Nein, von einer �Herabstufung� der Kreditwürdigkeit Amerikas will Jens Schmidt-Bürgel, Deutschland-Chef der Ratingagentur Fitch, nicht sprechen. Seine Kollegen von Standard & Poor�s hatten gerade vor einer Pleite der USA gewarnt und damit die internationalen Finanzmärkte aufgewühlt. Und deshalb spricht Schmidt-Bürgel lieber von �Ausblickänderung�. Das hört sich einfach besser an als �Staatsbankrott�.
Währungshüter stehen dem Wortschöpfer der Rating-agentur Fitch in nichts nach. Als die US-Notenbank Geld druckte, um damit Wertpapiere den Marktgesetzen zu entziehen, sprachen die Verantwortlichen für die Geldwertstabilität von �außergewöhnlicher geldpolitischer Lockerung� (�Quantitative Easing�). Da braucht es schon viel Fantasie, um sich darunter das Heißlaufen einer Notenpresse zum Zweck der Geldwertvernichtung vorzustellen.
Geschwätz nur für den Effekt
Den Gipfel der bewussten Irreführung mit Schönfärberei leistete sich aktuell aber Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker. Weil eine Umschuldung Griechenlands von allen maßgeblichen Polit- und Finanzverantwortlichen in Europa (noch) ausgeschlossen wird, darf auch eine �Verlängerung der Laufzeiten griechischer Anleihen� von Amts wegen nicht in den Mund genommen werden. Da eine solche nun aber zunehmend unvermeidlicher wird, spricht Juncker von �Reprofiling� � und meint damit nichts anderes als eben die Verlängerung der Laufzeiten. In Wahrheit bedeutet es den Zahlungsausfall Griechenlands.
Ausblickänderung�, �Quantitative Easing�, �Reprofiling� � alles Begriffe, die vernebeln. Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt schreibt in seiner erstmals 1986 als Essay und 2005 als Buch erschienenen Abrechnung mit dem Wort-Bluff den vermeintlich banalen Satz: �Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es so viel Bullshit gibt.� Es geht in seinem Buch �Bullshit� um die Verlogenheit der Eliten, um Beliebigkeit, um Geschwätz nur des Effekts willen. Es ist ein Buch über die Wahrheitsliebe, die in einer Welt ohne Realitätsorientierung zunehmend verloren geht.
Was Schmidt-Bürgel, Juncker und die amerikanischen Währungshüter eint, ist die unter Politverantwortlichen vorherrschende Arroganz, dass die Wahrheit dem Volk nicht zuzumuten sei. Deshalb sind sie so wortkreativ und reden vorsätzlich �Bullshit�. Und die Medien übernehmen oftmals diese Terminologie � meistens aus Bequemlichkeit, wenn die Begriffe nicht hinterfragt werden. Die Angst vor der Wahrheit und damit vor der begrifflichen Klarheit macht nicht einmal beim Bemühen der Schönredner um �political correctness� halt. So wird aus dem Geisteskranken ein �alternativ Begabter� und aus der Unterschicht das �Prekariat�. Rechtswidrige oder unmenschliche Handlungen rückständiger Einwanderer aus dem Morgenland werden mit �kultureller Identität� verharmlost, die Bombardierung ausgewählter Ziele in Kriegsgebieten als �kinetische militärische Aktion� getarnt. Es sind in aller Regel PR-Strategen, die solche �Verharmlosungen� erfinden, damit ihre Chefs ja nicht anecken. Sie haben ihre berufsnotwendige Wahrheitsliebe längst an der Garderobe abgegeben.
Die Wahrheit: Es ist eine Lüge
Auch das Publikum selbst will an die ursprüngliche Bedeutung von Worten nicht mehr glauben, weil das Versprechen, das Begriffe beinhalten, immer weniger eingelöst wird. Mit �Reformen� befriedigte man einmal die Sehnsüchte nach einer besseren Welt. Heute verstehen die meisten Menschen darunter eine Zumutung. Der �Bonus� galt dereinst als Gütesiegel. Wenn heute Banker von Bonus sprechen, übersetzt das Volk die Auszeichnung mit �Betrug�. Die Wirklichkeit hat sich verändert und mit ihr der Sinngehalt der Worte. Sogar Gottes Name ist nicht mehr heilig. Als Ronda Smith vor dem US-Kongress berichtete, dass ihr wegen einer �unbeabsichtigten Beschleunigung� die Kontrolle über ihren Toyota entglitt, habe �Gott eingegriffen und mich gerettet�. Und Goldmann-Sachs-Chef Lloyd Blankfein scheute sich nach der von Investmenthäusern seiner Kategorie mitverursachten Finanzkrise nicht, den Herrn zu bemühen: Er habe doch nur �Gottes Werk verrichtet�.
So viel Bullshit auf einmal, das hält das robusteste Volk nicht aus. Die Wortwahl derer, die den Sinngehalt der Worte umdrehen, führt zwangsläufig zum Wutausbruch der Betroffenen.
Sprache dient der Verständigung � und das setzt Ethos voraus. PR-Strategen und Journalisten sollten es wissen. Sonst ist es Verschleierung. Oder, um bei der begrifflichen Klarheit zu bleiben: Lüge.
Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 60 bis 60 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.