„Eine ständige Atemlosigkeit“

Die Konferenz zum 50. Jahrestag des Deutschlandfunks haben Sie unter das Motto gestellt: „Der Ort des Politischen in der digitalen Medienwelt“. Warum dieses Thema?

Stephan Detjen: Der Deutschlandfunk ist ein im Kern ausgesprochen politisches Programm. Die Frage, wo findet Politik statt und wie verändert sie sich, ist eine ganz zentrale Frage der nächsten Jahre.

Werden wir Journalisten noch dem Auftrag gerecht, die Menschen aufzuklären?

Man kann das schwer verallgemeinern. Alle kämpfen ja erkennbar damit. Wir erleben derzeit, was man noch nie so gehört hat: dass uns Politiker offen ihre Ratlosigkeit eingestehen. Das gilt für die Medien genauso. Trotzdem nehme ich deutlich wahr, dass die Medien die jetzige Situation als Chance begreifen und erkennen, was ihre Aufgabe ist.

Viele Regionalzeitungen setzen daher bewusst auf ihre Regionalkompetenz.

Regionale und lokale Medien haben einen großen Vorteil. Wo erleben wir Politik in einer Zeit, die von den Kräften der globalen Ökonomie herausgefordert wird, am unmittelbarsten? Ganz klar: am Ort. Das ist auch eine große Chance für lokale Medien. Für uns stellt sich die Frage anders. Der Deutschlandfunk ist ein nationales Medium. Er ist geprägt durch Politik. So wie sich Politik verändert, muss sich auch der Deutschlandfunk verändern.

Sehen Sie den Trend zu Boulevardisierung und Oberflächlichkeit?

Ich nehme das ambivalent wahr. Überall gibt es eine Besinnung auf erklärenden Journalismus. Den Zuschauern, Hörern, Lesern verständlich machen, was im reißenden Strom der Nachrichten wichtig und unwichtig ist. Früher verstanden sich politische Journalisten als eigenständige Akteure im Diskurs. Das gilt nicht mehr. Alle Chefredakteure sagen, wir müssen besser erklären. Das ist die Aufgabe der Medien.

Politik wird immer stärker personalisiert. Gehen so Hintergründe verloren?

Personalisierung ist ein Ausweichmanöver. Wo ich die Sache nicht mehr verstehe, personalisiere ich, um die Dinge trotzdem interessant zu machen. Aber das hilft uns, wenn wir die Finanzkrise anschauen, auch nicht weiter. Viele der Akteure können Sie als Person gar nicht greifen – und es bringt nichts, wenn ich Hintergründe an Personen erklären will.

Halten Sie eine grundsätzliche Definition von Relevanz für nötig?

Definitiv. Das mache ich auch im Haus. Eine gute Relevanzdiskussion in einem Medium zu führen, ist eine der schwierigsten Aufgaben. Man muss Leute aus den verschiedenen Bereichen zusammenbringen und in einer Atmosphäre von Offenheit, Respekt und Neugier das versammelte Wissen in der Redaktion aufsaugen. Dann muss man darüber nachdenken, wie setzt man das um. Da sind Sie als Chefredakteur die institutionalisierte Unzufriedenheit.

Manche sagen, Journalisten hetzen nur noch atemlos von einem Thema zum anderen.

Die Atemlosigkeit ist natürlich ständig da. Aber auch in Berlin haben sich viele der Exzesse, die es nach dem Umzug von Bonn gab, wieder beruhigt. Im Moment haben wir es mit sehr langfristigen Entwicklungen zu tun, was in der EU passiert oder die Finanzkrise. Da brauchen Journalisten einen langen Atem und einen weiten Blick.

Beeinflussen Digitalisierung und Social Media die Berichterstattung?

Das tut es bestimmt. Wir sind da noch auf der Suche, wie wir das für uns umsetzen. Der Deutschlandfunk funktioniert nicht nachfragegetrieben. Insofern haben wir eine Sonderstellung. Wir machen ein Angebot, setzen eine Agenda. Darin besteht unser Erfolg, wir haben seit Jahren steigende Quoten. Ich glaube, die Medien sind erfolgreich, die Themen setzen und aus eigener, sachlicher Kompetenz bestimmen.

Zur Person

Stephan Detjen (*1965), studierter Jurist und Historiker, ist seit 2008 Chefredakteur des Deutschlandfunks und wird am 1. März Hauptstadtstudioleiter mit Zuständigkeit auch für das Brüsseler Korrespondentenbüro. www.detjen.info

LINK:tipp

Die Internationale DLF-Jubiläumstagung „Der Ort des Politischen in der digitalen Medienwelt“am 6./7. Januar 2012 (in Kooperation mit der BpB)

Programm: www.bpb.de/files/E2FWI5.pdf

Dokumentation durch Onlinejournalismus-Studenten der Hochschule Darmstadt:

http://dlf50.org

Erschienen in Ausgabe 01+02/202012 in der Rubrik „Special. Politik“ auf Seite 35 bis 35 Autor/en: Interview: Robert Domes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.