Nutzwert gegen Vertrauensverlust

Scheinbar wie aus dem Nichts brach 2008 die globale Krise aus und erschütterte die Finanzmärkte. Ebenso das Vertrauen des Medienpublikums. Denn Anleger waren zuvor nur selten gewarnt worden, etwa in Zertifikaten ihr Geld für die Altersvorsorge anzulegen. Von Wirtschaftsjournalisten verlangt zwar niemand mehr Weitsicht als von Wirtschaftswissenschaftlern. Doch der weitverbreitete Nutzwertjournalismus à la �So steigern Sie Ihre Rendite� kam ziemlich unter die Räder. Image-Einbußen und Glaubwürdigkeitsprobleme � kann der Wirtschaftsjournalismus angesichts der zunehmenden Volatilität der Finanzsysteme so weitermachen wie bisher? Was sagen die verunsicherten Bürger, die um ihr hart erarbeitetes Geld bangen? Werden sie zum �Wut-Publikum�, das sich von den Medien ab- und alternativen Quellen im Netz oder im privaten Kreis zuwendet?

Die Ausgangslage ist ernüchternd. Offensichtlich sind die Deutschen mit der Arbeit der Medien keineswegs einverstanden. Das zumindest ergab eine Gemeinschaftsstudie der Universität Hohenheim und der ING-Diba AG: Man fragte Entscheider aus Realwirtschaft und der Finanzbranche, was sie von der Wirtschaftsberichterstattung erwarten. 41,8 Prozent der befragten Bürger und 38,5 Prozent der Führungskräfte in den Unternehmen erklärten, sie seien unzufrieden mit den Leistungen der Journalisten. Hauptvorwurf: Sie beschäftigen sich zu sehr mit eher unwichtigen Themen und Nebensächlichkeiten. Kommt nach der Politik- nun etwa die Medienverdrossenheit?

Schon seit Längerem wächst die Kluft zwischen Bevölkerung und Politikern. Ereignisse in jüngerer Zeit wie etwa die Finanzkrise lassen auch das Misstrauen in Manager und Wirtschaft ansteigen. Allen voran die Finanzbranche hat ihren Kredit bei den Bürgern verspielt. Und in einer solchen Situation kommt es entscheidend auf die Medien an: Sie müssen ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nachkommen, Positionen vermitteln, Bürger und Entscheidungsträger verantwortlich informieren. Aber leistet der Journalismus das überhaupt noch? Oder entsteht auch zwischen der Bevölkerung und den Medien eine Kluft? Diese Gefahr besteht zumindest, wenn das Medienpublikum seine Anliegen von den Journalisten nicht mehr repräsentiert und seine Fragen in der Berichterstattung nicht mehr beantwortet sieht.

Die Bürger haben jedenfalls klare Vorstellungen, welche Themen stärker in der Wirtschaftsberichterstattung aufgegriffen werden sollen (s. Abb. 1). Mehr wissen wollen sie in erster Linie über die gesellschaftspolitischen Auswirkungen und Bezüge der Unternehmen. Gut zwei Drittel möchten mehr erfahren über die Konsequenzen für die Umwelt, etwa 60 Prozent über die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik und die Hälfte der Bevölkerung will wissen, wie sich die Arbeitswelt weiter entwickelt. Die Bürger sind deutlich sensibilisiert und fühlen, dass sie bei den aktuellen Entwicklungen die Zeche zahlen. Die allgemeine Wahrnehmung bei Entscheidern wie dem Rest der Bevölkerung: Die Politik berücksichtige die Interessen des Finanzsektors mehr als die der Steuerzahler.

Die Bürger treibt ihr eigenes Umfeld am meisten um, deswegen wünschen sie sich auch einen Wirtschaftsjournalismus, der sich stärker volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Themen zuwendet. Die Strategien der Unternehmen, betriebswirtschaftliche Überlegungen � das interessiert sie weniger. Die exorbitanten Managergehälter sind zwar Aufregerthemen, aber viele Bürger sind inzwischen offensichtlich abgestumpft. Sie erkennen, ob es sich um eine eitle Zelebrierung von Persönlichkeiten handelt oder handfeste, verlässliche und für sie nützliche Aussagen von Unternehmensvertretern präsentiert werden.

Doch wenn der Wirtschaftsjournalismus angesichts dieser Haltung in der Bevölkerung nur reagiert und abwartet, läuft er Gefahr, dass sich auch ihm gegenüber eine Medienverdrossenheit in der Gesellschaft aufbaut und das Medienpublikum seine eigenen Wege geht. Und so liefert die Studie, die explizit auch auf eine praktische Verwertbarkeit ausgerichtet ist, einige Anstöße, wie es anders gehen könnte. Etwa Ideen für die redaktionelle Ausrichtung des Nutzwertjournalismus, dessen Tipps und Handlungsempfehlungen von vielen nicht mehr gewünscht werden. Diese Art Empfehlungsjournalismus scheint über weite Strecken unglaubwürdig geworden. Die Bürger und Entscheider wollen mehrheitlich einen anders und vor allem breiter verstandenen Nutzwertjournalismus � nämlich klare, verlässliche Analysen, die ihnen helfen, den Überblick im Alltag zu behalten (vgl. Abb. 2).

Das sagen die Praktiker:

Der beste Nutzwert sind gute Informationen. Wer Sachverhalte und Hintergründe richtig versteht, trifft bessere Entscheidungen�, sagt Armin Mahler, Ressortleiter Wirtschaft �Der Spiegel�. Auch bei der �Rhein-Zeitung� ist die Priorität klar: �Wer Nutzwert liefern will, muss in erster Linie erklären � in einer gut verständlichen Sprache � und zeigen, wie sich die Weltereignisse auf die Region, ihre Menschen und Unternehmen auswirken�, betont Chefredakteur Joachim Türk. Und Arno Balzer, Chefredakteur des �Manager Magazin� sagt: �Nutzwert hat im Wirtschaftsjournalismus nur eine Chance, wenn er umfangreiche vergleichende und tiefe Analysen vornimmt und dabei ein hohes Ausmaß an Objektivität wahrt.�

Dass Wirtschaftsjournalisten Verantwortung haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Das findet auch Franz W. Rother, stellvertretender Chefredakteur der �Wirtschaftswoche�: �Die Skepsis in der Öffentlichkeit gegenüber konkreten Handlungsempfehlungen ist größer geworden � weil die Halbwertszeit der Aussagen kürzer geworden ist und wir im Nutzwertjournalismus einige böse Auswüchse erleben mussten.�

Auch das Votum der befragten Bürger, die Medien sollen sich vor allem auf Organisationen und Institutionen konzentrieren, stellt die in Redaktionen weit verbreitete Praxis der Personalisierung auf den Prüfstand. Wenn streitende, kämpfende oder sich inszenierende Personen nur noch als Deutungsmuster für Sachverhalte dienen, rücken die Themen, die die Menschen bewegen, in den Hintergrund. Wenn dann Interviews nur wenig Substanz enthalten und die Bürger das Gefühl bekommen, �wer� etwas gesagt hat und �dass� er sich zu Wort gemeldet hat, ist wichtiger, als �was� er substanziell Neues mitteilt, wird eine personalisierte Berichterstattung fragwürdig.

Die befragten Bürger mahnen die Journalisten jedenfalls, wieder stärker zu Sachverhalten zurückzukehren. Die Mahnung gilt aber auch den Kommunikationschefs der Unternehmen, im Autorisierungsprozess von Interviews nicht noch die letzte Farbe und Substanz zugunsten von austauschbaren Worthülsen herauszukürzen.

Personalisierung ist künftig nur noch eine Unterabteilung des erklärenden, aufklärenden und hinterfragenden Wirtschaftsjournalismus. In der Vergangenheit wurde Personalisierung übertrieben�, findet Michael Garthe, Chefredakteur der �Rheinpfalz�. Das mit der Personalisierung solle nicht überstrapaziert werden, gibt auch Joachim Dorfs, Chefredakteur �Stuttgarter Zeitung� zu bedenken. Allerdings � bei vielen Unternehmensvertretern geht die Bereitschaft zu markanten Aussagen zurück. �Wenn sich niemand mehr festlegen und eine Position vertreten mag, braucht es eigentlich auch keine Personalisierung mehr�, sagt der Chefredakteur von �Euro� und �Euro am Sonntag�, Frank B. Werner. Er appelliert an die Kommunikationschefs in den Unternehmen: �Wer knackige Zitate zulässt, wird sein Unternehmen häufiger in den Medien sehen.�

Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung erwartet darüber hinaus, dass die Wirtschaftsjournalisten Bezüge zwischen Gesellschaft und Unternehmen herstellen und die Wirtschaft nicht als Biotop behandeln. Diesen Wunsch berücks
ichtigen einige Medien bereits. �Der soziale Aspekt der Marktwirtschaft wird in unserer Wirtschaftsberichterstattung wieder stärker betrachtet�, sagt Michael Garthe (�Rheinpfalz�). �Dass �Eigentum verpflichtet�, war im Selbstverständnis der heutigen Manager-Wirtschaft zu sehr aus dem Blick geraten und in der Berichterstattung vernachlässigt worden.�

Überhaupt, die Veränderungen: Ulrich Reitz, Chefredakteur �Westdeutsche Allgemeine Zeitung�, berichtet von der früher üblichen ausufernden Berichterstattung über Quartalszahlen, von der sich seine Zeitung schon vor der Krise verabschiedet habe. Er fordert: �Jahresbilanzen von Unternehmen in der Region sind einordnend zu schreiben mit Blick auf Arbeitnehmer, Kunden � etwa wenn es um Strompreise geht � und die gesamte Gesellschaft.�

Michael Zeiß, der Fernseh-Chefredakteur des SWR bricht es noch weiter runter: �Wirtschaftsjournalismus wird aber auch immer wichtiger im Sinne von Verbraucheraufklärung � wie sich der Zuschauer zurechtfinden kann im Dschungel von Finanzangeboten, werbeorientierter Konsumwelt und Arbeitsalltag�, sagt er. �Sozusagen Nutzwert für den Geldbeutel.�

Viele Redaktionen haben teils schon vor der Krise ihre Schwerpunkte in der Wirtschaftsberichterstattung verändert. Über die reine Unternehmensberichterstattung hinaus wurden zunehmend Themen mit wirtschaftlicher Relevanz behandelt. Aktuell mahnen die befragten Bürger und Entscheider nachdrücklich einen gesellschaftspolitisch verantwortlichen Wirtschaftsjournalismus an, der die Zusammenhänge zwischen der Wirtschaft � vor allem den Finanzsystemen � und der Gesellschaft thematisiert, der verstärkt volkswirtschaftliche Fragen aufwirft und sich aus der betriebswirtschaftlichen Fixierung auf Unternehmen löst. Journalisten, die zu nah an der Denkwelt der Unternehmenslenker schreiben, verlieren die Zuwendung des Medienpublikums. Die Sicht des Unternehmers ist eben nur eine Perspektive. Wirtschaftsjournalisten sollten aber andere Perspektiven wie die des Steuerzahlers und Bürgers in Deutschland nicht aus den Augen verlieren � gerade wegen der Globalisierung des Wirtschaftslebens. All business is local. Wirtschaftsjournalismus auch.

LINK:TIPP

Die Gemeinschaftsstudie von Universität Hohenheim und ING-DiBa AG �Misstrauensvotum der Bürger gegenüber Politik und Finanzwirtschaft� als pdf: http://bit.ly/mHoMvT

Abb. 1: Wirtschaftsberichterstattung Mehr wissen wollen die Menschen über �

ABB. 2: Was Bevölkerung und Entscheider von der Wirtschaftsberichterstattung erwarten

Grafiken:

Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 31 bis 32 Autor/en: Claudia Mast. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.