Zwei Fragen

Frage 1

Ist Politikberichterstattung oberflächlicher geworden?

Frage 2

Was bedeutet Relevanz von politischen Themen in

regionalen Zeitungen, und wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Peter Pauls

Chefredakteur „Kölner Stadt-Anzeiger“

Es liegt nahe, als Folge der Sparrunden in den Verlagen einen Verlust an journalistischer Qualität feststellen zu wollen. Für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ sehe ich das nicht: Allein die Zusammenführung der Parlamentsredaktionen von „Berliner Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, „Mitteldeutscher Zeitung“ und „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat jedem Titel Zugriff auf ein Berliner Büro in der Dimension der nationalen Blätter beschert.

Wir versuchen viel mehr als früher, zu erklären. Und dennoch bleiben wir zuweilen hinter unseren Ansprüchen zurück – siehe Finanz- und Haushaltskrise. Die Komplexität dieser Themen in der Kürze der aktuellen Produktion zu bewältigen, ist zurzeit eine der größten Herausforderungen für den Journalismus.

Dieter Löffler

Ressortleiter Politik, „Südkurier“

Heute sind die Regionalzeitungen gezwungen, sich etwas einfallen zu lassen und auch im Mantel auf die Leser zuzugehen. Wir fragen zuerst: Was bedeutet das für unsere Leser?

Die Berichterstattung ist intensiver geworden, aufwendiger und individueller. Wir liefern Hintergrund auf einer täglichen Doppelseite, auf der ein Thema aufgearbeitet und auf die Region zugeschnitten wird. Von Verflachung kann keine Rede sein.

Die Diskussion um Relevanz brauchen wir dringend, vor allem vor dem Hintergrund der verschiedenen Vertriebskanäle. Relevanz in Print bedeutet nicht gleichzeitig auch Relevanz für Online oder Mobile. Die Interaktion mit Lesern zeigt uns, was aus deren Sicht relevant ist und wie wir uns als Medienschaffende entwickeln müssen.

Joachim Braun

Chefredakteur „Nordbayerischer Kurier“

Wir haben den Kontakt zu den Lesern schon vor vielen Jahren verloren. Am Niedergang des Journalismus ist nicht das Internet schuld.

Unser Ziel ist es, politische Themen von der Leserseite her anzugehen. Wir versuchen jeden Tag, große Themen herunterzutransportieren.

Ich versuche, die Leser so zu provozieren, dass sie gezwungen sind, zu antworten. Eine Zeitung muss Haltung haben, gegen den Strom schwimmen und Kante zeigen.

Ich glaube, dass wir die falschen Themen machen. Viele Themen, die an den Eliten orientiert sind oder an den Interessen der Journalisten. Wir brauchen Geschichten, die Betroffenheit auslösen. Relevante Themen rauskitzeln sehe ich als unsere Hauptaufgabe.

Georg Anastasiadis

stellvertretender Chefredakteur „Münchner Merkur“

Die investigative Arbeit ist zurückgegangen, viele Kollegen richten sich an „Spiegel Online“ aus.

Um dieser Falle des gedruckten Internets zu entgehen, haben wir beim „Merkur“ eine Rechercheredaktion gegründet. Fünf Köpfe aus der Zentrale wurden zusammengezogen und bilden ein Hintergrundteam. Dadurch können wir viele zusätzliche Geschichten anbieten, die genau auf unsere Region und unsere Leser zugeschnitten sind.

Relevanz heißt für uns: Wir klinken uns aus bestimmten Debatten aus, wenn wir denken, das geht an unseren Lesern vorbei. Wir sind da brutal in der Konzentration. Wenige Themen, dafür umfassend. Wir besinnen uns auf die eigenen Stärken.

Christoph Reisinger

Chefredakteur „Stuttgarter Nachrichten“

Ich sehe bei den politischen Berichterstattern ein ausgeprägtes Herdenverhalten. Es wird geschaut, was machen die Taktgeber, zum Beispiel „Bild” oder „Spiegel Online”. Personalisierung ist in vielen Bereichen richtig. Aber sie darf nicht zum Fetisch werden. Da können Sie die Hintergründe etwa der Eurokrise nicht ordentlich aufbereiten. Wir haben zumeist nicht ein Themenproblem, sondern ein Darstellungsproblem.

Relevanz ist tägliches Geschäft. Wir schreiben nicht für uns, sondern für die Kundschaft. Die Krise der regionalen Tageszeitungen kommt auch daher, dass wir Irrelevantes zum Relevanten erklärt haben. Heute hat jede Alm einen Internetanschluss. Die Vorstellung, auf dem Lande denkt man anders, ist passé.

Uwe Röndigs

Chefredakteur Zeitungsgruppe Lahn-Dill

Der Politikteil ist deutlich anspruchsvoller geworden. Wir liefern viel stärker Synthese und Analyse, haben Schwerpunktseiten, Blickpunktseiten, Tagesthema entwickelt. Die Politikberichterstattung hat mehr Allround-Blick gewonnen. Wir bekommen von unserem Berliner Büro vieles, was die Agenturen nicht abdecken. Die Kollegen sind sehr stark lesergesteuert, wir verfeinern die Geschichten oft noch mit eigenen Akzenten.

Es kommt sehr darauf an, ob ein Thema emotionalisiert. Früher haben wir die Themen viel trockener, nachrichtlicher bewertet. Heute geht es um Betroffenheit. Aber zugleich ist es wichtig, die Themen im Blatt aufzudröseln.

Erschienen in Ausgabe 01+02/202012 in der Rubrik „Special. Politik“ auf Seite 36 bis 37. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.