Darf man … PR-Helfer sein?

Der größte Fehler von „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo war vermutlich keine ethische Frage, streng genommen nicht einmal eine journalistische Frage, sondern eine Frage des Marketings: Irgendwie scheint er beim Interviewbuch mit Karl-Theodor zu Guttenberg und der redaktionellen Aufbereitung für die Zeitung Ende November aus dem Blick verloren zu haben, in welchem Maße die „Zeit“ von Studenten und Dozenten gelesen wird. Und wie auf dieses Universitätsmilieu die Bühne gewirkt haben muss, die man Guttenberg unter der Überschrift „Es war kein Betrug“ bot.

Schon deshalb ist es das schlechteste Argument, wenn di Lorenzo das Interview im Nachhinein mit dem Hinweis verteidigt: Wenn er es nicht geführt hätte, hätten es andere getan. Das kann ohnehin nicht ernsthaft eine Rechtfertigung für eigenes Handeln sein. Es ist bestenfalls ein Einwand, um zu hinterfragen, wie glaubwürdig Medien sind, die jetzt selbstgerecht die „Zeit“ kritisieren, in ähnlicher Situation aber womöglich ähnlich gehandelt hätten.

Vieles an den Umständen des Guttenberg-Interviews in der „Zeit“ ist besonders. Aber im Kern ist die Art Deal, den di Lorenzo und Guttenberg miteinander geschlossen haben, journalistischer Alltag. Es geht um die Währung „Exklusivität“. Wer einem Medium eine bestimmte Information exklusiv gibt, verspricht sich davon, dass diese Information bevorzugt behandelt wird. Oft genug wird das ausdrücklich vereinbart. Sei es die Art der Interpretation dieser Nachricht oder das Versprechen, dass ein Medium exklusive Nachrichten prominent platzieren, großflächig präsentieren und effektiv publizieren wird. Es wirbt dadurch für sich selbst – Wir haben’s exklusiv! –, aber natürlich auch für den Inhalt der Nachricht.

Plötzlich überschneiden sich die Interessen. Das Medium wird so Teil der Strategie dessen, der den exklusiven Inhalt besitzt. Das mag zwar nicht immer ein Dilemma sein, doch es ist prinzipiell problematisch. Medien, die eine Information zugesteckt bekommen haben, sind chronisch schlecht darin, ihrem Publikum zu erklären, welche Motivation für den Urheber dahinterstecken mag, diese Information zu diesem Zeitpunkt zu lancieren.

Insofern ist es auch kein Zufall, dass die „Zeit“ in der Ausgabe, in der sie mit dem Guttenberg-Interview ein ganzes Dossier füllte, keinen Platz fand, ihren Lesern die Hintergründe seiner Entstehung transparent zu machen oder die damit verbundene Strategie zu interpretieren. So blieb es etwa der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ überlassen, zu recherchieren, dass Guttenberg den Zeitpunkt, zu dem die Staatsanwaltschaft Hof das Plagiatsverfahren gegen ihn einstellte, bestimmen konnte. Das hätten die „Zeit“-Leser sicher gerne direkt von ihrem Blatt erfahren. Aber es war, ausgesprochen oder unausgesprochen, klar, dass die „Zeit“ das Interview zunächst ohne weitere Einordnung veröffentlichen würde. Eigene Gedanken aus der Distanz erlaubte sich die Redaktion erst in der Woche darauf.

Die Exklusivität setzt journalistische Regeln außer Kraft. Dazu gehört auch der Verlust jedes Maßes. Aus sich selbst heraus lässt sich schwer erklären, worin ein so überragender Nachrichtenwert bestand, der vier Zeitungsseiten Umfang rechtfertigte, inklusive ausführlicher Diskussionen, wie Guttenberg dank einer „reizenden indischen Ärztin in den USA“ seine Sehkraft wiederfand (bzw. entdeckte, dass er sie gar nicht verloren hatte).

Das „Zeit“-Interview mit Guttenberg ist, wie gesagt, kein Einzelfall. Bei der versuchten vorzeitigen Krönung von Peer Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten, initiiert von einem Gesprächsbuch zwischen Steinbrück und Ex-Kanzler Helmut Schmidt, ließ sich unter anderem auch der „Spiegel“ zum Teil der Strategie machen – vielleicht der politischen Strategie, mindestens aber der Verkaufsstrategie des Verlags. Ohne Exklusivität ist das „Spiegel“-Cover mit Steinbrück, Schmidt und der Headline „Er kann es“ schwer vorstellbar.*

Festzustellen, dass solche Vereinnahmungs-Effekte die Regel sind und nicht die Ausnahme, kann aber nicht das Ende der Debatte darüber bedeuten, im Gegenteil. Und das Vorgehen der „Zeit“ hat besondere Qualität: Da ist die Instinktlosigkeit, die im Nachhinein auch Giovanni di Lorenzo einräumt, ausgerechnet mit dem Foto Guttenbergs aufzumachen, das auf dem Buchcover ist. Das verstärkt den Eindruck, Teil der Werbekampagne zu sein. Und da ist vor allem die Tatsache, dass das Interview Auszug aus einem gemeinsamen Buch von di Lorenzo und Guttenberg ist. Der „Zeit“-Chefredakteur bringt ein großes Interview, das für ein Buch wirbt, an dem er selbst mitgeschrieben hat – zu Bedingungen, die er nicht verrät. Selbst eine Woche nach Erscheinen des Interviews konnte er nicht sagen, was er mit den Einnahmen aus dem Buchverkauf machen werde. Di Lorenzo persönlich profitiert materiell von dem Werbeeffekt, den er mit der „Zeit“ für Guttenberg und dessen Comeback-Buch auslöst.

Dem „Spiegel“ sagte er dazu: „Wenn wir sagen, ein Vorabdruck aus einem Buch, das Journalisten schreiben, steht schon deshalb unter Verdacht, weil das den Verkauf des Buchs fördert, dann haben alle Medien eine gravierende Kurskorrektur vorzunehmen.“ Leider meint er auch diesen Satz nicht als Aufforderung zur Reflexion, sondern bloß als Abwehrreflex.

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*Ich bin Autor des „Spiegel“. Diese Kolumne ist meine persönliche Meinung.

Erschienen in Ausgabe 01+02/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 73 bis 73 Autor/en: Der 41-Jährige arbeitet als Freier Medienjournalist in Berlin und bloggt unter anderem unter Stefan-Niggemeier.De.. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.