Wie Politik FAS-ziniert

Sind Sie Herrn zu Guttenberg dankbar für all das Futter?

Eckart Lohse: Dankbarkeit ist die falsche Kategorie. Wir haben festgestellt: Der Mann ist so interessant, dass wir mehr machen wollen, als Zeitungsartikel über ihn schreiben. Und je mehr wir wühlten und gruben und je mehr parallel zu unserer Recherche geschah, desto klarer wurde: Der füllt ein 400-Seiten-Buch, und zwar substanziell. Dankbar sind wir ihm dafür nicht – ich glaube auch nicht, dass er uns für die Biografie dankbar ist.

Was hat Sie eigentlich an Guttenberg gereizt?

Markus Wehner: Guttenberg war mit der ungeheuren Popularität, die sich schon nach kurzer Zeit abzeichnete, ein echter Ausnahmefall. Zugleich hat er nicht nur als Politiker gewirkt, sondern auch als Promi, als jemand, der sich auch für Hochglanzfotos und Titelseiten der bunten Blätter eignete.

Hat Sie das misstrauisch gemacht?

Markus Wehner: Vor allem neugierig. Wir wollten uns den Herrn zu Guttenberg einmal ein bisschen genauer anschauen: Woran liegt seine Popularität, woher kommt er, was hat er bisher geleistet? Das war unserer Meinung nach bis dahin zu wenig geschehen.

Ihre Biografie erschien am Tag von Guttenbergs Rücktritt, aber man findet dort vieles in seinem Charakter angelegt von dem, was dann zu diesem Rücktritt führte …

Lohse: Guttenberg ist nicht nur über seine Doktorarbeit gestolpert. Es war auch die Art, wie er mit seinen Kabinettskollegen und Untergebenen umging, wie er Politik ohne Absprachen machte, wie er andere ständig vor den Kopf stieß, wie er davon lebte, schlecht über andere und über den „Affenstall Berlin“ zu sprechen. Er selbst hat es immer so dargestellt, dass es zwar dieses Fehlverhalten in der Plagiatsaffäre gab – das er selbst nur eingeschränkt als Fehlverhalten bezeichnet –, dass ansonsten aber alles grandios war.

Wehner: Im Vorwort zur zweiten Auflage stand, dass die Plagiatsaffäre nun all jenen recht gibt, die ihn schon immer für einen Blender gehalten hatten. In der ersten Auflage hatten wir dieses Wort vermieden.

Warum?

Wehner: Wir haben uns im Buch bemüht, eine Wertung zu unterlassen. Es sprach für sich, wie Guttenberg auftrat, wie er Reden hielt: Der Auftritt beeindruckte viele, in den Reden fehlte aber oft jegliche Substanz.

Wie erklären Sie diese Sehnsucht nach einem Antipolitiker?

Lohse: Informationen fließen heute in rasantem Tempo. Wir sind gewohnt, dass sie in kurzen Flashs, parzelliert kommen, und so nehmen wir auch Politik wahr. Dadurch entsteht der Eindruck eines Durcheinanders – und ein Bedürfnis nach einer einzigen Figur, nach jemandem, der mir die Welt erklärt, der im besten Fall noch Bella Figura macht und im allerbesten auch eine schöne Frau hat.

Wehner: Jemand, der nicht um den heißen Brei herumredet, sondern Klarheit und Wahrheit verkörpert und sagt, wo es langgeht. Jemand, der Nein sagt, wenn alle anderen sagen: Wir müssen Opel retten. Guttenberg hat einen Instinkt dafür, was die Leute denken, fühlen, hören wollen. Sodass sie dann sagen konnten: Genau so ist es. Endlich traut sich mal einer zu sagen, dass in Afghanistan Krieg herrscht.

Lohse: Im Falle Guttenberg kam hinzu, dass die große Koalition unter Merkel, Steinmeier und Müntefering für das Glitter- und Blitzlichtbedürfnis der Republik so wenig geliefert hat wie seit den tiefen Kohl-Jahren keine Regierung mehr. Für optische Erwartungen und für Unterhaltungsansprüche war das eine extrem langweilige Regierung.

„Endlich sagt es mal einer“ war auch der Tenor vieler Medien. Woran lag es, dass sich so viele Journalisten von Guttenberg haben treiben lassen, statt selbst zu treiben?

Lohse: Im Falle der Vokabel „Krieg“ haben die Medien abgewartet, bis „es endlich mal einer sagt“. Dieses Bedürfnis ist vorher nicht in der Breite artikuliert worden, die Debatte beschränkte sich auf einen kleinen Kreis von Sicherheits- und Verteidigungspolitikern und -berichterstattern. Da standen wir schon früh vor der Frage, wie man die Toten in Afghanistan nennt. Lange Zeit waren es „tödlich Verunglückte“, bevor man sie als „Gefallene“ bezeichnete – der erste Schritt in Richtung Kriegsrhetorik. Und plötzlich kam diese Rhetorik von einem führenden Politiker.

Ähnlich war es bei der Wehrpflicht: Hier hat Guttenberg „durchregiert“, wie Merkel es einmal angekündigt hatte, war erst dafür, dann dagegen, hat jedenfalls nach dem Motto gehandelt: „Jetzt schlage ich da eine Schneise.“ Auch das haben die Medien nicht vorweggenommen – es gab keine aufgeregte Debatte im Vorfeld, dass die Wehrpflicht endlich abgeschafft gehört. Im Gegenteil, die meisten Leitartikel waren eher pro Wehrpflicht. Und dann hat man Guttenberg trotzdem dafür gefeiert, dass er es gemacht hat. Ein bisschen bizarr war das schon. Man muss sich fragen: Wieso ist von den großen Medien selbst keiner auf die Idee gekommen, mal eine große Debatte vom Zaun zu brechen?

Wie beantworten Sie diese Frage für die FAS, für Sie selbst?

Lohse: Zugegeben: Die Abschaffung der Wehrpflicht haben auch wir nicht lautstark gefordert.

War Guttenbergs forsche Art ein Grund dafür, dass die veröffentlichte Meinung lange Zeit mehrheitlich hinter ihm stand?

Lohse: Offensichtlich gab es auch in den Medien einen Glanz- und Glamourbedarf – sonst wären mehr Medien früher auf die Idee gekommen, ihn kritisch zu beleuchten.

Wehner: Die Journalisten haben ihm zugute gehalten, dass er den Laden aufmischte, dass endlich mal was los war. Und es gab viel zum Aufschreiben – er hat ja einiges bewegt und dabei ständig andere brüskiert. Das Ende der Wehrpflicht etwa hat er ohne große Absprache einfach so verkündet. In der gesamten Berichterstattung gab es etwas, was ich „die Faszination der Faszination“ nennen würde. Die Journalisten waren fasziniert davon, dass die Leute von Guttenberg fasziniert waren, und haben das aufgeschrieben – seine Auftritte, seine Wirkung, wie er fast als Messias empfangen wurde, wenn er zu den Leuten sprach. Wir alle haben zu wenig hinterfragt, woher das kommt, was es über uns aussagt, was das für ein Mensch ist, der so wirken kann – und was er bisher geleistet hat.

Lohse: Wenn man im Wahlkampf 2009 mitbekommen hat, wie sich die CDU-Wahlkreiskandidaten geprügelt haben, um ihn zu kriegen – das war unfassbar. An einem stinknormalen Arbeitstag, nachmittags um 2 holte er 500 Leute in eine Turnhalle. Selbst in Bayern sagten Leute, das hätten sie seit Strauß nicht mehr erlebt.

Hat es Sie erstaunt, dass die Faszination vieler Kollegen stärker war als der Wille, kritischer nachzuhaken?

Wehner: Ein Stück weit kann man das verstehen, wenn man sich das Tempo und die Methode der Inszenierung ansieht: Guttenberg hat immer noch eins draufgesetzt – jeden Tag passierte etwas Neues, wieder war Guttenberg, oder Stephanie zu Guttenberg, auf Seite 1, gerade noch war er in Top-Gun-Manier und in 3D auf dem Titel der „Bild“-Zeitung, da war er auch schon wieder an der Front in Afghanistan. Wir haben das Buch ja sozusagen „live“ mitgeschrieben – und konnten gar nicht so schnell gucken, wie er immer wieder eine neue Rakete zündete. Er hat damit – bewusst oder unbewusst – über Monate verhindert, dass man sich mal in Ruhe mit ihm auseinandersetzt. Wir haben uns allerdings oft gefragt, wie lange so etwas gutgehen kann. Wenn jemand mit solcher Geschwindigkeit durch die Republik rast, fragt man sich: Wann trägt es ihn aus der Kurve?

Wie ist Ihre Biografie anfangs aufgenommen worden?

Wehner: Das Buch hat sehr große Aufmerksamkeit erregt, weil sein Erscheinen mit Guttenbergs Rücktritt zusammenfiel. Wir haben es am Montagabend, 28. Februar, im Hotel Adlon vorgestellt – Horst Seehofer hatte einige Tage vorher abgesagt, woraufhin die Anmeldungen der Journalisten noch einmal in die Höhe
schnellten. Wir haben es dann mit dem „Spiegel“-Kollegen Christoph Schwennicke als Moderator vorgestellt. Es waren mehr als 200 Leute da, die Vorstellung war Thema in den Abendnachrichten. Am nächsten Tag kam der Rücktritt. Da standen die Telefone hier nicht mehr still, wir sollten Dutzende Interviews geben. Das war einerseits eine Punktlandung, andererseits wurden wir gefragt: Ist Ihr Buch jetzt schon hinfällig …?

Haben Sie den Kairos verpasst, um es mit Guttenberg zu sagen?

Wehner: Das haben wir nicht so gesehen. Wir haben ja den Hintergrund zu der Person geliefert, über die alle redeten. Das Verhalten, das er da an den Tag legte, war nicht zufällig, sondern fügte sich harmonisch ein in das Bild seiner Persönlichkeit, wie wir es in dem Buch entwerfen. Und es hat sich ja gut verkauft, wir konnten also zufrieden sein.

Der Klappentext der ersten Auflage konnte noch nicht auf die Plagiatsaffäre Bezug nehmen und klingt deshalb noch ausgesprochen wohlwollend …

Lohse: Wenn Guttenberg nicht auch positive, uns interessierende und hie und da auch faszinierende Elemente gehabt hätte, hätten wir uns wohl nicht an einen solchen Berg Arbeit gemacht. Unser Bild von ihm hat sich während der Arbeit verändert – und am Ende der Arbeit noch einmal extrem.

Wehner: Unsere Absicht war nicht, ein Buch zu schreiben, das für Guttenberg schlecht ausgeht. Wir wollten einfach nur aufschreiben, was wir herausgefunden hatten.

Wie haben Sie das Buch eigentlich geschrieben, haben Sie sich die Arbeit aufgeteilt?

Wehner: Klar haben wir uns aufgeteilt, es ist ja nicht so, dass man sich für so ein Buch nebeneinandersetzt und jeden Satz zusammen schreibt. Ich habe zum Beispiel mehr die Familiengeschichte bearbeitet, Eckart Lohse hat sich stärker um den Verteidigungsminister gekümmert.

Lohse: Wir haben schon in unserem Buch über die erste Regierung Merkel gemerkt, dass wir uns nicht nur auf ein Thema und eine Gliederung einigen können, sondern dass auch unser Schreibstil gut zusammenpasst.

Wehner: Wir hatten ja auch schon vorher für die Zeitung viel zusammen geschrieben.

Lohse: Wir haben, glaube ich, einen einzigen Artikel mal wirklich nebeneinander, Satz für Satz gemeinsam geschrieben. Sonst spricht man sich einfach oft ab, schreibt Bausteine für den anderen und so weiter.

Inwieweit haben Ihre Recherchen die Berichterstattung von FAZ und FAS beeinflusst?

Lohse: Ich spreche jetzt für die FAS, für die wir ja beide arbeiten und die wir daher etwas besser beurteilen können. Wir wurden immer ermuntert und unterstützt, haben ja auch immer wieder für die Zeitung über ihn geschrieben. Es gab hier von Anfang an, seit Guttenberg auftauchte, eine skeptische Grundhaltung. Ich erinnere mich an ein frühes Stück, als er noch Wirtschaftsminister war, das überschrieben war mit „Das Gralshüterchen“ und danach fragte, wieso er jetzt plötzlich zum Gralshüter konservativer Werte stilisiert wurde, obwohl er gar nichts gemacht hatte.

Wehner: Nachdem die Plagiatsaffäre bekannt geworden war und er – wie er nun selber sagt – in seinem Umgang damit einen Fehler nach dem anderen machte, haben wir eine lange Strecke in der FAS gemacht, zu der ein Vorabdruck aus dem Buch gehörte. Wir fassten darin noch einmal sein Verhalten in der Kundus-Affäre zusammen und schilderten, wie er seinen Lebenslauf geschönt hatte. Das war in dieser Debatte ein ganz entscheidender Beitrag.

Lohse: Es war übrigens die FAZ, die als Erste in einem großen Leitartikel seinen Rücktritt forderte.

Die fünf Herausgeber der FAS sind dieselben wie die der FAZ, die FAS hat keinen Chefredakteur, wohl aber Ressortleiter. Wie besprechen Sie da eine gemeinsame Blattlinie?

Lohse: Festlegungen, wie sie in angelsächsischen Zeitungen bis hin zu Wahlempfehlungen vorgegeben werden, gibt es bei der FAZ nicht, dafür ist das Haus auch viel zu individuell. Auch nicht die Vorgabe, im Falle Guttenberg da und dort entlangzufahren. Bei fünf völlig gleichberechtigten Herausgebern kann nicht einer allein die Linie bestimmen, sondern Dinge können in unterschiedlichen Nuancen betrachtet werden.

Wann ist die Stimmung gegen Guttenberg gekippt?

Lohse: Selbst in der Kundus-Affäre 2009, als mehr kritische Stimmen laut wurden, hatte er die Unterstützung in der Breite, auch wenn er innerhalb von 20 Minuten zwei Leute rausgeschmissen hat.

Wehner: Wenn man die Ereignisse von 2010, wie Gorch Fock oder die geöffneten Feldpostbriefe, einzeln betrachtet, war jedes für sich genommen noch kein Grund für eine fundamentale Kritik am Minister. Aber in der Gesamtheit und vor allem durch sein Verhalten, im Bundestag erst dies und drei Stunden später gegenüber der Presse das genaue Gegenteil zu sagen und wie schon früher Leute zu entlassen, um selbst gut dazustehen – da stellte sich bei einigen Kollegen ein Déjà-vu ein.

Als Guttenberg mit seiner Frau und Johannes B. Kerner Ende 2010 nach Afghanistan flog, war die Kommentierung zum ersten Mal überwiegend negativ – auch wenn die „Bild“-Zeitung noch mit „Wir finden die gutt!“ dagegenhielt. Ich glaube, da hat sich die Stimmung insgesamt gedreht. Als die Nachricht von seiner gefälschten Dissertation kam, war der Boden schon bereitet.

Wie schwer war es, gegen den Mainstream zunächst auch in der eigenen Leserschaft anzuschreiben?

Wehner: Der Vorabdruck hat zu sehr heftigen Reaktionen geführt – wobei Kollegen aus anderen Redaktionen Ähnliches berichteten. Die Leute wollten sich ihren Liebling nicht wegnehmen lassen. Wir haben so viele Anrufe und Leserbriefe bekommen wie noch nie in unserem journalistischen Leben, die vor allem am Anfang scharf negativ waren.

Lohse: Das ist die mildeste Formulierung, die man wählen kann. Die waren zum Teil hasserfüllt. Anfangs wusste ich gar nicht, was da eigentlich passierte. Ich dachte, wir hätten etwas Falsches geschrieben. Darum ging es aber gar nicht – viele hatten die Artikel nicht einmal gelesen. Sie beobachteten, wie ihr Idol wankte. Das führte schnell zu dem Reflex: Die Medien machen den jetzt kaputt.

Wehner: Viele wollten einfach nur Dampf ablassen: „Habt ihr nichts anderes zu berichten …“

Lohse: „…habt ihr etwa nie abgeschrieben in der Schule…“

Wehner: „… so eine Doktorarbeit ist doch nicht so wichtig.“ Es waren also vor allem emotionale Reaktionen. Manche fragten auch: „An wen soll ich jetzt noch glauben?“ Es gab in dieser Phase auch vereinzelte zustimmende Rückmeldungen, die ihrerseits aber auch überemotional waren: „Bitte bleiben Sie dran, Sie sind unsere einzige Hoffnung.“

Wie haben Sie die Anfeindungen ausgehalten?

Lohse: Ich hab immer zum Wehner rübergestellt. (Gelächter.) Wir waren anfangs völlig überrascht. Nach den ersten wütenden Anrufen glaubte ich noch an eine konzertierte Aktion. Doch das war es nicht, sondern ein massenhaft vorhandenes Gefühl, das an uns und an vielen anderen ausgelassen wurde. Schön war das nicht, aber interessant – und sicher einer der spannendsten Momente in der deutschen Politik und ihrer Wahrnehmung in den letzten Jahren.

Wehner: Es war nicht so, dass wir schrecklich gelitten hätten. Nach ein paar Tagen ging das auch wieder zurück. Interessant fand ich aber die Kluft zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung. Zwei Wochen lang war unsicher, wie die Affäre ausgeht. Am Ende hat sich die veröffentlichte Meinung durchgesetzt.

Zwei große Medien haben bis zum Schluss zu Guttenberg gehalten. Das eine war die „Bild“-Zeitung, Organ der öffentlichen Meinung …

Wehner: Wir haben für das Buch auch mit Kai Diekmann gesprochen, der uns sagte, wenn ein Beitrag über Guttenberg komme, werde die Zeitung dafür gekauft. Manche mutmaßten auch, „Bild“ wolle sich seinen eigenen Kanzler zurechtschreiben. Die Wucht, mit der die Zeitung Guttenberg und s
eine Frau vermarktet hat, war schon außergewöhnlich – da gehören natürlich immer zwei dazu.

Kann „Bild“ jemanden ins Amt schreiben?

Lohse: In einer 80-Millionen-Demokratie mit einer breitgefächerten Medienlandschaft können Sie das zum Glück nicht, auch wenn Sie mit einer Millionenauflage Stimmungen aufgreifen und verstärken können. Guttenberg ist ja nicht von der „Bild“-Zeitung erfunden worden. Eine Figur, die nicht vom Publikum getragen wird, können Sie nicht zum Superstar machen – das funktioniert nicht.

Das zweite war die „Zeit“, deren Chefredakteur noch kurz vor Guttenbergs Rücktritt dafür plädierte, ihn trotz Plagiats im Amt zu belassen. Verstehen Sie das?

Lohse: Bei „Bild“ haben wir das besser verstanden.

Wehner: Mich hat es sehr erstaunt, dass gerade die herausragende Zeitung der Intellektuellen, der Professoren und Lehrer sich so positioniert hat. Nach dem Vorabdruck des Interviews mit Giovanni di Lorenzo war die „Zeit“ immerhin so mutig, eine Doppelseite mit Leserbriefen zu dem Thema zu bringen. Da wurde deutlich, dass ein Großteil der Leser nicht einverstanden war.

Lohse: Mit dem Interview wollten sie aber einen Scoop landen – seit seinem Abgang am 1. März hatte der Mann bis auf einen kleinen Gruß bei Facebook nichts mehr gesagt. Wenn man so ein Gespräch dann aber macht, muss man dafür sorgen, dass man selber die Regie führt – und nicht der Interviewte.

Setzt der politische Journalismus stärker auf Personalisierung als früher?

Lohse: Das müssen wir als Biografen natürlich empört zurückweisen. (lacht)

Wehner: Personen haben immer interessiert; nur so wird Politik auch fassbar und emotional verständlich. Insgesamt aber gibt es schon den Trend, auch Sachthemen immer an Personen festzumachen.

Lohse: Das Risiko ist natürlich, dass man dabei die Sachthemen aus den Augen verliert. Wir können nicht nur noch darüber berichten, wer welche Fäden zieht. Aber den Menschen, die nicht in diesem Business – Politik, Medien, Öffentlichkeitsarbeit – tätig sind, erschließen sich viele Themen am ehesten über Personen. Im Verhältnis zwischen Politik und Öffentlichkeit ist Personalisierung durchaus erlaubt. Natürlich ist es angesichts der Informationsflut leichter, ein Gesicht zu nehmen, als im Detail die Änderungen der Sozialgesetze zu erklären.

Wie wirkt sich der immer schnellere Infotakt in Berlin auf die politische Analyse aus?

Lohse: Es ist natürlich ein Unterschied, ob konkurrierende Themen einmal am Tag bei der Themenkonferenz auftauchen oder im Minutenrhythmus. Man muss heute anders filtern als früher, schneller und besser, um die wirklich guten Informationen zu finden. Ich würde aber die These wagen, dass es in der reinen Masse sogar mehr Qualität gibt.

Wehner: Man muss schneller reagieren und mehr schreiben. Manche schreiben dann ab, was gerade auf dem Markt ist, ohne selbst ausreichend zu recherchieren. Viele Medien glauben, sie hätten nicht die Kapazitäten, ihre Redakteure ein paar Wochen lang an einer Geschichte arbeiten zu lassen.

Was lehrt uns der mediale Umgang mit Guttenberg?

Wehner: Wir müssen uns fragen, ob wir wirklich über jedes Stöckchen springen wollen, das man uns hinhält. In der aktuellen Berichterstattung über Guttenberg kann man sehen, dass wir es leider schon wieder tun.

Der Tenor ist heute aber ein ganz anderer …

Lohse: Trotzdem hätte ich mir vor allem gewünscht, dass das nicht so viel Platz bekommt. Als Guttenberg seinen famosen Auftritt mit EU-Kommissarin Kroes in Brüssel hatte, machte n-tv einen viertelstündigen Beitrag dazu. Auch die Zeitungen haben dieses Ereignis mit bis zu drei Artikeln berücksichtigt.

Was für ein Feedback bekommen Sie heute auf die – nunmehr fast einhellig negative – Guttenberg-Berichterstattung?

Lohse: Sehr viel weniger … und mit einem eindeutigen Tenor …

Wehner: In der Mehrheit bestärken uns die Leser heute.

Glauben Sie, dass er zurückkommt?

Lohse: Wir haben schon hundertmal versucht, diese Frage zu beantworten. Sehen Sie nur, wie oft er uns überrascht hat. Dass er auf dem Gas steht, haben wir spätestens seit seinem Buch mit di Lorenzo begriffen. Irgendwie wird er schon versuchen, den Boden der deutschen Politik wieder zu betreten – auf einem Weg, den wir heute noch nicht kennen.

Wehner: Die Sehnsucht nach einem „anderen“ Politiker ist weiter da und sie ist weiter ungestillt. Ob Guttenberg diese Rolle noch einmal ausfüllen kann, wage ich zu bezweifeln. Dass er noch einmal zurückkehren kann, will ich nicht völlig ausschließen.

Daniel Kastner

ist Mitglied der „medium magazin“- Redaktion und freier Journalist in Berlin.

daniel.kastner@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 01+02/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 26 bis 28 Autor/en: Interview: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.