Der falsche Gegner

Journalisten haben über ihr Gewerbe keine gute Meinung. Wann immer sie sich über ihre Branche auslassen, wird der Weltuntergang beschworen: Die Redaktionen ausgedünnt, die Arbeitsbedingungen katastrophal, die Leistungsverdichtung unmenschlich. Und wer weiß: Vielleicht hat Print tatsächlich keine Zukunft.

Jetzt droht ihnen neues Ungemach: Die PR-Krake greift nach den ausgemergelten Redaktionen. Statistisch gesehen kommt inzwischen auf einen Journalisten ein Öffentlichkeitsarbeiter. „Ist es also nur noch eine Frage der Zeit, bis die PR den Journalismus verdrängt?“, klagt das Verbandsblatt „Journalist“ und schiebt die Antwort hinterher: „Die Machtverhältnisse werden sich weiter verschieben.“

Müll für den Müll

Machtverhältnisse – der Begriff offenbart den Denkfehler. Journalisten wähnen sich gerne in der Welt der edlen Helden, die den Mächtigen auf die Finger schauen und der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen. PR-Leute sind in diesem Spiel die bösen Buben. Sie nutzen den Personalnotstand in den Redaktionen und drücken Pressemeldungen mit durchsichtigen Werbebotschaften in die Zeitungsspalten.

Dieses Szenario ist – bei aller berechtigten Wut über die miserablen Arbeitsbedingungen – schlicht grotesk. PR funktioniert ohne Journalismus nicht und gute PR nicht ohne guten Journalismus. So euphemistisch sich das anhört: Aber wer seine Botschaften nur einem willfährigen Medium anvertraut, findet kein Publikum. Er könnte seine Mitteilungen gleich als Postsendung verschicken, wo sie dann dort landen, wo alle ungebetenen Prospektlieferungen auch landen: im Papierkorb.

Sicher werden Pressemeldungen auch eins zu eins ins Blatt gehoben. Aber dort, wo dies passiert, ist das kein Phänomen unterbesetzter Redaktionen. Dort, wo dies gängige Praxis ist, war es schon immer so. Und oftmals einfach auch deshalb, weil der Blattmacher noch Platz hat und nichts Besseres auf dem Redigiertisch findet.

Bei den überregionalen Tageszeitungen, den renommierten Regionalzeitungen, den Magazinen und ganz allgemein in der Qualitätspresse ist das ohnehin undenkbar. Dort leiden Journalisten durchaus unter dem PR-Ansturm, aber nur, was den Arbeitsaufwand betrifft. Wenn Pressestellen jeden Müll verschicken, verstopfen sie die Pipelines der Redaktionen. Für den Redakteur ein Ärgernis, weil ihn die Durchsicht vor dem Wegwerfen Zeit kostet. Im Blatt finden solche PR-Dilettanten ihre Botschaften jedenfalls nicht wieder.

Mehr Jobs, mehr PR-Leute

Die steigende Zahl von PR-Leuten bedeutet nicht, dass sich die „Machtverhältnisse verschieben“. Die Pressestellen von Unternehmen, Verbänden, Behörden und Institutionen wachsen vor allem deshalb, weil die Aufgaben innerhalb dieser Abteilungen zunehmen. Kundenzeitschriften, Werkführungen, Veranstaltungen, Dokumentationen sind Tätigkeiten, die heute hohen Stellenwert genießen und ausgebaut werden.

Vieles davon mit multimedialer Begleitung, Online-Unterstützung oder aufwendiger Präsentationstechnik. Die Internationalisierung der Geschäfte erfordert ebenso fachkundiges Personal wie die Entstehung neuer Betätigungsfelder. Alle NGOs beispielsweise bedienen sich mittlerweile kompetenter PR-Experten. Und es ist ja beileibe nicht so, dass mehr Kommunikationsfachleute auch mehr Sprecher bedeuten. Die Sprecherfunktion wird immer nur wenigen übertragen, die eine breite Fachkenntnis besitzen und eine große Disziplin an den Tag legen. Verständlich, wirkt doch deren Statement wie eine quasi-amtliche Mitteilung. In den Finanzpresseabteilungen können missverständliche Aussagen den Aktienkurs in den Keller schicken oder Vorstände vor den Kadi bringen – mit allen Konsequenzen. Auch für den eigenen Job.

1949 bestand das Bundespresseamt aus einem Leiter und einer Hand voll Kollegen. Heute kontrolliert Steffen Seibert 370 Mitarbeiter in Berlin und 90 in Bonn. Man hat nicht den Eindruck, dass diese Anhäufung von Kommunikationsfachleuten die Machtverhältnisse verschoben und eine regierungsfreundliche Presse bewirkt hätte.

Wenn mehr PR-Leute auf weniger Journalisten treffen, ändert sich allein noch gar nichts. Solange Journalisten ihre Rolle kennen, brechen keine Dämme. Sie entscheiden alleine, was ins Blatt kommt und was nicht.

Die Bedrohung, wenn sie denn überhaupt eine ist, spielt sich allein im Kopf des Journalisten ab. Und dagegen hilft nur eins: vorurteilsfrei denken.

Auch über die eigene Szene.

Anton Hunger (63) ist Journalist und war 17 Jahre Pressechef bei Porsche. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicita“ in Starnberg.

Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.

Erschienen in Ausgabe 09/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 60 bis 60 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.