Die Wechsel der letzten Monate waren teils spektakulär. „Handelsblatt“-Vize Hermann-Josef Knipper ging als Kommunikationschef zur Allianz, „Bild“-Wirtschaftsressortleiter Oliver Santen als Leiter der globalen Presseabteilung zu Siemens, HR-Börsenmann Michael Best als Kommunikationsleiter zur Deutschen Bundesbank, Sabine Adler vom Deutschlandfunk als Sprecherin zu Bundestagspräsident Norbert Lammert, Rolf Kleine, Leiter des „Bild“-Hauptstadtbüros, als Head of Public Affairs zum Immobilienunternehmen Deutsche Annington (s. S. 47).
Was früher einen faden Beigeschmack hatte, ist spätestens seit dem Wechsel Stefan Barons als Head of Communications zur Deutschen Bank im Jahr 2007 salonfähig. Und so haben allein in diesem Jahr schon über 70 Journalisten ihren Schreibtisch in der Redaktion gegen ein PR-Mandat eingetauscht. Die Motive sind dabei so vielfältig wie die Protagonisten. Während Branchenkenner Stefan Baron eher private Motive unterstellen, von „auscashen“ ist da die Rede, von „mehr Lebensqualität“ und der „Möglichkeit zu First-Class-Flügen nach China“, heißt es in Bezug auf Oliver Santen, er sei „an eine Decke gestoßen“. Ein Branchen-Insider kommentierte: „Wirtschaftsjournalismus ist nun mal nicht das Kerngeschäft von, Bild‘. Wenn Santen in diesem Bereich etwas werden will, hätte er wechseln müssen. Das ist aber wegen der strukturellen Feigheit vieler Chefredakteure nahezu unmöglich. Kein Chefredakteur der sogenannten seriösen Medien hätte Santen von der, Bild’-Zeitung weg eingestellt. Das könnte sich nach dem Umweg über die PR durchaus ändern.“ Auch über Hermann-Josef Knipper wird in der Branche gemunkelt. Kenner der Szene sagen, als Kommunikationsleiter „in zweiter Front“ habe er den „safe haven“ angesteuert, wo „Geld und Zukunft stimmen“, und sich gleichzeitig weitere Turbulenzen beim „Handelsblatt“ erspart.
Flucht vor der Verlagsmisere
Während viele Protagonisten schweigen und man darum gerade bei Top-Personalien auf die Meinung von Branchen-Insidern angewiesen ist, die natürlich lieber namenlos bleiben wollen, gehen andere Kollegen mit ihrem Wechsel in die PR offen um. Siegrid Eck von „W&V“ zum Beispiel. Ihre Motive für ihren Wechsel in die PR-Abteilung von Discovery Networks: „Führungsverantwortung, ein besseres Gehalt, mehr Gestaltungsfreiheit und eine fehlende Perspektive im alten Job.“
Perspektivlosigkeit oder Frust im alten Job sind häufig genannte Motive gerade derjenigen Kollegen, die nach ihrem Wechsel in die PR auch aus Rücksicht auf ihren neuen Arbeitgeber nur anonym über ihre Gründe sprechen: „Mir fehlten die Entwicklungsmöglichkeiten im Journalismus“, sagt ein früherer Ressortleiter. „Vieles hat sich zum Nachteil entwickelt. Zudem glaube ich, dass sehr viele Zeitungen, und hier vor allem die regionalen, einen wesentlichen strategischen Fehler machen: Sie werden oberflächlicher und boulevardesker, womit viele langjährige Leser vergrault und trotzdem junge Leser nicht gewonnen werden. Viele Zeitungen setzen für mich die falschen Schwerpunkte.“
Desillusion spricht auch aus der Antwort des früheren Redakteurs einer großen Wirtschaftszeitung: „Ich war schon länger auf dem Absprung. Der Grund war die Perspektivlosigkeit in meinem Job. Ich hätte mich sicher irgendwie an den alten Job klammern und dort auch bleiben können, aber dafür fühlte ich mich zu jung. Wenn ich nur noch ein paar Jahre bis zur Rente gehabt hätte, hätte das sicher anders ausgesehen.“
„Der Sparwahn in den Medienhäusern ist schuld, dass sich gute Journalisten vermehrt nach Alternativen umschauen“, sagt Richard Gaul, früher selbst Journalist, langjähriger BMW-Kommunikationschef und heute als Kommunikationsberater tätig. Langfristig setze die Branche damit ihre Existenz aufs Spiel. Was Einsparungen gerade für den redaktionellen Mittelbau bedeuten, aus dem sich viele Wechselwillige rekrutieren, hat Metro-Kommunikationsleiter Michael Inacker Mitte März im „medium magazin“-Streitgespräch mit Ursula Weidenfeld erklärt (siehe Heft 4+5/2011): „Viele Journalisten, die ich erlebe, leiden unter Zeitdruck. Ein Korrespondent muss sich bei mittelgroßen Zeitungen doch um Dutzende Unternehmen parallel kümmern. Da bleibt oftmals nicht die Zeit, um komplexe Fragen zu behandeln. Es schleichen sich Flüchtigkeitsfehler ein. Verlagshäuser kürzen an den Redaktionsetats und das führt dazu, dass sich viele gute Köpfe aus dem Journalismus verabschieden.“ Eine Entwicklung, die Jörg Howe, Head of Global Communications bei Daimler, eigentlich in die Hände spielt, die er, früher selbst Journalist, aber kritisch beobachtet: „In den Redaktionen, gerade im Print, herrscht ein immenser Druck. Den Kollegen wird immer mehr abverlangt, zugleich verschwindet das Gefühl, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Digitale Medien tragen mit ihrer Schnelligkeit dazu bei, den Druck auf die Journalisten noch zu erhöhen. Deshalb erscheint vielen die Unternehmens-PR wie ein sicherer Hafen.“ Seinen eigenen Wechsel 2004 kommentiert Howe heute mit den Worten: „Für mich war zum Ende meiner Sat.1-Zeit – ich war Chefredakteur und der Posten wurde nach meinem Ausscheiden gestrichen – klar, dass Informationsprogramme im privaten Fernsehen keine Zukunft haben würden. Deshalb war ich an etwas Neuem interessiert.“
Vom Headhunter gesucht
Eine „Rette sich, wer kann“-Stimmung in den aktuellen klassischen Medien attestiert auch Dieter Weirich. Der frühere Deutsche-Welle-Intendant und heutige HSE-Kommunikationschef spricht von „teutonischem Sicherheitsbewusstsein“, das für die erhöhte Wechselbereitschaft von Journalisten in die PR verantwortlich sei: „In der Regel geht’s um Geld, Perspektive und Sicherheit.“ Doch wie kommt man an einen der derzeit so begehrten Jobs in der PR? Ex-„stern“-Vize Oliver Hergesell bekam das Angebot, Pressesprecher und Vicepresident Media and Investor Relations bei Bertelsmann zu werden, seinerzeit am Telefon: „Der Anruf kam überraschend. Ich kannte den Anrufer gut. Es war der Kommunikationschef eines Unternehmens, über das ich in einem früheren Job regelmäßig berichtet hatte. Ich kannte ihn als seriösen Gesprächspartner, stets gut informiert, nie unfreundlich, gelegentlich hart im Geben. Er fragte mich:, Können Sie sich vorstellen, Pressesprecher zu werden?‘“ Nach dem Angebot, so beschreibt es Hergesell in der „Netzwerk Recherche“-Werkstatt „Getrennte Welten“ (siehe Linktipp), habe er nicht lange überlegen müssen, da im Journalismus kein anderer interessanter Job in Reichweite gewesen sei: „Wie üblich machte ich die Entscheidung an den handelnden Personen fest und an der Aufgabe. Die Konditionen stimmten auch.“ Hergesell arbeitet heute übrigens als Executive Vice President Corporate Communications, Public Affairs & Marketing der RTL Group.
Alte Arbeitsbeziehungen
Während bei vielen Wechslern aus dem aktuellen Journalismus in Politik und Wirtschaft eine persönliche Beziehung und Wertschätzung aus der Tagesarbeit eine Rolle spielen, haben bei anderen gemeinsame Projekte mit dem künftigen Chef zum Jobangebot geführt: Matthias Arning etwa hat mit der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth gemeinsam das Buch „Aufstand der Städte“ geschrieben, kurze Zeit später war er ihr Sprecher. Der freie TV-Autojournalist Mayk Wienkötter wurde von Jaguar/Land Rover-Deutschland-Chef Peter Modelhart angesprochen, nachdem sie zusammen eine DVD für autobild.tv herausgebracht hatten. Seither arbeitet Wienkötter als Produkt- und Markensprecher in der Presseabteilung der Autofirma.
Die meisten „Seitenwechsler“ werden also gefunden, entweder direk
t vom neuen Chef oder von einem Personalberater wie Philipp J. Fleischmann. Früher selbst Journalist und Verlagsmanager, sucht er heute im Auftrag seiner Klienten nach Führungskräften für die Kommunikationsbranche, meist der ersten, seltener der zweiten Ebene. Immer mehr Journalisten, erzählt er, melden sich bei ihm, weil sie auf die andere Seite wollen (s. Interview S. 29). Dabei seien es vornehmlich Ressortleiter, Büroleiter, Korrespondenten oder Top-Journalisten, weniger Chefredakteure, die in seine Datenbank aufgenommen werden wollen. Doch nicht jeder Wechselwillige ist für Fleischmann auch ein interessanter Kandidat: Die Fähigkeit für Dritte zu kommunizieren, Managementerfahrung und strategische Kompetenz seien Grundvoraussetzungen, um mit Kandidaten aus der Unternehmenskommunikation oder aus PR-Agenturen um die Topjobs zu konkurrieren. Oft falle die Entscheidung letztlich aber trotzdem zugunsten des Bewerbers aus der Unternehmenskommunikation: „Journalisten besitzen ihre Stärken in der Pressearbeit und in ihren Netzwerken. Sie haben aber selbst als Führungskraft oft geringer ausgeprägte Managementerfahrungen als zum Beispiel ein Kandidat, der als Leiter eines Corporate-Communication-Bereichs eines DAX-Unternehmens gelernt hat, 150 bis 250 Mitarbeiter und Manager weltweit zu führen. Hinzukommt, dass erfolgreiche Kommunikationschefs das politische Spiel in einem Konzern beherrschen, die Abläufe kennen und mit Weitblick zu Werke gehen müssen. Kommunikation besitzt strategische Bedeutung und ist deshalb in direkter Nähe zum CEO angesiedelt.“
Keine Einbahnstraße mehr
Fehlende Managementkompetenz, politische Ränkespiele, häufig wechselnde Themengebiete, diversifizierte Zielgruppen, ein schwieriger Vorgesetzter oder CEO sind nur einige der Stolpersteine für Journalisten, die auf die PR-Seite wechseln. Was als „safe haven“ für die letzten Berufsjahre gedacht ist, endet daher nicht selten als Trennung in „Freundschaft“ oder „bestem Einvernehmen“. Hans Christoph Noack etwa, der bei der FAZ viele Jahre u.a. über Fluggesellschaften schrieb und mit 54 Jahren als Director Corporate Communications zu Air Berlin wechselte, war seinen Job nach nur 22 Monaten im Herbst letzten Jahres wieder los. (update: Seit 1.10.2011 ist er Geschäftsführer der SK medienconsult GmbH in Düsseldorf). Und auch Oscar Unger, früherer Lokalleiter der „Frankfurter Neuen Presse“, sitzt schon elf Monate nach seinem Amtsantritt im November 2010 nicht mehr auf dem Stuhl des Leiters Externe Kommunikation bei Mainova.
Den sicheren Job gibt es also auch in der PR-Branche nicht, oder wie Dieter Weirich es ausdrückt: „Jeder Wechsler muss wissen, dass die Halbwertszeit eines Spitzenpolitikers als Minister beispielsweise im Schnitt vier bis fünf Jahre beträgt. Danach kommt ein Neuer, der in der Regel einen Vertrauten mit ins Amt bringt. In der Wirtschaft dauert das häufig auch nicht länger. Die Zeiten, wo Parteien oder Unternehmen sich intensiv um Anschlussverwendungen abgelöster Sprecher kümmerten, sind vorbei.“ Und Kommunikationsberater Norbert Essing ergänzt: „Das Erste, was bei einem Wechsel auf die Unternehmensseite eingerollt wird, ist der rote Teppich. Viele Journalisten haben bei Pressekonferenzen oder Interviews nur die Sonnenseite der PR erlebt. Wie hart die Arbeit hinter den Kulissen ist, wird oft unterschätzt. Für manchen Kollegen ist der Praxisschock so groß, dass die Rückkehr in den Journalismus schon nach wenigen Monaten wieder als Option im Raum steht.“
Der Seitenwechsel ist heute längst keine Einbahnstraße mehr. „Der Weg ist – inzwischen und glücklicherweise – grundsätzlich offen in beide Richtungen“, sagt Richard Gaul. Der langjährige BMW-Kommunikationschef meint sogar, dass Verlage heute gut beraten wären, für Führungsaufgaben in ihren Häusern auch mal den einen oder anderen PR-Chef wieder zurückzuholen, denn der könne beides: eine Mannschaft führen und journalistisch arbeiten. Einwände, dass die Ex-PRler zurück im Journalismus in ihrer Objektivität nicht mehr vertrauenswürdig sind, werden abgetan: „Warum soll ein Kommunikationschef aus der Luftfahrt in einer neuen Rolle nicht einen kritischen Kommentar zu ebendiesem Thema schreiben können?“, fragt auch der Kommunikationschef des Energieunternehmens HSE Dieter Weirich. Mit jeder Aufgabe sei doch ein neues originäres Rollenverständnis verbunden. Ohnehin sei das Thema PR-Wechsler in der Vergangenheit eher Dauerbrenner für moralisierende Gewerkschaftsfunktionäre oder Journalisten-Netzwerke gewesen: „Die Branche selbst ist da längst weiter.“
Link:Tipps
Die Werkstatt „Getrennte Welten“ des „Netzwerk Recherche“ gibt es als PDF unter http://bit.ly/jsXaFz
Tipps zum Umgang mit Headhuntern vom Pressesprecherverband: http://bit.ly/nlh8Nj
Medium:Online
Die komplette Umfrage unter ehemaligen leitenden Redakteuren wie Franz Kadell oder Andreas Henry finden Sie unter
www.mediummagazin.de, magazin+
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Fotos: BDL, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Erschienen in Ausgabe 10-11/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 27 Autor/en: Katy Walther | Fotos: BDL, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.