Mensch & Maschine

 

Interview: Tina Klopp

 

Frau Passig, Herr Glaser, haben Sie sich schon einmal gewünscht, ein Text von Ihnen für ein Printmedium wäre auch online erschienen?

Kathrin Passig: Jedes Mal wünsche ich mir das! Meine Eltern lesen meine Printtexte vielleicht noch. Von meinen Freunden nimmt die keiner mehr wahr.

Peter Glaser: Wirtschaftlich ist das Internet für Freiberufler aber kein Vergnügen. Was die Verleger mit den sogenannten Buy-out-Verträgen versuchen, erledigt das Netz von allein: Zweitverwertungen sind nahezu unmöglich geworden.

Der Preis für mehr Sichtbarkeit und bessere Verbreitung?

Glaser: Nein, darüber müssen wir mit den Redaktionen dringend diskutieren. Seit zehn Jahren gibt es eine Vereinbarung, dass Online-Verwertungen von Texten honoriert werden müssen. Niemand schert sich darum. Umgekehrt ist ein Artikel für eine Zweitverwertung gestorben, sobald ein Magazin ihn auch online bringt.

Stören euch die Leserkommentare unter euren Texten?

Glaser: Ganz im Gegenteil. Ich mache dieses Blog bei der „Stuttgarter Zeitung“. Wer in den Kommentaren justiziable Beleidigungen oder Hetze verbreitet, wird sofort gelöscht. Davon abgesehen ist es ein guter Ort, um auf transparente Weise Konflikte auszutragen.

Haben Sie beide nicht das Gefühl, dass die Texte beschädigt werden durch die Pöbel-Kommentare darunter?

Passig: Es hat gute Gründe, dass ausgerechnet die Kommentare unter Zeitungsartikeln zu den schlimmsten Pöbel- und Schmutzecken im Internet gehören. An vielen anderen Orten im Netz gibt es zivilisierte, intelligente Diskussionen. Nur die Zeitungen bekommen das nicht hin.

Woran liegt das?

Passig: Das Selbstverständnis von Journalisten ist bedroht. Da kommt ihnen die klare Zweiteilung ganz recht: hier der kluge Journalist, der sachlich argumentiert, da der tobende Pöbel, der keine Argumente hat. Mit mehr Moderation und technischen Mitteln bekäme man das besser hin.

Lesen Sie die Kommentare unter Ihren Artikeln wirklich gerne?

Passig: Früher war ich insgeheim froh, wenn mein Artikel ohne Kommentarmöglichkeit erschien. Ich finde es als Autor auch angenehmer, von der Kanzel herab zu predigen, und das Volk darf keine Widerworte geben. Man schreibt ja oft Quatsch.

Oder man hat einen Fehler drin, der sofort gefunden wird.

Passig: Sachliche Fehler sind nicht das Problem. Manchmal ist die Prämisse deines Textes schon falsch. Es ist unangenehm, wenn jemand darauf hinweist.

Klingt nach einem neuen journalistischen Rollenverständnis.

Passig: Früher war ich bemüht, mein Unwissen zu verschleiern. Neuerdings versuche ich transparenter zu machen, wovon ich keine Ahnung habe. Ich ginge gerne noch weiter. Am liebsten würde ich schon während des Schreibens Leute hinzuziehen, die besser Bescheid wissen als ich. Das könnte auf einer kollaborativen Plattform geschehen, auf der man Texte gemeinsam bearbeitet. Das wäre den Möglichkeiten des Netzes wirklich angemessen.

Dank des Internets wissen die Redaktionen jetzt sofort, welche Texte besonders gern gelesen werden. Eine Demokratisierung im Interesse der Leser?

Glaser: Das ist ein Alptraum! Und ich bete jeden Abend einen kleinen Dank, dass die „Stuttgarter Zeitung“ mir das nicht antut. Ich hätte Angst, dass nach zwei Monaten jemand sagte: „Guck dir mal die Kurve an, das waren die Artikel, die am besten gelaufen sind. In die Richtung geht es jetzt weiter!“ Dann landet mein Blog innerhalb kürzester Zeit bei einer Textversion von RTL2.

Ist das zwangsläufig so?

Glaser: Ich kann messen, was viel gelesen wird. Manchmal schreibe ich zum Spaß Boulevard- oder Sexgeschichten. Und das funktioniert, das wollen die Leser. Aber ich will was anderes.

Passig: Ich hätte gern einen Ausdruck für dieses Phänomen: Es gibt Elemente, die werden von allen gewünscht, aber von niemandem genutzt. Wie das Feuilleton in der Zeitung. Es gibt ja genug Messungen, wonach das nicht gelesen wird. Die Leute kaufen trotzdem die Zeitung, weil sie sagen: „Die hat so ein gutes Feuilleton.“ Bei Blogs funktioniert das nicht anders.

Viele beklagen die „Entbündelung“: Der Leser hat nur noch bestimmte Ressorts oder Autoren abonniert, nicht mehr die ganze Zeitung. Er hört auf die Empfehlungen seiner Freunde – und läuft mit Scheuklappen durchs Netz, stößt immer auf die gleichen Inhalte.

Passig: Das ist schon ein wenig scheinheilig. Als hätte man früher mehr erfahren, wenn man eine einzelne Zeitung abonniert hatte. Zum einen sind die Autoren und Blogs selbst ja nicht entbündelt. Zum anderen ist die Auswahl heute viel größer, der Leser bekommt also viel mehr zu sehen als früher.

Führt das zu einer Informationsüberflutung?

Glaser: Bei der Informationsüberflutung wird von Kulturpessimisten unterstellt, bei dem Mehr an Informationen handele es sich automatisch um Müll – für mich ist das Gegenteil der Fall. Ich bin dreizehn Stunden am Tag im Netz, und davon verbringe ich bis zu sechs Stunden mit dem Lesen und Entdecken. Ich habe auf meinem Reader 600 Blogs, und habe einen regelrechten Darwinismus entwickelt: Nur was sich über Jahre bewährt, bleibt ganz oben im Reader.

Schaut man den Wettbewerb unter den Redaktionen im Netz an, scheint es vor allem um Aktualität zu gehen.

Passig: Mich bedrückt der Anblick bei Google News: Mitunter erscheinen tausend fast identische Texte zu einem einzelnen Thema. Und hinter jedem dieser Artikel steht ja ein Mensch, der den produziert hat. Es fließt so viel Arbeit in sinnlosen Quatsch.

Glaser: Die Nachrichten-Ticker und die Eilmeldungen, die jetzt modern erscheinen – sie kommen eigentlich aus der Steinzeit, also aus der Telegrammzeit-Ära. Es gibt da diesen klugen Satz: Information ist schnell, Wahrheit braucht Zeit. Ob ich jetzt fünf Minuten früher weiß, dass Bin Laden erschossen wurde, ist irrelevant. Durch die Konkurrenzsituation wird die Wirklichkeit verzerrt, weil jeder muss noch einmal mehr auf die Tube drücken, die News noch einmal dicker aufblasen.

Haben Sie beide selbst auch das Gefühl, Sie müssen immer schneller immer mehr Texte liefern?

Glaser: Selbst wenn man wollte – man kann das nicht ohne Ende so treiben. Die Leute sind bald überfüttert, wenn sie deinen Namen an jeder Ecke lesen.

Wird Journalismus dadurch auch mechanischer?

Glaser: Mit Kreativität oder journalistischer Qualität hat diese Nachrichtenmaschinerie jedenfalls nichts mehr zu tun. Genauso wenig wie die Suchmaschinenoptimierung. Das stört mich an Google. Auf eine freundliche aber doch unerbittliche Art wird man da gezwungen, für die Maschine zu schreiben. Sonst landest du nicht auf der ersten Seite der Google-Treffer.

Wird der technische Fortschritt die Arbeit von Journalisten auch direkt bedrohen?

Glaser: Seit einem Jahr verkauft eine amerikanische Firma einen Algorithmus, der automatisch Sportreportagen schreibt. Dabei entstehen keine Kunstwerke, eher Standardartikel. Aber in Umfragen hielten die meisten Leser sie für die Artikel von echten Menschen. Der Algorithmus soll noch verfeinert werden. Mit Hilfe eines Schiebereglers können die Leser zwischen einem wärmeren und einem cooleren Ton ihrer Reportage wählen. Die Frage für Journalisten könnte künftig lauten: Wo kann ich die Maschine noch schlagen? Wie schreibe ich einen Blog, der nicht algorithmisierbar ist? Denn was sich in einen Algorithmus verwandeln lässt, wird über kurz oder lang auch automatisiert.

Und wie sieht das Layout der Zukunft aus?

Passig: Das wird keine Rolle mehr spielen. Es gibt ja jede Menge Browser-Add-Ons oder Software wie „Readability“, mit der sich jeder Leser den Text so anzeigen lassen kann, wie er selbst ihn sehen möchte.

Meinen Sie, man wird für Inhalte im Netz künftig bezahlen müssen?

Glaser: Ich bin der „New York Times“ sehr dankbar für ihre Paywall. Ich habe viel zu viel gelesen und filtere jetzt strenger. Nein, im Ernst: Ich glaube nicht, dass sich das eine oder andere Modell durchsetzen wird. Es wird Mischformen geben.

Haben Sie denn Ideen, wie sich Journalisten in Zukunft finanzieren könnten?

Passig: Für meine Art von Journalismus sehe ich nicht mehr die größte Zukunft. Zum einen braucht es immer weniger Menschen, die den gleichen Text auch noch mal für die dreißig anderen Medien schreiben. Einer reicht. Zum anderen gibt es viele Fachleute, die ihre Inhalte kostenlos im Netz anbieten.

Glaser: Das empfinde ich als Herausforderung für mich als Autor. Ich muss bessere Inhalte liefern, die eine Bezahlung rechtfertigen.

Passig: Das wäre für mich entspannter, wenn ich wirklich ein Spezialthema hätte. Aber ich bin ein Hans Dampf in allen Gassen. Das ist nicht das zukunftssicherste Modell.

Ersetzen Blogger doch zunehmend den Journalisten?

Passig: Im Zweifelsfall lese ich selbst lieber direkt bei dem, der sich auskennt. Der Journalist kennt sich mit dem Schön-Machen von Informationen aus, aber nicht mit dem Inhalt.

Ist dafür wenigstens die Zeit vorbei, in der auf Blogger und Online-Journalisten herabgeschaut wurde?

Glaser: Natürlich werden Online-Journalisten, weil sich mehr im Netz abspielt, bald zur Hauptsache. Aber das wird leider nicht mit steigenden Honoraren einhergehen. Die Bezahlung ist ja das Problem am Online-Journalismus. Ich schreibe zum Beispiel für heute.de – und die zahlen 150 Euro pro Text. Das ZDF! Für einen Text mit 4.000 Zeichen, an dem ich mitunter zwei Tage lang sitze.

Sind Sie selbst denn bereit, für Online-Inhalte zu bezahlen?

Glaser: Ich zahle jeden Monat fünf Euro an den „Perlentaucher“. Die schenken mir kostbare Lebenszeit, weil sie die Zeitung für mich lesen.

Passig: Ich bezahle für Thomas Wiegold von augengeradeaus.net. Früher war er ganz regulärer Printjournalist, jetzt versucht er sich zu finanzieren, indem er sich direkt von seinen Lesern bezahlen lässt.

Glaser: Theoretisch klingt die Selbstvermarktung ja ganz verheißungsvoll – weil du den Mittler ausschaltest, der normalerweise am meisten an deiner Arbeit verdient. Aber zu wenige Menschen wären bereit, für einen Blog zu bezahlen.

Wäre so ein Blog zumindest formal ein Modell für zeitgemäßen Journalismus?

Passig: Wiegold schreibt als Spezialist über Dinge, die ich nie in der Zeitung lesen könnte. Er schreibt ausschließlich über deutsche Militäreinsätze im Ausland. Und er vertieft ein Thema schrittweise, in eher kurzen Blogbeiträgen.

Was ist an Blogbeiträgen besser als an Artikeln?

Passig: Er trägt nach und nach Fakten und Bausteine und Aspekte zusammen. Das finde ich wesentlich hilfreicher als das Geschichtenerzählen auf Biegen und Brechen. Mir ist dieses „Storytelling“ immer mehr zuwider.

Werden auch zu viele Geschichten gemacht, weil der Journalist sie gerne machen will – weil man irgendwo hinreisen, Prominente treffen oder eine prestigeträchtige Seite 3 schreiben darf?

Passig: Ich habe mich vor kurzem mit Timm Klotzek, der ja jetzt das „SZ-Magazin“ leitet, über ein Thema ausgetauscht. Er fragte mich, wohin man dafür denn reisen müsste. Mir war die Vorstellung völlig fremd, dass dafür Geld übrig sein könnte. Und dass man tatsächlich in das Land reist, um dort etwas herauszufinden – was man sowieso viel besser googeln könnte.

Es geht darum, mit echten Menschen zu reden, oder?

Passig: Ich finde schon die Vorstellung absurd, dass man bei einem Interview persönlich anwesend sein muss. Am Ende wird ein Interview ja fast nie so gedruckt wie es tatsächlich geführt wurde.

Finden Sie ein E-Mail- oder Skype-Interview etwa besser?

Passig: Natürlich! Ich habe doch viel mehr Zeit, mir eine kluge Antwort zu überlegen und im Zweifel noch mal nachzulegen. Beide Seiten sparen viel Zeit und Geld. Von den Optimierungsprozessen profitiert auch der Leser.

Wäre es vielleicht sinnvoll, Journalisten machten noch viel mehr moderne Sachen, wie digitale Briefkästen einrichten für Geheimnisverräter oder Datenjournalismus betreiben?

Glaser: Das wird am Geld scheitern. Ich sollte eigentlich auch dringend einmal lernen, wie ich ein eigenes WordPress-Blog aufsetze. Aber ich habe keine Zeit dazu.

Aber müssten die Verlage nicht gerade jetzt mehr in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter investieren?

Passig: Ich glaube da nicht mehr dran. Ich habe ironischerweise in den letzten sechs, sieben Jahren hauptsächlich von der Printbranche gelebt, einer Branche, in die ich selbst kein großes Zutrauen mehr habe. Denn Content wird nicht mehr das knappe Gut sein, mit dem man in Zukunft noch besonders gut Geld verdienen kann.

Sondern?

Passig: Die persönliche Anwesenheit des Autors wird immer mehr zu dem knappen Gut, für das auch bezahlt wird. Ich würde viel lieber Texte schreiben und möchte, dass die Leute sie lesen. Dieser ganze Personenkult ist mir egal bis unsympathisch. Aber in letzter Zeit haben vor allem Vorträge und T-Shirts immer mehr zu meinem Lebensunterhalt beigetragen. Wie bei Musikern: Liveauftritte und T-Shirt-Verkauf sind das, wodurch das Geld hereinkommt. Ich habe beschlossen, in Zukunft mehr Vorträge zu halten. Und ich lasse mich jetzt auch coachen. Ich investiere selbst Geld, aber um mich in eine andere Richtung weiterzuentwickeln.

Also ist Journalismus so etwas wie: Ich bleibe im Gespräch und bin bekannt, aber ich verdiene nicht mehr direkt damit?

Passig: Ich merke das ja an mir selbst. Ich lese zu 95 Prozent Content, der von irgendwem kostenlos und zum Spaß erzeugt worden ist. Ich habe seit 20 Jahren keine Zeitung mehr abonniert und seit zehn Jahren keine Zeitung mehr gekauft. Ich bin als Leser der Mensch, von dem ich als Autor nicht leben kann.

Und vielleicht auch die Zukunft der Leser überhaupt.

Passig: Da ich in den letzten 20 Jahren in allen Fragen der Digitalisierung meistens die Zukunft war, gehe ich mal davon aus, dass dieser Trend sich fortsetzen wird.

Glaser: Ein Kollege von mir nimmt erstaunlich viel Geld damit ein, dass er auf seinem eigenen Blog hinter jedes Wort so einen Affiliate-Link setzt, also zu einem Partner verlinkt, der ihn dann am Verkaufserlös der beworbenen Produkte beteiligt.

Passig: Wenn ich meine eigenen Bücher bewirbe über ein Amazon-Partnerprogramm, dann kriege ich aus dem Partnerprogramm genauso viel Geld wie vom Verlag für das verkaufte Exemplar. Und bei T-Shirts ist es sogar sieben Mal so viel.

Glaser: Die Italiener haben ja schon vor Jahren angefangen, auf jede Zeitung eine Packung Nudeln oder ein anderes Gadget zu kleben. Wenn das Objekt selbst verschwindet, also das Buch und die Zeitung, und alles immer immaterieller wird, muss es Ersatzobjekte geben. Fetische, die dich daran erinnern, dass es überhaupt noch Dinge gibt.

Aber warum sind die Leser scheinbar nicht bereit, für die eigentliche Ware, also den interessanten Gedanken zu bezahlen?

Passig: Der Großteil der Umsätze mit Zeitungen und Büchern hat nicht so viel mit den interessanten Gedanken an sich zu tun, sondern mit der Vorstellung, dass man eine Idee greifen und behalten kann. Im Zweifel reicht es dafür, ein Buch zu kaufen und ins Regal zu stellen, man muss es nicht einmal gelesen haben. Und durch den Kauf einer Zeitung oder durch ein Abo kauft man sich die Illusion, informiert zu sein.

Einen Text wirklich zu lesen ist hingegen anstrengend, man hat das Gefühl, dafür nicht auch noch bezahlen zu müssen.

Passig: Und in den meisten Fällen stehe ich am Ende sogar schlechter da als vorher. Es ist okay zu wissen, dass ich nichts weiß über Griechenland und das Euro-Problem. Sobald ich aber ein paar Artikel dazu gelesen habe, müsste ich eigentlich das Gefühl haben, endlich mitreden zu können. In Wirklichkeit weiß ich dadurch aber eher noch viel weniger und bin verwirrter als zuvor.

Hat sich die Situation für freie Journalisten in den letzten Jahren eher verbessert oder verschlechtert?

Glaser: Wenn ich lese, dass der Jahreszeitenverlag ganze R
edaktionen rauswirft, geht es mir besser als dem Festangestellten. Denn mich kann so etwas nicht mehr schocken. Ich bin jetzt seit 30 Jahren Freiberufler. Und wir Einzelkämpfer sind heute viel besser organisiert. Bis vor kurzem gab es da nur die Journalistengewerkschaften, die mit veralteten Methoden kämpfen. Jetzt gibt es die „Freischreiber“.

Passig: Ich bin nicht bei den Freischreibern, aber ich war auf ein paar Treffen. Das ist eine fortschrittlichere Organisation als die Gewerkschaft, das stimmt. Aber ich hatte den beunruhigenden Eindruck, dass auch sie einem Bild vom Journalismus nachhängen, den es so nicht mehr gibt.

Ist es ein Problem der Freischreiber, dass auch sie lieber festangestellt wären?

Glaser: Ich bemerke da eher etwas angenehm Kämpferisches. Ich habe ja selbst zwei Jahre beim „stern“ gearbeitet und dann gesagt: „Ich gehe wieder nach Hause, ich will wieder arbeiten.“ Die Simulation von Beschäftigung ist auf Dauer auch anstrengend.

Passig: Auch die Freischreiber begreifen Journalismus zu wenig als Prozess. Ich rede nicht über die alte Trennung zwischen Bloggern und Journalisten, sondern über die Trennung zwischen Dialog und Durchsage. Journalismus beruht noch immer auf dem Durchsage-Modell.

Glaser: Vielleicht dauert der Übergang länger, als wir gedacht haben. Und ich würde ja umgekehrt sagen, wir sind heute alle gezwungen, ein bisschen Journalist zu sein.

Passig: Das ist demokratietheoretisch natürlich sehr schön. Aber keine beruhigende Perspektive aus Sicht eines Journalisten, der mit seiner Arbeit gerne Geld verdienen würde.

 

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DIE INTERVIEWPARTNER

Peter Glaser
Er lebt als freier Autor in Berlin-Spandau. Er ist Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, betreibt für die „Stuttgarter Zeitung“ den Blog „Glaserei“ und begleitet seit Jahren publizistisch die Entwicklungen der Welt, insbesondere der digitalen. 2002 gewann er den Ingeborg-Bachmann-Preis. Von 2003 bis 2007 saß er in der Jury des Grimme Online Award. Er spielt mit in dem aktuellen Stück „Hermanns Battle“ des Theaterkollektivs Rimini Protokoll. Glasers Blog „Glaserei“ bei der „Stuttgarter Zeitung“: http://blog.stuttgarter-zeitung.de

Kathrin Passig
Die Berlinerin schreibt Bücher, etwa mit Sascha Lobo „Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin“ und mit Aleks Scholz und Kai Schreiber „Das neue Lexikon des Unwissens“. Ihr Blog „Riesenmaschine“ gewann 2006 den Grimme Online Award, im selben Jahr gewann sie auch den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt. Sie ist Mitbegründerin der Zentralen Intelligenz Agentur, die sie aber inzwischen verlassen hat. Auf zufallsshirt.de verkauft sie T-Shirts für 17,40 Euro – Unikate, die bei jedem Seitenaufruf neu designt werden. http://riesenmaschine.de

Erschienen in Ausgabe 12/2011 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 26 bis 27 Autor/en: Interview: Tina Klopp. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.