Stimmt’s, …?

01. … dass Strafrechtler Gerhard Strate gegenüber der Presse widersprüchlich ist?

Auch unter Journalisten hat der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate einen guten Ruf. Dies umso mehr, seit er sich im Prozess gegen die beiden Sachsensumpf-Rechercheure Arndt Ginzel und Thomas Datt auf die Seite der Journalisten gestellt hat. Als sehr ungewöhnlich bezeichnete er die Tatsache, dass gegen die beiden mit den Mitteln des Strafrechts vorgegangen wird. Strate sagte: „Wenn tatsächlich ein Artikel falsche Behauptungen enthält, möglicherweise auch ehrenrühriger Art, dann ist es das Übliche, dass zunächst eine Unterlassung beantragt wird, also im Wege einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht, also bei einem Zivilgericht.“

Nun versucht Strate selbst, strafrechtlich gegen einen Journalisten vorzugehen: gegen den NDR-Reporter Christoph Lütgert, wegen seines Films über Carsten Maschmeyer, Gründer des Finanzdienstleisters AWD, Spezi diverser Politiker und als Mann an Veronica Ferres’ Seite auch jenseits der Grenzen Hannovers bekannt.

Seitdem fragen sich viele Journalisten, woher Strates Sinneswandel kommt. Seine Antwort: Der Unterschied zwischen den beiden Journalisten, die über die Sachsensumpf-Affäre geschrieben haben, und Lütgert sei der, dass Arndt und Ginzel „tatsächlich und fleißig recherchiert“ hätten. „Journalisten, die investigativ arbeiten, haben meine Hochachtung.“ Lütgert hingegen möge in seinem Reporterleben viele Verdienste erworben haben. Im Fall des Maschmeyer-Films, einer sogenannten Presenter-Reportage von „Panorama – Die Reporter“, wirft Strate jedoch Lütgert „journalistisch unlautere Mittel“ vor. Er behauptet gar: „Seine wiederholten Interviewüberfälle auf Maschmeyer sind strafbares Stalking.“ Lütgert hatte nach mehrfach vergeblichen Interviewanfragen Maschmeyer am Rande einer Veranstaltung in Frankfurt angesprochen und den Vorgang im Film dokumentiert – eine Schlüsselszene in dem Film, der wegen mehrerer einstweiliger Verfügungen derzeit nur in einer „Judge’s Cut re-loaded“-Version online zu sehen ist. Der NDR, der sich gegen die gerichtlichen Verfügungen zur Wehr setzt, weist Strates Vorwürfe zurück, bekräftigt; das Vorgehen sei legitim. Die Redaktion hat zudem eine detaillierte Chronologie ihrer Anfragen zum „Fall AWD“ online veröffentlicht.

Seine strafrechtlichen Überprüfungen verteidigt Strate damit, dass sie – anders als im Fall von Arndt und Ginzel – erst erfolgt seien, nachdem alle presserechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft worden waren. Der Fall ist noch aus einem anderen Grund ungewöhnlich: Wegen dieses Mandats erhalte er nicht nur anonyme Drohanrufe und Drohbriefe, erzählt Strate, sondern auch tote Mäuse per Post – nach dem Motto: „Solange Sie Mäuse von Maschmeyer annehmen …“ Deswegen ermittle jetzt das Landeskriminalamt gegen unbekannt.

02. … dass die neu geordnete „Spiegel“-Chefredaktion einen Gewinner hat?

Im Grunde ist es ganz einfach. Georg Mascolo kann nun jede Ausgabe so gestalten, wie er es will. Vorbei die Zeit, als er sich mit Blumencron zweiwöchentlich abwechselte und sich, wenn er nicht verantwortlich war, ärgern musste, weil er es anders gemacht hätte. Und Blumencron kann nun wieder das machen, was er am besten kann: sich um die Verlängerung der Marke „Spiegel“ auf digitalen Verbreitungswegen zu kümmern. Das heißt, nicht nur um „Spiegel Online“, wo die Redakteure ihren Chefredakteur Rüdiger Ditz mögen, aber bei Blumencron mehr spuren, sondern Blumencron kann sich nun sowohl den Tablet-Versionen des „Spiegel“ annehmen wie auch dem Bewegtbild – „Spiegel TV“ womöglich mit eingeschlossen, schließlich steht in Kürze die Nachbesetzung des altersbedingt ausscheidenden Geschäftsführers Fried von Bismarck bevor.

Kurzum: Blumencron kann sich dem widmen, was er am besten kann, und beim gedruckten „Spiegel“ liegt die Macht ungeteilt bei einem Mann, den man vom Typ her getrost als die junge Version des dort langjährig herrschenden Stefan Aust bezeichnen kann.

Und wer weiß, ob alle digitalen verbreiteten „Spiegel“-Inhalte eines Tages nicht doch den Wert des gedruckten „Spiegel“ erreichen. Dann würde wirklich gelten, dass man da doch bitte nichts hierarchisieren soll, wie Allein-Chefredakteur Georg Mascolo sagt, und dem so ein Satz natürlich leicht über die Lippen geht, schließlich ist er der eindeutige Gewinner der neugeordneten „Spiegel“-Chefredaktion.

03. … dass bei der SZ der Nachwuchs vernachlässigt wird?

Als Klaus Ott von der „Süddeutschen Zeitung“ im Februar von der Jury des „medium magazin“ für seine Leistungen als Wirtschaftsjournalist ausgezeichnet wurde, sagte er in seiner Dankesrede, er bedauere sehr, dass Karin Prummer und Dominik Stawski, die an diesem Abend ebenfalls eine Auszeichnung erhielten, nach ihrem Volontariat nicht bei der SZ gehalten werden konnten. In der Tat: Zwar machte die „Süddeutsche Zeitung“ den beiden ein Angebot. Ohne sich über Details auslassen zu wollen, sagen die beiden jedoch, eine wirkliche Perspektive sei damit nicht verbunden gewesen. Daher gehen sie nun nach Hamburg. Prummer hat eine Festanstellung in der Gruner+Jahr-Wirtschaftsredaktion bekommen und wird dort im Ressort Agenda Reportagen schreiben. Und Stawski wird als Freier für Print und TV arbeiten.

Das führt zu einem leidigen Thema, dem sich auf einer Konferenz zuletzt die Universität Hamburg und das Netzwerk Recherche gewidmet haben. Was dort über das Berufsverständnis von Journalisten zu hören war, war erschütternd. Als allzu selbstverständlich nehmen es viele freie Journalisten heutzutage hin, von ihrem Beruf nicht leben, schon gar nicht anständig leben zu können. Also verdienen sie entweder nebenbei Geld mit PR und machen sich so angreifbar, oder sie darben mit Klecker-Honoraren vor sich hin, als sei Journalismus ausschließlich Berufung. Viele Verlage und Chefredakteure sehen keinen Grund, etwas dagegen zu unternehmen, vor allem nicht, solange sich einer findet, der es für noch weniger Honorar macht. Es sei denn, es kommt die Einsicht, dass verzweifelte Journalisten, die beim geringsten Widerstand mit Senken des Kopfes reagieren, jenen Mächtigen, die sie kontrollieren sollten, kaum Respekt einflößen; und dass Journalisten, die gelernt haben, alles hinzunehmen, hartnäckiges Nachfragen, selbstbewusstes Auftreten und die kämpferische Lust auf gute Geschichten verlieren. Dazu passt auch die folgende Geschichte:

04. … dass die Freien der „Welt“-Gruppe seit dem Relaunch weniger verdienen?

Im Mai 2010 verpasste Chefredakteur Carsten Erdmann seiner „Berliner Morgenpost“ ein neues Layout, mit sechs statt sieben Spalten. Die Spalten sind breiter, die einzelnen Zeilen länger. Statt rund 35 passen nun 45 Zeichen in eine Zeile. Die freien Journalisten, die nach Zeilenhonorar bezahlt werden, forderten mehr Geld pro Zeile. Man kümmere sich, hieß es. Im Herbst folgte die „Welt“, auch hier gilt nun: Die Textspalten sind breiter, statt 34 ist die Zeile 38 Zeichen lang – das sind zwölf Prozent mehr. Ein freier „Welt“-Journalist hat ausgerechnet, wie viel er vorher pro Zeichen verdient hat und wie viel es jetzt ist. Ergebnis: zehn Prozent weniger. „Die ‚Welt‘ hat mittlerweile erkleckliche Außenstände bei mir“, sagt er. Unter den freien Mitarbeitern rumort es, Nachfragen verhallen im Nirwana. Der Betriebsrat bekommt zu hören: „Ihr seid doch für die Freien gar nicht zuständig.“

Und das, obwohl Springer gerade ein Rekordergebnis von 511 Millionen Euro verkündete. Offiziell sagt das Haus: „Wir bewegen uns bei der Vergütung freier Autoren im Rahmen d
er, Gemeinsamen Vergütungsregeln‘, die Gewerkschaften und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger abgeschlossen haben.“ Genau das sei das Perfide an diesen „gemeinsamen Vergütungsregeln“, schimpft Kai Schächtele von den „Freischreibern“: „Was vereinbart wurde, sind Mindesthonorare. Und nun tun die Verlage so, als seien es Standardhonorare, die keiner zu überschreiten brauche.“Wohlgemerkt: Die freien Journalisten wollen lediglich eine Anpassung der Honorare. Apropos: Auch das „Hamburger Abendblatt“ wurde relauncht, auch hier wurden die Zeilen länger. Die Honorare wurden automatisch angepasst. Es geht doch.

Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 14 bis 15 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.