Die wahre Basis für Qualität

Qualität kommt immer gut. Bei jeder Medientagung wird sie beschworen. Jeder Chefredakteur will Qualität, jeder Ressortleiter, jeder Redakteur. Sie ist das Lieblingsargument gegen Kürzungen, sie soll Print retten und Online profitabel machen. Doch fragt man, was Qualität sei, beginnt die Verwirrung: vier Journalisten, sechs Meinungen. Auch die Medienwissenschaftler können journalistische Qualität nach 17 Jahren Debatte nicht so definieren und messen, dass sich daraus Alltagsentscheidungen ableiten ließen. Am Ende ist Qualität immer noch das, was ein Journalist dafür hält.

Das könnte ein pessimistisches Fazit sein � oder der Einstieg in die praktische Qualitätsarbeit. Denn tatsächlich führt der sicherste Weg zur Qualität über das, was Journalisten dafür halten. Dazu sieben Thesen.

1. Qualität ist, was eine Redaktion als Qualität definiert. Weder die Wissenschaft noch Quoten und Marktforschung aller Art helfen Journalisten wirklich weiter. Sie müssen selbst bestimmen, was Qualität für ihre Redaktion und ihr Publikum konkret heißt. Dazu müssen sie miteinander streiten, denn journalistische Qualität entsteht aus Reibung. Wenn ich Themenkonferenzen oder Blatt- und Programmkritiken beobachte, spüre ich meist viel zu wenig von dieser Reibung. Zäh geht es da zu. Entweder der Chef und ein paar Platzhirsche machen die Sache unter sich aus. Oder alle sind super nett zueinander, und so ist dann auch das Produkt. Der Schlüssel zur Qualität ist aber eine respektvolle Kommunikation, bei der die Funken fliegen.

2. Qualität ist gute Führung. Führungskräfte auf allen Redaktionsebenen halten diesen Schlüssel in der Hand. Sie müssen die Reibung erzeugen, aus der Lösungen entstehen, also einen Haufen von selbstbewussten Journalisten zum fairen Streiten bringen. Da immer Zeitdruck ist, muss der Chef in rascher Folge Debatten anzetteln und sie wieder beenden, indem er eine klare Linie vorgibt. Gute Führung heißt, dieses dauernde Wechselspiel zu organisieren � und sich dabei als Motor und Moderator einer exzellenten Teamleistung zu verstehen.

3. Qualität entsteht vor Ort, nicht aus abstrakten Systemen. Jede Redaktion wendet Qualitätsinstrumente an, vom Gegenlesen und langfristiger Themenplanung über die Blatt- und Programmkritik bis zu regelmäßigen Mitarbeitergesprächen. Es muss ja nicht gleich das 50-seitige Redaktionshandbuch sein. Egal, wo man hinkommt, rasch sind zehn, 15, 30 Instrumente gefunden. Hinter jeder Tür sind es andere, je nach Redaktionskultur und Temperament der Macher. Es wäre grundfalsch, auf das große, übergreifend gültige, mit allen abgestimmte Qualitätsmanagement-System zu warten. Man arbeite mit dem, was da ist, und entwickle es weiter. So werden aus Layout-Regeln mit wenig Mühe Regeln für die Themengewichtung. Der Appell �Bringt mehr Reportagen!� wird umsetzbar, wenn die Redakteure lernen, wie man Themen effizient zuschneidet � zum Beispiel in einer internen Fortbildung.

4. Qualität ist eine Sache der kleinen Schritte. Jedes Qualitätsinstrument braucht die richtige Feineinstellung. Die kleinen Stellschrauben entscheiden. Manchmal ist es die scheinbar unveränderliche Sitzordnung, die eine Blattkritik lähmt. Manchmal leben Themenkonferenzen auf, wenn man Killerphrasen verbietet (�Hatten wa schon!�, �Will niemand lesen!�, �Dazu sagt niemand was!�). Manchmal bringen halbjährliche Personalgespräche mit Zielvereinbarungen die Wende. Solche Veränderungen kosten nicht mal Geld.

5. Qualität kommt nicht von Qual. Gut angeleitete Qualitätsarbeit kann und muss Spaß machen. Journalisten sind kreativ, alle. Manchen hat man das ausgetrieben (und sie haben es sich austreiben lassen), aber Restbestände von Ideen und Witz stecken in jedem. Wichtiger als Blut, Schweiß und Tränen ist dies:

6. Qualität kommt von Konsequenz. Wer Qualität will, muss sich auf Konflikte einlassen. Chefs haben die Pflicht, ihre Mitarbeiter zu fordern. Die Leck-mich-Fraktion darf nicht den Ton angeben. Wer dauerhaft blockiert, muss Konsequenzen spüren. Und sei es bloß, damit die Leistungswilligen motiviert bleiben.

7. Qualität braucht den Generationenmix. Ja, viele Redaktionen sind ausgedünnt; ja, Video, Twitter und Co. kommen noch obendrauf; ja, mit mehr Geld wäre Qualität leichter zu machen. Manche, vor allem ältere Redaktionsleiter würden am liebsten abtauchen. Aber gerade sie werden gebraucht. Sie haben die Erfahrung, um ihre Redaktionen durch schwierige Zeiten zu steuern. Sie haben die Gelassenheit, um den fairen Streit über Qualität zu organisieren. Und sie wissen, wie man gute Ideen durchsetzt. Jüngere und Ältere zusammen können Qualität schaffen. Keine abstrakte Qualität, sondern jene, die trotzdem machbar ist: trotz Zeitdruck, Krankmeldungen und Urlaub.

Optimistisches Fazit: Diese Qualitätsmacher sind längst unterwegs. Sie sitzen im mittleren und oberen Redaktionsmanagement. Sie tüfteln an Lösungen. Sie werden die Qualität von morgen schaffen, über die auf Medientagungen so hübsch geredet wird. Wenn nicht sie, wer dann?

Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 33 bis 35 Autor/en: Christian Sauer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.