„Guten Tag. Leider sind unsere Mitarbeiter alle belegt. Aber Hand aufs Herz: Haben Sie ausreichend für das Alter vorgesorgt? Wir haben Angebote, die auf Ihre persönliche Leistungsfähigkeit zugeschnitten sind.“
Ähnliche Ansagen gibt es für zinsgünstige Kredite oder vermeintlich besser verzinsliche Geldanlagen, für günstigen Strom oder Flatrates beim Telefonieren.
Und je länger man in der Warteschlange verharrt, umso mehr oder ausführlicher werden die Botschaften. Auflegen und neu wählen bringt nichts, man muss sich das Gesäusel sonst wieder von vorne anhören.
Drücken Sie die Sieben
Nicht besser ist es, wenn der Automat am anderen Ende der Leitung den Gesprächswunsch sortieren will: Wollen Sie den Strom aus der Steckdose, dann drücken Sie die Eins, wollen Sie gelben Strom, dann die Zwei, wollen sie Strom aus erneuerbaren Energien, dann drücken Sie die Drei … Erst wenn man die Sieben drückt, bekommt man eine Auskunft. Weswegen man ja anruft.
Aber so einfach ist auch das nicht. In der Regel fragt eine überforderte oder wegen ihres entwürdigenden Gehalts missgelaunte Dame nach der Kundennummer, die man nicht greifbar hat, weil man ja auch nur eine Auskunft will. Aber ohne Nummer keine Auskunft: „Ich kann nur etwas sagen, wenn ich Ihre Kundennummer habe“, schrillt es im Befehlston aus der Leitung. Da bleibt einem nicht mehr viel übrig, als den Hörer auf die Gabel zu schmeißen, laut zu fluchen und diese verdammten Dinger in den Orkus zu wünschen. Und unwillkürlich fragt man sich, ob dieses asoziale Automaten-Verhalten die Zukunft der individuellen Kommunikation abbildet.
Scheint so. Denn solange Unternehmen mit solchen Methoden Geschäfte machen, solange wird dieser Trend anhalten. Aber vermutlich wird diese Masche auch dann weiter gepflegt werden, wenn keine wirtschaftlichen Vorteile herausspringen. Es reicht offensichtlich, die Botschaften an den Mann zu bringen. Ob er will oder nicht. Das Call Center arbeitet dabei in schönstem Marketing-Deutsch „ausschließlich im B2B“ und verspricht seinem Nutzer ein „besseres Verständnis des Marktes“.
Seit die Marketing-Strategen das Telefon für ihre Zwecke entdeckt haben, ist dieser Terror Alltag. In ihrer Logik haben sie jemanden an der Strippe, der sich schon die Mühe machte, anzurufen. Es muss also jemand sein, der etwas will. Und wer etwas will, dem kann man etwas verkaufen. Und deshalb kann die Warteschleife auch nicht lang genug sein.
Es sind natürlich Pyrrhussiege, aber Marketing-Leute meinen, ihre Kunden zu kennen. Und Menschen, die einfach nur eine Auskunft wollen, sind für sie keine Kunden. Bei ihnen kann ja auch der Speichelfluss für das beworbene Produkt nicht angeregt werden. Und wenn die Kunden sich über ihr Ausgeliefertsein in der Warteschleife ärgern, dann ist es eben deren Angelegenheit.
Die Rache der Wartenden
Das Problem ist ganz offensichtlich, dass die Kommunikationsfachleute in den Unternehmen sich dieses Instruments nicht bemächtigt haben. Die „Kundschaft“ von PR-Managern ist eine Spezies, die mit dem Unternehmen und seinen Produkten in der Regel nichts gemein hat. Journalisten wollen etwas wissen, fragen nach, verlangen Aufklärung und wollen keinen billigen Strom oder eine neue Haftpflichtversicherung. Würde man sie so stumpfsinnig behandeln, könnte man das wenig schmeichelhafte Ergebnis in der Zeitung oder in deren Online-Ableger nachlesen. PR-Chefs wissen, dass diese Form der Kommunikation eine Katastrophe ist und dass sich ihre Klientel weigert, sich diesem Irrsinn auszusetzen.
Quod erat demonstrandum: Die „Rache der Wartenden“ hat sich längst etabliert. Sie rufen an und sobald sie den „kompetenten Ansprechpartner“ an der Leine haben, legen sie ihn selbst auf eine Warteschleife. Auf diese Weise führt sich das System ad absurdum.
Auf Youtube macht man sich längst musikalisch lustig über diese Art der Beschallung: „Ich bin die Warteschleife / Und ich bin endlos lang / Ich bin die Warteschleife / Und Sie sind scheiße dran.“ Hübsch gemacht und auf den Punkt gebracht: „Guten Tag, Sie haben’s eilig / Das ist doch nicht mein Problem.“ Und der Refrain als Fazit: „Sie armes Schwein / Please hold the line.“
Es wäre an der Zeit, den Marketing-Strategen das Telefon aus der Hand zu nehmen. Die PR-Leute könnten dann den entlarvenden Warteschleifen-Song einspielen.
Die Wartenden wären als Kunden jedenfalls nicht verloren. Und zu lachen hätten sie auch noch etwas.
Anton Hunger (63) ist Journalist und war 17 Jahre Pressechef bei Porsche. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicita“ in Starnberg.
Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.
Erschienen in Ausgabe 01+02/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 68 bis 68 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.