Strauss-Kahn, die Unschuld

PARIS. Dass die Sex-Affäre rund um den Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn in Frankreich so große Wellen schlägt (nahezu drei Wochen lang schmückte er täglich die Titelseiten), hat einen guten Grund. Strauss-Kahn oder DSK, wie ihn die französische Presse gerne abkürzt, war nicht nur ein, sondern DER Hoffnungsträger eines politischen Wechsels nach Nicolas Sarkozy für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012. Die französische Satire-Zeitung �Marianne� bezeichnet ihn sogar als allseits beliebten �Weihnachtsmann�.

Der Sozialist und Multimillionär, dessen Vermögen zusammen mit dem seiner Frau Anne Sinclair auf 50 Mio. Euro geschätzt wird, ist ein rechter Linker und genau diese Einstellung passt sehr vielen in der Republik. In den Wahlumfragen kurz vor der Affäre lag der populäre Politiker deshalb auch weit vor Sarkozy. Doch der Traum eines DSK an Frankreichs Spitze zerplatzte � in einem New Yorker Hotelzimmer. Eines Sexual-Verbrechens angeklagt drohen ihm im schlimmsten Fall 74 Jahre Haft. Soweit die Fakten. Die Meinungen über die Hintergründe und den Wahrheitsgehalt der Affäre jedoch klaffen hüben und drüben des Atlantiks weit auseinander.

Die Franzosen glauben mehrheitlich an ein Komplott. Die französischen Medien zeigten sich geschockt, dass der damals noch amtierende IWF-Präsident in Handschellen den Fotografen vorgeführt wurde und dieses Bild seinen Siegeszug durch die amerikanische Presse antrat. Solch eine �öffentliche Erniedrigung� hätte die heimische Presse DSK nie angetan. Immerhin gelte jemand als unschuldig, bis seine Schuld erwiesen sei. Auch sehen die Franzosen sexuelle Übergriffe ihrer politischen Elite etwas anders: �Wir bevorzugen bei delikaten Übergriffen unserer leitenden Klasse die Augen zu schließen: das ist eine Frage der Kultur�, schreibt Sylvie Kauffmann, Redaktionsdirektorin der Tagezeitung �Le Monde�, in einem Kommentar. Dass der angesehene Politiker Strauss-Kahn eine sehr große Schwäche für Frauen hat, war in Frankreich ein offenes Geheimnis. �Die französische Presse ist eher eine Meinungspresse als die eines investigativen Journalismus�, findet Kauffmann. Was sich also wirklich in der Hotelsuite 2806 im New Yorker Sofitel abspielte, wird wohl nicht von der französischen Presse aufgedeckt werden.

Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 18 bis 18. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.