Darf man … eine Agenda haben?

Von Stefan Niggemeier

Erst seit Rupert Murdoch im Sommer vor dem britischen Parlamentsausschuss ausgesagt hat, hat man eine Ahnung, wie anstrengend das Leben solch eines Medienmoguls ist. Allein die Last, immer den jeweiligen Regierenden die Aufwartung zu machen. Und das alles für das bisschen Geld, das bisschen politische Macht, das bisschen Einfluss auf die öffentliche Meinung.

Murdochs müdes Dackelgesicht schien zu sagen, dass es – nicht nur in diesen anstrengenden Zeiten – keine so erstrebenswerte Sache ist, Eigentümer eines Medienunternehmens zu sein. Dabei ist das durchaus mit Annehmlichkeiten verbunden. Murdochs Kollege Richard Desmond führt es in Großbritannien gerade vor. Dem früheren Porno-Verleger gehört die Zeitungsgruppe Express Newspapers, die unter anderem den „Daily Star“ herausgibt. Im vergangenen Jahr kaufte Desmond den Fernsehsender Channel 5. Als dort im August Promi-„Big Brother“ lief, räumte der „Daily Star“ Tag für Tag die Titelseite frei, um exklusiv zu berichten, wer einziehen würde. Zwar entpuppte sich fast alles als falsch, aber das stört die „Star“-Leser traditionell nicht so.

Desmond hat einmal gesagt, er mache als Eigentümer seinen Chefredakteuren grundsätzlich keine Vorgaben, was sie schreiben sollen. Wahrscheinlich weil sie ohnehin wissen, welche Berichterstattung erwartet wird.

Vielleicht reicht gelegentlich sogar das Unterbewusstsein. Man möchte sich jedenfalls nicht ausmalen, dass es eine Anweisung bei der „Bild“-Zeitung geben könnte, angesichts der Klage von Springer gegen die Smartphone-Anwendung der „Tagesschau“ nun die Zahl der empfohlenen ARD-Sendungen zu reduzieren. Tatsache ist aber: In den TV-Tipps, die prominent auf der ersten Seite stehen, tauchte die ARD im Juli kaum noch auf. Die „Funkkorres-pondenz“, die seit fünf Jahren Buch über die Bestückung dieser Rubrik führt, registrierte, dass zum ersten Mal überhaupt Sat.1 vor der ARD lag.

Es ist nicht nur für den unbefangenen Leser schwer zu erkennen, was hinter einer Berichterstattung steckt; ob sie nur immanente publizistische oder auch externe politische oder geschäftliche Motive hat. Man könnte argumentieren, dass sich die „Bild“-Zeitung, wenn sie gegen die „Tagesschau“-App kämpft, gar nicht fremde Interessen zu eigen macht, sondern nur in eigener Sache gegen die Konkurrenz anschreibt. Und falls sie dann wirklich noch kommt, die große Sommer-Kampagne gegen die ARD, die der Senderverbund erwartete (aber bis Redaktionsschluss noch nicht begonnen hatte) – wer könnte sagen, ob es wirklich die Fortsetzung des juristischen Kampfes des Springer-Verlages mit publizistischen Mitteln ist oder nur eine rituelle Auseinandersetzung, die auch bei den Gebührenzahlern gut ankommt? Letzteres ist für eine Boulevardzeitung sicher legitim, und dass sich ein Blatt wie „Bild“ in solchen Angriffen zurücknimmt, wenn man sich an anderer Stelle juristisch auseinandersetzt, wäre vielleicht wünschenswert, aber völlig realitätsfern.

Dass „Bild“ im Zweifel nicht zögert, die eigene Berichterstattung den Interessen des Verlages unterzuordnen, hat die Zeitung ohnehin längst bewiesen. Besonders eindrucksvoll war das vor vier Jahren, als Springer vorübergehend der Postzusteller Pin-AG gehörte und verbissen für das auf Niedriglöhnen basierende Geschäftsmodell kämpfte. Plötzlich startete „Bild“ – im Widerspruch zu früheren Berichten – eine massive Kampagne gegen den Mindestlohn. Ein Hinweis auf die unternehmerische Verbindung und damit darauf, welches Eigeninteresse Springer hatte, einen Mindestlohn in der Postbranche zu verhindern, fehlte natürlich.

Solche Mindestformen der Transparenz sind auch an anderer Stelle keineswegs selbstverständlich. Die Nachrichtenagentur dapd zum Beispiel ist über ihre Besitzer mit der Modekette Adler verwandt. Als die Anfang August Geschäftszahlen veröffentlichte, meldete dapd: „Modekette Adler steigert Umsatz / Unternehmen bestätigt Prognose.“ Es war eine rundum positive Meldung, die mit dem Satz begann: „Die Modekette Adler hat im ersten Halbjahr ihren Expansionskurs fortgesetzt.“ Und mit der Formulierung endete: „Die Adler Modemärkte AG ist eigenen Angaben zufolge einer der führenden Textileinzelhändler (…).“ In der Variante der Agentur Reuters las sich das weniger rosig: „Börsen-Neuling Adler Mode bleibt trotz Umsatzplus in Verlustzone.“ Nun kann das natürlich an der normalen Varianz bei der Interpretation von Zahlen liegen. Aber dass die Agentur nicht angibt, zum selben Firmenimperium zu gehören, ist kein gutes Zeichen. Und ein solcher Meldungssatz hätte eine interessante Wirkung: Gerade wenn jeder sehen kann, dass es eine geschäftliche Verbindung gibt, ist der Anreiz groß, sich nicht angreifbar zu machen.

Wussten Sie, andererseits, dass es in der Nähe von Köln einen tollen Hochseilgarten gibt? Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat gerade wieder davon geschwärmt, wie viel „Klettervergnügen“ man dort, „hoch oben in den Baumwipfeln auf der Hügelkuppe bei Odenthal-Eikamp“, haben kann, obwohl die „ausgebildeten (und begeisterten) Klettertrainer“ sehr gut auf die Sicherheit achten. Der Laden gehört einer Frau namens Isabella Neven DuMont. Im Nebenjob sitzt sie im Vorstand der Mediengruppe M. DuMont Schauberg. Und die gibt unter anderem den „Stadt-Anzeiger“ heraus.

Stefan Niggemeier schreibt an dieser Stelle regelmäßig als Kolumnist. Der 41-Jährige arbeitet als freier Medienjournalist in Berlin und bloggt unter anderem unter stefan-niggemeier.de.

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Erschienen in Ausgabe 09/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 65 bis 65. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.