn der Medien-Hype war Balsam für ihn�, meint Coupland. Fazit: Der Prophet aus Toronto hat sicher für etliche Denkanstöße über die Auswirkungen der neuen Medien gesorgt, aber auch viel heiße Luft produziert. Peter Münder
link:tipps
Offizielle McLuhan-Seite: http://marshallmcluhan.com
Video-Interviews mit McLuhan:
http://marshallmcluhanspeaks.com
Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 10 bis 10. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.