Nutzer zahlen im Netz sogar für Inhalte

Der englische Begriff für Bezahlinhalte – Paywall – ruft negative Assoziationen hervor: eine Mauer, hinter der alles verschwindet. Eine Reihe von Rednern bei der „Paywall Strategies 2011“-Konferenz in London wehrte sich daher vehement gegen den Begriff: Warum von einer Mauer sprechen, wenn es um die Bezahlung von digitalen journalistischen Inhalten geht – andere Produkte oder Angebote von Milch bis zur Urlaubsreise werden doch auch einfach nur „bezahlt“?

Die Nutzer entscheiden

Gleichzeitig kristallisierte sich ein Aspekt heraus, der zu oft aus den Augen verloren wird: Um unterschiedliche Bezahlmodelle einzuführen, muss der Nutzer wieder in den Mittelpunkt gestellt werden, dessen Anforderungen an Online-Inhalte momentan nicht erfüllt werden. So zumindest die Aussage von Nick Thomas, Media Analyst bei Forrester Research, der vor dem Hintergrund der Ergebnisse einer aktuellen Studie die Erfolgsfaktoren für Bezahlinhalte aufzeichnete. Demnach sind unter 14.000 erwachsenen Internetnutzern in Europa nur 13 Prozent bereit, für allgemeine Nachrichteninhalte zu bezahlen. Dem stehen 31 Prozent für Musik oder 30 Prozent für Filme gegenüber. „Allerdings sind Konsumenten keineswegs Anarchisten, die für gar nichts zahlen würden. Im Gegenteil: Sie sind bereit, für Zugang, Nutzerfreundlichkeit und Inhalte zu bezahlen. Mit anderen Worten, das richtige Produkt zur richtigen Zeit und auf der richtigen Plattform“, so Thomas.

Eine große Chance sieht er in der Tatsache, dass ein Großteil der Webinhalte nicht den Wünschen der Nutzer gerecht wird. Radikale Produktinnovationen sind gefragt. In Analogie zu der Kinoindustrie in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts forderte er die Produzenten von Inhalten auf, „ihr Popcorn zu finden“, den Teil des Geschäfts, der profitabel ist und möglicherweise nur wenig mit dem Kernangebot zu tun hat: „Monetarisiert werden müssen die Nutzer, nicht die Inhalte.“ Die Inhalte müssen verschiedene Anforderungen erfüllen und vor allem die enorme Bedeutung sozialer Netzwerke wie Facebook im Leben der Nutzer berücksichtigen, interaktiv sein, zugänglich auf allen Plattformen und eine relevante Erfahrung bieten.

Vorzeigemodell FT

Wann eine Paywall funktioniert, wurde in der Diskussion deutlich: Es gibt keine Lösung, die für alle passt, sondern eine Kombination von verschiedenen Modellen. Für allgemeine Nachrichteninhalte können Nutzer nicht zur Kasse gebeten werden, wohl aber für Daten, Analysen und Zusatzangebote: Der Preis reflektiert dabei nicht notwendigerweise die Kosten, sondern muss sich an dem orientieren, was der Kunde zu zahlen bereit ist. Es geht nicht um hohe Zugriffszahlen auf Webseiten allein, die Benutzerdaten sind das wertvollste Gut.

Welche Erfahrungswerte gibt es nun mit den verschiedenen Modellen für Bezahlinhalte im Web? Seit 2007 arbeitet die „Financial Times“ (FT) mit einem „meter model“, das ab Herbst 2011 auch vom „Daily Telegraph“ in Großbritannien eingeführt wird. Dabei ist eine bestimmte Anzahl von Artikeln für registrierte Nutzer kostenfrei, danach wird der Nutzer aufgefordert zu zahlen. „Am wichtigsten ist es, für die Nutzer ein Ökosystem zu schaffen, das es ihnen ermöglicht, die Inhalte so einfach wie möglich, wann auch immer und wo auch immer, auf allen Plattformen zu erreichen“, so Mary Beth Christie, Head of Product Management der FT Group. Aktuell hat die FT mehr als 200.000 zahlende Online-Abonnenten und 3,2 Millionen registrierte Onlinenutzer. Ein Drittel der digitalen Einkünfte kommt aus Inhaltsverkäufen.

Anders als die FT machte „The Times“ vergangenen Juli ihre Inhalte komplett kostenpflichtig und führte so das aggressivste Paywall-Modell ein, erläuterte der britische Medienjournalist Peter Kirwan in einem aktuellen Report zu verschiedenen praktizierten Paywall-Modellen. Das „Times“-Mutterhaus News International veröffentlichte Zahlen von 105.000 sogenannten „paid-for customer sales“. Dahinter verstecken sich allerdings keineswegs 105.000 digitale Monatsabos, sondern nur 50.000 Abonnenten für entweder die Website, Kindle oder das iPad. Der Rest sind Einzelverkäufe digitaler Ausgaben. Allerdings: „Inoffiziellen, Times‘-Angaben zufolge haben 54 Prozent der Online-Abonnenten ein Haushaltseinkommen von über 50.000 Pfund pro Jahr und 60 Prozent der iPad-Abonnenten von über 100.000 Pfund pro Jahr“, so Kirwan. „Und: Die Nutzer besuchen die Seite öfter als vor Einführung der Paywall. Eine interessante Gruppe für Werbetreibende also, und es wird entscheidend sein, wie die, Times‘ dies ihren Werbekunden verkaufen kann.“

Die Bedeutung der Nutzerdaten und deren zielgerichteter Auswertung für Marketing und Verkauf wurde auch von Christie betont: „Die FT hat ein Team, das sich ausschließlich mit der Analyse der Nutzerdaten befasst, ein essenzieller Erfolgsfaktor. Unsere Goldmine ist nicht, dass für die Inhalte gezahlt wird, sondern dass wir eine zunehmend engere Bindung mit unseren Lesern online eingehen.“

Eine Aussage, die Conor Dignam vom B2B-Verlag Emap Inform unterstützt. Mit den Webseiten von zehn wöchentlichen Printtiteln, die sich an verschiedene Industrien und Berufsgruppen richten, vollzog der Verlag 2008 den Schritt von freien zu Bezahlinhalten. „In der Periode der frei online zugänglichen Inhalte lernten wir viel über Suchmaschinen-Optimierung und wie man qualitativ hochwertige Online-Inhalte kreiert. Dann kam die globale Rezession, die Anzeigeneinnahmen gingen zurück und aufgrund des hochwertigen Online-Angebotes kündigten unsere Leser ihre Printabonnements“, skizzierte Dignam, Director of Media & Group Editor bei Emap Inform, die Situation.

Als in Konsequenz der Zugang zu den Inhalten eingeschränkt wurde, adaptierte der Verlag nicht den von der „Times“ gewählten Weg der „kompletten Verriegelung“, sondern baute kostenfreie Elemente ein: „Google First Click Free“ (Nutzer gelangen über Google auf zugangsbeschränkte Inhalte), RSS-Feeds, Registrierung für Newsletter und inhaltsreiche Homepages. Den Forrester-Ansatz aufgreifend meinte Dignam zum Erfolgsfaktor für die Bezahlinhalte: „Unser, Popcorn‘ sind Daten, die für unsere Nutzer absolut relevant in ihrem Berufsleben sind. So gehört zu unserem Online-Abo für das, Broadcast Magazin‘ z. B. die TCI (The Commissioning Index) -Datenbank mit 3.000 TV-Shows. Generelle Informationen sind definitiv nicht ausreichend, wenn man die Nutzer online zur Kasse beten will. Premiumprodukte sind ausschlaggebend für die Strategie.“

Premiumprodukte im Vorteil

Mit Premiumprodukten arbeitet auch die größte schwedische Boulevardzeitung „Aftonbladet“. Die Online-Inhalte sind zum Teil kostenfrei und zum Teil hinter einer Paywall (das sogenannte „Freemium“-Modell). „Breaking News werden wir nie hinter der Paywall verstecken, wohl aber längere Features“, erläuterte Elsa Falk, Product Development Manager. Die Website hat 5,4 Millionen Unique Users pro Woche und 500.000 mobile Nutzer.

Das Online-Bezahlangebot wird im „Plus“-Paket zusammengefasst, das spezielle Inhalte zum Thema Gesundheit, Wellness, Reiseführer, in Schweden beliebte Listen (z. B. Gehaltsvergleiche) sowie Produkttests beinhaltet. „Plus“ hat 115.000 Abonnenten, die bis zu 299 Kronen (rund 33 Euro) jährlich zahlen, und macht 50 Prozent aller Online-Einkünfte aus. Die Hälfte der Web-Einkünfte wird also mit Premiumjournalismus erzielt.

Weitere Online-Bezahlangebote, die ausgehend von der Marke „Aftonbladet“ angeboten werden, sind ein „Weight Club“ (Mitgliedschaft für drei Monate: 30 Euro), Pay-per-View-Videos als Koproduktionen mit „National Geographic“ und eine wachsende E-Commerce-Plattform, die b
eispielsweise im letzten Sommer zur WM Vuvuzelas verkaufte.

Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 40 bis 41 Autor/en: Barbara Geier. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.