New York. Es war der französische Geheimdienst. Nein, Sarkozys private Wahlkampftruppe. Oder hat die CIA mitgemischt? Meine deutschen Freunde überbieten sich mit Theorien, wer dem ehemaligen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn eine Falle gestellt haben könnte. Dagegen habe ich noch keinen einzigen Amerikaner getroffen, der die Version des Zimmermädchens in Zweifel zieht, das behauptet, der Politiker habe versucht sie zu vergewaltigen.
Für die New Yorker Boulevardpresse ist Strauss-Kahn schon deshalb verdächtig, weil er Franzose ist � �Frogs� sind hierzulande unbeliebt, sie gelten als unbeherrscht und arrogant. Bemüht wird zudem das Klischee des mächtigen Politikers, der in Selbstbedienungsmentalität zugreift. Doch auch fernab solcher Vorurteile ist man sich bemerkenswert einig: Er war es. Das Argument, ein so hochrangiger Politiker würde doch seine Karriere nicht aufs Spiel setzen, ist für Amerikaner geradezu unverständlich. Für sie reiht sich der Skandal ein in eine scheinbar unendliche Reihe kaum fassbarer, bizarrer Eklats � die USA sind auch in puncto Politikerskandale das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wie ich in meiner Korrespondentenzeit erlebt habe.
Kostproben der vergangenen vier Jahre: Der New Yorker Gouverneur Eliot Spitzer bestellt als Kunde eines Call-Girl-Rings die Damen selbst über Staatsgrenzen hinweg und verletzt damit ein Gesetz, dessen Verschärfung er selbst betrieben hatte. Präsidentschaftskandidat John Edwards betrügt seine krebskranke Frau mit einer Videofilmerin und zweigt Wahlkampfgeld ab, um ihr Schweigen zu erkaufen. Der Gouverneur von South Carolina, Mark Sanford, ist tagelang unauffindbar, weil er heimlich zu seiner Geliebten nach Argentinien reist. Der republikanische Senator von Idaho und Schwulen-Gegner Larry Craig macht in einer Flughafentoilette ausgerechnet einem Undercover-Polizisten Avancen. Der New Yorker Kongressabgeordnete Anthony Weiner verschickt über Twitter Penis-Fotos an junge Frauen und erklärt tagelang im Brustton der Überzeugung, sein Account sei gehackt worden, bevor er alles zugibt und zurücktritt.
Abstreiten und Leugnen ist in den USA Teil des professionell gehandhabten Skandals. Dass Strauss-Kahn seine Unschuld erklärt, hat für meine amerikanischen Freunde daher eine Aussagekraft von null, schließlich steht viel für ihn auf dem Spiel. Natürlich muss er sich verteidigen, sagen sie achselzuckend. Schon jetzt haben sie Mitleid mit dem Zimmermädchen im Zeugenstand: �Seine Anwälte werden sie auseinandernehmen. Sie hat kaum eine Chance.�
Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 18 bis 18. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.