„Es ist ein heißer Ritt“

Herr Sauer, wie etabliert sind Führungskräftetrainings in Medienhäusern und Verlagen?

Christian Sauer: Die Zahl solcher Trainings für das mittlere und obere Redaktionsmanagement nimmt eindeutig zu, denn in den Geschäftsleitungen und Chefredaktionen sitzen heute überwiegend Leute, die selbst Führungstrainings absolviert haben. Kaum ein Chefredakteur kommt heute noch völlig unbeleckt von Führungswissen in seine Position. Das Bewusstsein für den Sinn und Nutzen von Kommunikations- und Führungstrainings ist gestiegen. Man hat verstanden, was es kostet, wenn ein Ressort oder eine Redaktion schlecht geführt wird. Ich höre jedenfalls kaum noch von Häusern, die blind dem alten Motto folgen: Ein guter Journalist ist automatisch auch ein guter Redaktionsleiter.

Welche Qualifikationen brauchen Führungskräfte in den Redaktionen heute?

Führungskraft zu werden bedeutet immer, sich selbst in einer ungewohnten Rolle neu zu begegnen. Es reicht nicht mehr, als Journalist von Ausgabe zu Ausgabe gute Arbeit abzuliefern. Man muss jetzt Konzepte entwickeln, strategisch denken. Und man muss plötzlich Menschen überzeugen und mitnehmen. Wenn jemand glaubt, das sei unnötig, weil man ja als Chef par ordre du mufti bestimmen könne, wird er scheitern. Der Vorrat an Machtworten ist erstaunlich gering.

In Redaktionen kann schon aus Zeitmangel nicht jede Entscheidung ausdiskutiert werden.

Schnelle Entscheidungen müssen sein, dazu ist die Hierarchie da. Aber es brennt ja nicht dauernd. Im Alltag kommt es darauf an, mit Argumenten zu führen. Wer selbstbewusste, kreative Journalisten im Team haben will, muss sie stark machen. Andererseits gehört zur Führungskompetenz auch ein gesunder Durchsetzungswillen. Je höher man in der Hierarchie kommt, desto wichtiger wird das. Ein Chefredakteur, der lieb ist, ist keiner, hat Peter Merseburger mal gesagt. Manchmal sind klare Ansagen der Schlüssel zum Erfolg. Auch das ist für viele angehende Führungskräfte ein Lernprozess.

Da wirkt ein Leitungsjob begrenzt attraktiv.

Jeder sollte sich in den ersten Jahren überlegen, ob er auf dem Weg weitergeht. Denn obendrein muss man ja auch noch ein gutes Selbstmanagement entwickeln, sonst rackert man sich geradewegs in Tinnitus oder Burn-out hinein. Gerade die kommunikativen Führungskräfte, die gut überzeugen können, sind da gefährdet. Alles zusammengenommen muss man als Führungskraft auf sehr vielen Ebenen dazulernen und sich weiterentwickeln. Sicher, es gibt Schmerzensgeld, Privilegien und Renommee. Aber es ist auch ein heißer Ritt.

Sollte man so ein Training einfordern?

Unbedingt. Nehmen wir nur mal die unterste Leitungsebene, den stellvertretenden Ressortleiter. Die Aufgaben, die so einer zusätzlich übernimmt, sind komplex. Wie gestaltet er seine Stellvertreterrolle gegenüber dem Chef aus? Wie tritt er gegenüber dem Team auf, wenn er den Chef vertritt? Jeder, der Leitungsaufgaben übernimmt, sollte sagen: Wenn ihr wollt, dass ich das gut mache, dann gebt mir das Handwerkszeug dazu!

Wie lange sollte eine Schulung dauern?

Bei angehenden Führungskräften halte ich am meisten von einem Modulsystem, das über etwa ein Jahr hinweg belegt werden kann. Es gibt darin Standardelemente: Das beginnt bei Führungsmodellen und Techniken der Gesprächsführung und geht über das Selbstmanagement bis hin zum Projektmanagement und zur Budgetverhandlung. Das wären zum Beispiel fünf Module, mit denen jede redaktionelle Führungskraft gut gerüstet wäre. Darüber hinaus mache ich gute Erfahrungen mit einer Kombination aus Seminaren und Coaching. Das heißt, auch nach dem Seminar, wenn die Praxis wieder zuschlägt, kann sich der Führungsneuling Unterstützung holen.

Müssen weibliche Führungskräfte in den Trainings andere Dinge lernen als die Männer?

Frauen gelten heute bei vielen in der Branche als die besseren Führungskräfte. Da ist auch was dran, weil ihnen Argumentieren und Überzeugen oft leichter fällt als vielen Männern. Viele Frauen müssen in Führungstrainings jedoch lernen, Grenzen zu ziehen und sich durchzusetzen. Männer dagegen vertrauen manchmal zu sehr auf ihren Machtvorsprung.

ZUR PERSON
Christian Sauer ist Führungskräftecoach und Redaktionsberater in Hamburg. Er arbeitet als Dozent für Redaktionsmanagement an der Akademie für Publizistik in Hamburg, der ABZV in Bonn und in der internen Weiterbildung von Medienunternehmen. Er coacht Medienprofis vom freien Journalisten bis zum Chefredakteur. Der gelernte Tageszeitungsjournalist war 16 Jahre lang Reporter, Redakteur und Redaktionsleiter, zuletzt bis 2005 stellvertretender Chefredakteur des Magazins „Chrismon“. www.christian-sauer.net

Erschienen in Ausgabe 12/2011 in der Rubrik „Special. Ausbildung“ auf Seite 57 bis 57 Autor/en: Interview: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.