Geschlossene Gesellschaft

Schon der Name soll provozieren, wenigstens zum Nachdenken: Die „Neuen deutschen Medienmacher“ (NdM) vertreten Journalisten mit Migrationshintergrund, als Verein und Netzwerk. In den Redaktionen tauchen die „neuen Deutschen“ bislang kaum auf.

Fast jeder vierte Deutsche hat Studien zufolge inzwischen ausländische Wurzeln – unter Journalisten aber liege der Anteil bei „höchstens 1,5 Prozent“, sagt Ulrich Pätzold, 67, emeritierter Professor für Journalistik an der Uni Dortmund und Vorstandsmitglied der NdM – übrigens ohne Migrationshintergrund. „Das ist ein echtes Gesellschaftsproblem“, sagt er: „Selbst bei der Polizei gibt es heute mehr Migranten.“

Pätzold und seine Vorstandskollegin Rana Göroglu unterhalten sich in einem Café in Berlin-Kreuzberg über türkische Mediennutzung und deutsche Talkshow-Schablonen. Rana Göroglu ist 36, sie hat eine deutsche Mutter und einen türkischen Vater, wuchs „in katholischem Umfeld“ in Hildesheim auf, arbeitet heute als freie Journalistin in Berlin.

„Ich habe das Gefühl, wir haben uns genau zur richtigen Zeit gegründet“, sagt Göroglu. Lose Kontakte zwischen den Kollegen habe es schon lange gegeben, bei Podiumsdiskussionen oder Preisverleihungen kamen Journalisten mit Migrationshintergrund miteinander ins Gespräch. 2006 landete das Thema Integration dann oben auf der politischen Agenda, inklusive Integrationsgipfel bei der Kanzlerin.

Die künftigen „Neuen deutschen Medienmacher“ setzten sich zusammen, dachten über gemeinsame Ziele nach und überlegten, wie sie sich in die Debatte einmischen könnten. „Immer wurde nur über uns geredet“, erzählt Rana Göroglu: „Wir wollten aber selbst das Wort ergreifen.“ 2008 begründeten sie das Netzwerk, Anfang 2009 hoben sie den Verein aus der Taufe. Fünf Mitglieder hatten sie bei der Gründung, heute sind es etwa 70; dazu kommen noch einmal etwa 300, die dem Netzwerk angehören.

Zwei Hauptziele verfolgt der Verein: Einerseits wollen sich die NdM im Netzwerk austauschen, den Nachwuchs fördern und mehr Kollegen mit Migrationshintergrund in die Redaktionen bringen. Andererseits wollen sie die Darstellung von Zuwanderern in den deutschen Medien verändern.

Migranten in die Redaktionen

Praktikumsplätze haben die NdM schon an junge Kollegen vermittelt – das gelang, weil der Verein sich direkt an die Redaktionen wandte. Pätzold und Göroglu haben den Eindruck, dort auf offene Ohren zu stoßen.

Pätzold schränkt ein: „Je höher man in der Hierarchie landet, desto offener sind die Ohren – bei Chefredakteuren, Intendanten, Verlegern.“ Auf der mittleren Ebene dagegen, bei den Redaktionsleitern, sei es schwieriger: „Die haben es sehr viel schwerer, Konsequenzen aus ihren eigenen Einsichten zu ziehen.“ Rana Göroglu hat dafür sogar Verständnis: „Natürlich lassen sich Redaktionen nicht gern reinreden, wenn plötzlich jemand von außen kommt und ihnen erzählen will, wie man es richtig macht.“

Als besonders undurchlässig hätten sich Sport- und Lokalredaktionen erwiesen. „Ausgerechnet dort, wo sich das Leben abspielt und wo auch die Alltäglichkeit abgebildet werden soll, haben wir bisher am wenigsten verändert“, klagt Pätzold. „Dabei wäre es da am nötigsten.“ Leichter sei es im Mantelteil oder beim Rundfunk. „Jeder große Sender hat ja inzwischen seine Aushänge-Migranten“, sagt Pätzold. Zudem herrschten dort andere Bedingungen: „Je nach Weltgeschehen ist es immer hilfreich, wenn man ein paar Experten hat, die einen Zugang etwa zu Arabien haben.“

Ulrich Pätzold spricht von einem „Selbstrekrutierungssystem“: Journalismus sei ein „klassischer Beruf des gehobenen Bildungsbürgertums“ mit einem wenig geregelten Berufszugang, „zugleich aber mit einer starken Seilschaftskultur“. Und nicht zuletzt halte sich das Vorurteil, „Migranten können nicht so gut Deutsch, wie wir es in diesem Beruf brauchen“.

Pätzold selbst beackert dieses Feld auch jenseits der NdM: Als Dozent in einem Lehrgang des „Bildungswerk Kreuzbergs“ vermittelt er angehenden Journalisten mit Zuwanderungsgeschichte eine journalistische Grundausbildung. Den Lehrplan hat er federführend entwickelt, die bis zu 20 Teilnehmer eines Lehrgangs erhalten Bildungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit. 15 Monate dauert ein Lehrgang, davon sind fünf Monate für Praktika vorgesehen – durchaus also vergleichbar mit einer „klassischen“ Journalistenschule. Nun läuft der zweite Lehrgang.

Nicht erst dort ist Pätzold auf ein weiteres Hindernis gestoßen, vor dem Journalisten mit Migrationshintergrund häufig stehen: Die Kollegen hätten „formal die gleiche Ausbildung“ wie ihre herkunftsdeutschen Kollegen – aber die entspreche oft nicht dem deutschen Bildungskanon. „Nehmen Sie etwa die Fragebögen an Journalistenschulen, diese wunderbaren Quizsammlungen deutscher Allgemeinbildung: die Kanzler seit Bismarck, der erste Gegenreformator und so weiter.“ Die Testfragen als solche verdammt er gar nicht, „es gibt aber in dieser inzwischen veränderten Gesellschaft auch andere Bildungsgüter, die für das Leben genauso relevant sind“.

Das zweite Ziel der NdM, die veränderte mediale Darstellung von Migranten, hängt mit dem Zugang zum Beruf unmittelbar zusammen. Die Rechnung ist einfach: Mehr Migranten in den Redaktionen – ausgewogenere Berichterstattung über Migranten.

Der freie Journalist Miltiadis Oulios, ebenfalls Mitglied bei den NdM, ärgert sich darüber, dass deutsche Medien Zuwanderer bevorzugt als „Integrationsverweigerer“ darstellen, zugleich aber vor „struktureller Benachteiligung“ im Schulsystem die Augen verschlössen (siehe Oulios’ „Standpunkt“ auf www.mediummagazin.de). Bislang, sagt Rana Göroglu, dominiere vielerorts die Perspektive „Wir Deutschen gegen die Ausländer“. Und sie nennt Beispiele, vor allem aus Talkshows: „In der einen Sendung soll eine Türkin mit Kopftuch alle Migranten repräsentieren. In der nächsten fragt Markus Lanz eine gläubige Muslima, ob sie Weihnachten feiert. Und, stern TV‘ zeigt eine arabische und eine türkische als Beispiele für schlechte, eine russischstämmige Aussiedlerfamilie als Beispiel für gute Integration.“

Den „biodeutsch“ geprägten Redaktionen (das Wort verwendete die NdM-Vorsitzende Marjan Parvand in einem Interview) fehlten oft Zugang und Einblick, „Sensibilität und Multiperspektivität“. So würden beide Seiten „polarisiert und stereotypisiert“. „Wir bilden uns unsere Meinung oft nicht durch den direkten Kontakt, sondern durch die Medien – und das gilt eben auch für Redakteure“, sagt Göroglu. Solche Erfahrungen macht sie auch in ihrer eigenen Arbeit: „Deutsche Redakteure sagen mir dann vorher, was ich schreiben soll, wenn ich über türkische Migranten in Kreuzberg berichte.“ Auch deshalb engagiert sie sich in dem Verein.

„Querschnittsthema“ solle Integration werden, das hat Rana Göroglu schon häufiger aus den Chefetagen der Medienhäuser gehört. Damit das kein Lippenbekenntnis bleibt, müssten sich einerseits die etablierten Redakteure weiterbilden, andererseits müsse sich an der Personalstruktur etwas ändern, da ist sie sich sicher. Klar laufe man als vermeintlicher Türke oder Iraker Gefahr, automatisch als Islam-Experte durchzugehen. Doch genauso wie Frauen nicht nur über vermeintliche Frauenthemen berichteten, so müsse sich auch nicht jeder Journalist mit ausländischen Wurzeln mit Integration befassen. „Auch Leute mit exotisch klingenden Namen können durch und durch deutsch sozialisiert sein und sich mit Sport oder Steuern
besser auskennen als mit Integration.“ Es sei aber für jede Redaktion von Vorteil, wenn jemand mit besonderen sprachlichen und interkulturellen Kenntnissen und Kontakten zum Team gehöre – jemand, „der etwa auf dem Schirm hat, wann der Ramadan beginnt“.

Was sind nun die nächsten Schritte? Zuletzt kam die Frage nach einer Quote in deutschen Redaktionen auf. Die NdM-Vorsitzende Marjan Parvand lehnte die Quote zuletzt ab, doch für Ulrich Pätzold ist das Thema noch nicht entschieden. „Intuitiv wäre man ja dafür, aber wir sammeln noch Argumente“, sagt er.

Dass es ohne Migranten im Journalismus nicht mehr geht, darin sind sie sich einig. „Das Thema Integration berührt das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft“, sagt Göroglu. „Deshalb haben Medien da eine besonders große Verantwortung.“ Und Pätzold warnt: „Der deutsche Journalismus verliert zunehmend sein Publikum: die Gesellschaft, die in diesem Land lebt.“ Schon „aus purem wirtschaftlichen Eigeninteresse“ müssten die Medien mehr Migranten einstellen.

Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 26 Autor/en: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.