Die Saison der roten Teppiche

Los Angeles. Von Januar bis zur Oscar-Verleihung Ende Februar touren sie durch Hollywood wie ein Wanderzirkus und posieren auf einem roten Teppich nach dem anderen: die für Preise der Filmindustrie nominierten Stars. Ich habe mich in diesem Jahr nicht mehr um Akkreditierungen für diese Ereignisse beworben. Mir fehlt die Motivation, mit anderen Auslands-Radio-journalisten in Abendgarderobe zusammengepfercht wie Kühe in Massentierhaltung in einem von Klebeband markierten Mini-Quadrat am äußersten Ende des roten Teppichs vorbeieilenden Stars hinterherzubrüllen. „Javier Bardem, eine kurze Frage!“ „Natalie!“ „Angelina!“ „Brad!“ Beim ersten Termin am roten Teppich freute ich mich noch über den Platz direkt am Eingang. „Hier kommen ja alle vorbei! Super!“ Schnell hab ich gelernt, dass die Betonung auf VORBEI liegt. Wenn die Stars die Eingangstür erreichen, haben sie US-Fernseh-Promishows schon zig Interviews gegeben und werden von Publizistinnen mit eisernem Blick an dem zerknitterten Haufen Auslandsjournalisten vorbeigesteuert. Wer Glück hat, erhascht ein bedauerndes Achselzucken von Natalie, Javier, George oder Angelina. Nicht sehr nützlich fürs Radio! In diesem Jahr ersparte ich mir das, hatte abseits des roten Teppichs interessantere Begegnungen. Zum Beispiel als ich fragte, warum fast keine Farbigen für einen Oscar nominiert sind, wo in Hollywood selbst noch Filme gedreht werden und ob der erneut für einen Oscar nominierte deutsche Filmkomponist Hans Zimmer ein Erfolgsrezept hat. Die positive Überraschung: Dafür gibt’s tatsächlich mehr Interesse als für Aufsager vom Abgrund des roten Teppichs.

Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 16 bis 16. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.