Schluss mit der Nostalgie!

Wenn Journalisten unter sich sind, finden sie immer viele Dinge blöd. Ihren Job zum Beispiel. „Zu wenig Geld, zu anstrengend, zu aussichtslos. Das kann so alles nicht mehr weitergehen.“

Und ob es kann. „Bleib in Deutschland!“, hat mir in England letztes Jahr ein arbeitsloser Oxford-Absolvent empfohlen, der Journalist werden möchte. „Auf eure Medien kann man ja nur neidisch sein“, sagte er.

Springer mit Rekordeinnahmen, die „Zeit“ mit Rekordauflage, Nachrichtensender mit Rekordzuschauerzahl. Doch hier im „Presseparadies” sieht man das alles ganz anders. Wer derzeit in Deutschland Journalist werden möchte, der muss sich gegen Vieles wehren. Das Schlimmste ist die Nostalgie.

Euch fehlt der Mut

Liebe deutsche Profi-Journalisten, wir jungen Medienmacher sind zwar nicht so erfahren wie ihr, unsere Texte sind noch nicht ausgefeilt und euer Rat ist uns wichtig. Aber bitte, bitte fangt endlich an, wieder in die Zukunft zu schauen, statt der Vergangenheit nachzutrauern. Ich bin stolz darauf, Journalist zu sein, und ich denke, dass es keine spannendere Zeit dafür gibt als heute. Aber was ich als 18-jähriger Nachwuchsjournalist bei vielen deutschen Medien vermisse, ist der Mut, Neues zu wagen. Mut zu scheitern. Und Mut zu sagen, dass man seinen Job gerne macht – trotz aller Widrigkeiten.

Noch immer verdienen viele Onlinejournalisten viel weniger als ihre Printkollegen. Reisehonorare gibt es oft nur, wenn die Geschichte auch wirklich auf nach Druckerschwärze duftendem Papier erscheint. Daniel Stahl fasste vor einigen Wochen in einer Petition an die deutschen Zeitungsverleger die Meinung von 1.700 Unterzeichnern zusammen: „Mit einem Billiglohn wollen Sie unsere Berufsaussichten kaputtsparen.“ Dabei gibt es wenige westliche Länder, deren Medien es finanziell derzeit so gemütlich haben. Doch statt die Zukunft der Medien mitzugestalten, lehnen wir Deutschen uns lieber ideenlos zurück.

Wir bewundern den „Guardian“ mit seiner hübschen Website, und ab und zu fragen wir uns, warum wir so etwas nicht auch haben. Wir schauen BBC und CNN statt n-tv und N24, wenn etwas in der Welt passiert. Dann regen wir uns kurz auf, dass es so etwas bei uns nicht gibt. Und dann ist schnell wieder alles ganz normal.

Nichts ist normal. Manchmal habe ich das Gefühl, ich lebe in einem Rentner-Medienland, in dem die Devise gilt: Um Gottes willen, nur nicht aus der Routine ausbrechen! Wenn die Welt zuschaut, wie in anderen Ländern Diktatoren fallen, schaut Deutschland eben „Traumschiff“. Was soll’s.

Das sind die Momente, in denen ich denke, dass mehr junge Journalisten diesem Land ganz gut tun würden. Wenn man tolle Dinge mit diesem Internet anstellen will, dann sollte man jenen eine Chance geben, die damit aufgewachsen sind. Einem jungen Journalisten einfach zu vertrauen, ist natürlich immer auch eine Gratwanderung. Das kann auch schiefgehen.

Wir taugen nicht als billige

Ersatzschreiber

Mit 15 Jahren durfte ich für eine größere Lokalzeitung meinen ersten Außenpolitikartikel schreiben: einen Aufmacher über den Niedergang Amerikas – basierend auf Nachrichtenagenturmeldungen und den analysierenden Worten eines pubertierenden Zehntklässlers. Es ist dann auch wirklich alles so erschienen, wie ich es geschrieben hatte.

Heute frage ich mich, was sich der damalige verantwortliche Redakteur dabei gedacht hat: War das nun Mut oder Faulheit? Sollte ich glücklich über so eine Referenz sein – oder traurig, weil ich seitdem den Politikteil dieser Zeitung in den Mülleimer werfe? Ich möchte nicht, dass ein 50-jähriger Redakteur einem 15-Jährigen blind vertraut und einfach druckt, was er schreibt.

Zwar möchte ich so viel wie möglich ausprobieren können. Aber vor allem möchte ich kritisiert werden, lernen und mit Texten scheitern dürfen, wenn sie nicht gut genug sind. Praktika, bei denen junge Journalisten als billige Ersatzschreiber missbraucht werden, bringen niemandem etwas.

Es geht auch anders. Nur ist das leider teurer. Ich selbst würde zum Beispiel gerne einmal zusammen mit einem Profijournalisten auf eine Recherchereise gehen. Ich würde ihm dann erklären, was ich gerade twittere. Warum ich neben meinem Schreibblock auch eine Videokamera und ein Mikrofon eingepackt habe. Er könnte mir hingegen beibringen, wie er mit Interviewpartnern umgeht. Wie er Fehler in Texten vermeidet.

Wäre ich Chefredakteur einer deutschen Zeitung, würde ich alle Praktika durch ein zeitgemäßeres Modell ersetzen. Ich würde junge und alte Journalisten gemeinsam auf eine Recherche schicken, um sie gleichermaßen voneinander lernen zu lassen. Sie haben sich einiges zu erzählen.

Wenn wir deutschen Journalisten Print und Online endlich versöhnen, dann könnte „Journalism made in Germany“ schon bald als fortschrittlich gelten. Es wäre beruhigend zu wissen, wenn die Leute vom „Guardian“ oder der „New York Times“ morgens auch mal auf deutsche Seiten klicken würden und ins Staunen gerieten.

Erschienen in Ausgabe 09/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 27 bis 51. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.