Zwei Fotos, ein Motiv

Die Diskussion um Urheberrechte hat Hochkonjunktur. Nun kam ein neuer Vorwurf hinzu, dieses Mal von einem Fotografen. Die Anschuldigung von Konrad R. Müller: Ein jüngerer Kollege, sagt er, habe eines seiner bekanntesten Kanzler-Porträts kopiert. Konrad R. Müller war über Jahrzehnte der „Kanzler-Fotograf“, der die Regierungschefs von Adenauer bis Schröder ins rechte Licht rückte. Eines seiner bekanntesten Fotos zeigt Helmut Kohl in der Denkerpose: zwei Finger an der Wange, den Ringfinger am Kinn, blickt er nachdenklich am Betrachter vorbei.

Ende Januar 2011 hievte der „Focus“ ein Foto aufs Cover, das Kohl in ähnlicher Pose zeigt. Müller hält das für eine Kopie seiner Aufnahme: „Mein Foto ist das einzige, das Kohl ohne Jackett mit dieser Handhaltung zeigt – bis auf das Bild auf dem ‚Focus‘-Cover. Wenn mehr als 50 Prozent eines Fotos mit einem anderen übereinstimmen, dann ist es ein Plagiat.“ Mit diesem Argument ließ er dem Münchner Nachrichtenmagazin eine Unterlassungserklärung der Kanzlei Burkert, Basler & Hempel zukommen. Sie forderten laut „Süddeutscher Zeitung“ ein Entschädigungs-Honorar von 20.000 Euro. Doch so einfach ist es nicht.

Daniel Biskup, seit 1998 der bevorzugte Fotograf des Alt-Kanzlers, hat das dem „Focus“-Titel zugrunde liegende Foto von Kohl 2001 gemacht und sagt, er habe Müllers Aufnahme gar nicht gekannt, als er Kohl 2001 auf einer Busfahrt durch Peking fotografierte. Müller fotografierte Kohl 1988 auf einem Flug von Bali nach Australien. Berühmt wurde diese Aufnahme allerdings erst, als es 2004 den ersten Band der Kohl-Biografie schmückte.

Juristisch ist die Sache fragwürdig: „Selbst vorausgesetzt, bei Müllers Foto handelt es sich um ein geschütztes Werk, kann man auch an eine Doppelschöpfung denken. Die verletzt aber kein Urheberrecht, wenn die frühere Aufnahme dem Fotografen der späteren Aufnahme nicht bekannt war“, sagt die Medienrechtlerin Dorothee Bölke. Generell gelte: „Der Schutz eines Fotos ist umso größer, je stärker die persönliche Handschrift des Fotografen und seine persönlichen gestalterischen Mittel darin erkennbar sind.“

Beide Fotos, so schildern es die Fotografen, seien aber nicht inszeniert worden. Die Pose stammt von Kohl, ist also keine schützenswerte „Schöpfung“ Müllers oder Biskups. Dass der (Ex-)Kanzler auf Reisen das Jackett ablegte, ist so ungewöhnlich nicht. Zudem kommt das Licht in beiden Fällen vom Fenster, nicht von einer eigens dafür installierten Lichtquelle. „Dass hier eine Urheberrechtsverletzung vorliegen könnte, sehe ich nicht“, meint deshalb Bölke.

Zurzeit ruht die Geschichte. Der „Focus“ teilte mit, er sei sich keiner Schuld bewusst. Wenn das Bild tatsächlich ein Plagiat sei, müsse sich Müller direkt mit Daniel Biskup auseinandersetzen. „Focus“ habe das Bild legal eingekauft. Und hat es Cover-kompatibel angeschnitten: Das Original, ein Querformat, ist größer, zeigt auch noch die Sitzlehne, etwas Vorhang, vermittelt Raumgefühl – ein klassisches Brustportrait. Der Fotograf Daniel Biskup versteht die ganzen Vorwürfe nicht: „Ich finde es erstaunlich, dass es überhaupt eine Kanzlei gibt, die so etwas mitmacht.” Inwiefern Burkert, Basler & Hempel das mitmachen, ist unklar. Sie reagierten auf Anfragen nicht, und Müller sagt, er suche derzeit eine andere Rechtsvertretung.

Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 10 bis 11 Autor/en: Thomas Strotjohann. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.