Recherche im eigenen Fall

Es ist wie überall, wo ein Gründer die Bühne verlässt. Das Lebenswerk gerät ins Wanken. Controller ziehen ein, es findet sich kein Nachfolger, der geeignet wäre oder sich trauen würde, in die Fußstapfen des Patriarchen zu treten. Unsicherheit, Auflösungstendenzen und Selbstzweifel kehren ein, klar ist nur: So kann es nicht weitergehen. Beispiele für solche Fälle gibt es zur Genüge, man denke nur, um in der Branche zu bleiben, an die Führungskrisen bei Springer, „Spiegel“ oder aktuell bei „Focus“. So ein Machtvakuum lässt sich nicht ohne Komplikationen füllen, schon gar nicht von heute auf morgen. Diese Erfahrung macht derzeit auch das Netzwerk Recherche, im nunmehr zehnten Jahr seines Bestehens.

Kreative Buchführung

Die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Wiesbaden trägt das Aktenzeichen 1140 JS 28237/11. Darin sind sämtliche Unterlagen gesammelt, die Be- und Entlastendes im Fall des Betrugs- und Untreueverdachts gegen Thomas Leif enthalten.

Thomas Leif gab neben Hans Leyendecker dem Netzwerk Recherche ein Gesicht: Leyendecker als moralische Instanz, Leif als Arbeitsmaschine, die Veranstaltungen konzipierte, hochkarätige Referenten engagierte, Termine koordinierte und Gelder organisierte.

Letzteres brachte Leif zu Fall. Wie seine Form der kreativen Buchführung im Detail aussah, wie da zum Beispiel schnell mal aus 24.380 Euro Einnahmen durch handschriftliche Korrektur 14.380 Euro wurden und angeblich über Jahre hinweg unklar blieb, ob die WAZ-Gruppe ihre Spende der allgemeinen Vereinsarbeit oder konkret der Jahrestagung zugedacht hatte, das zeigt der Abschlussbericht der Wirtschaftsprüferkanzlei Hoffmann & Partner. Es steht, für jeden Interessierten einsehbar, auf der Homepage des Netzwerk Recherche.

Der Fall kommt das Netzwerk Recherche teuer zu stehen. Da wäre zum einen der finanzielle Schaden: Zu den bereits an die Bundeszentrale für politische Bildung zurückerstatteten rund 76.000 Euro für die Jahre 2008 bis 2010 kommen fünf Prozent Zinsen, außerdem ist die Arbeit der Wirtschaftsprüfer zu honorieren, was den Verein weitere rund 35.000 Euro kosten dürfte.

Zum wirtschaftlichen kommt der Imageschaden. Das Netzwerk Recherche ist ein Verein elitärer Journalisten, die jederzeit über jeden und alles ihr Urteil fällen, die ihre Aufgabe im Aufdecken von Missständen sehen und Kollegen, nur weil sie neben ihrer Arbeit als freie Journalisten für ein Kundenmagazin schreiben, unehrenhaftes Verhalten vorwerfen. Und nun stellt sich bei ebendiesem Verein heraus, dass dort im besten Fall aufs Gröbste geschludert, im schlimmsten Fall absichtlich auf illegale Weise Steuergelder eingetrieben wurden.

Spenden ohne Belege

Denn nichts weniger als Steuergelder sind es, die die Bundeszentrale für politische Bildung verteilt hat. „Der Vorgang, dass uns über Jahre hinweg Belege vorenthalten wurden, ist einzigartig“, sagt ihr Sprecher und fügt hinzu: „Wir sind die Betrogenen.“ Wer mag da sicher gehen, dass die Spender der vergangenen Jahre, sei es die Bundeszentrale, die WAZ-Gruppe, die Augstein-Stiftung oder die Industrie, unter diesen Umständen weiterhin Geld fließen lassen? Sie sollten jedenfalls darauf achten, dass eindeutig geklärt ist, welchem konkreten Zweck welche konkrete Summe zugute kommen soll.

Arbeitstier gesucht

Wie aber geht es mit dem Netzwerk Recherche weiter? Die Antwort soll die Mitgliederversammlung im November in Köln geben. Ideen gibt es einige: Ein Steuerberater ist engagiert, er wird künftig Sorge tragen, dass die Finanzen stimmen. Möglicherweise wird der Vereinszweck auf die jährliche Tagung in Hamburg konzentriert, alle anderen Aktivitäten könnten wegfallen. Stimmen wie die der Schatzmeisterin Tina Groll fordern, den elitären Verein älterer Männer zu erden, nicht zuletzt, indem verstärkt Frauen aktiv werden.

Überlegt wird außerdem, den bisher zweiköpfigen geschäftsführenden Vorstand auf drei zu erweitern. Doch wer könnte nach Leyendeckers Abschied die künftige moralische Instanz des Netzwerk Recherche sein? Wer soll die viele Arbeit verrichten, die Leif im Alleingang geschultert hat – ehrenamtlich, neben Job und Familie? Fast scheint es, als sei dies das am schwierigsten zu lösende Problem. Es war schließlich so ungeheuer praktisch, alles Lästige Leif zu überlassen.

Link:Tipps

Abschlussbericht der Wirtschaftsprüfer zum Download auf der Website von Netzwerk Recherche.

www.netzwerkrecherche.de/files/schlussbericht-hoffmann_partner.pdf

Ulrike Simon ist freie Medienjournalistin in Berlin.

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Erschienen in Ausgabe 09/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 38 bis 38 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.