Einer schreibt den Sprechzettel

Jesus hatte seine zwölf Apostel. Einer war nach dem letzten Abendmahl abgängig, aber die restlichen schrieben auf, was der Herr so von sich gegeben hatte. Es wurde ein Bestseller und die „Schrift“ gleichsam Baustein für eine der größten Religionen der Welt. Die Apostel waren Journalisten und PR-Manager in einem.

Einer für alles

Schon vor Jesus regierten die römischen Politiker Cäsar, Cicero und Cato nicht einfach vor sich hin, sie schrieben auch nieder, was sie politisch und philosophisch umtrieb. Eine Unterscheidung in Journalismus und PR kannten sie nicht. Und hätte Kaiser Wilhelm II. nicht einen Flügeladjutanten zur Seite gehabt, wüssten wir wenig über sein Exil in Holland. Er notierte, was ihm am gefallenen Herrscher auffiel und wie er sein Leben hinter dem Deich verbrachte. Es sollte Journalismus sein – oder vielleicht doch PR?

Gemein ist allen, dass es brillante Schreiber waren, die scharfsinnige Briefe, Reden, Verlautbarungen und philosophische Traktate hinterlassen haben. Sie hatten Botschaften, die sie in die Welt hinaustragen wollten. Sie waren nicht einfach Kommunikationsstrategen, sie nahmen den Griffel selbst in die Hand.

Es soll jetzt nicht der Versuch unternommen werden, die Grenze zwischen Journalismus und PR zu verwischen. Journalismus und PR sind höchst unterschiedliche Professionen. Aber es sind Berufe, die eine satte Schnittmenge aufweisen. Gute PR braucht guten Journalismus und gute Journalisten bedienen sich zuweilen gern erfahrener und kenntnisreicher Kommunikationsfachleute.

Daher verwundert die Diskussion, ob Journalisten überhaupt noch für den Job des Pressesprechers taugen. Angeblich übernehmen zunehmend kommunikativ erfahrene Betriebswirte, Marketing-Strategen oder im Umgang mit Analysten geübte Finanzfachleute die Bastion der PR-Chefs. Die Fachpostille „Pressesprecher“ glaubt jedenfalls, die neue Richtung zu kennen. Als Kronzeugen dienen ihr Personalberater und Lehrstuhlinhaber, die irgendwie mit den Facetten der Medienwelt etwas am Hut haben und sich gerne in der Vorhersage üben: „Die Zeiten, in denen bevorzugt Journalisten als Pressesprecher eingestellt werden, neigen sich dem Ende zu.“

Arme Journalisten, jetzt soll ihnen auch noch diese lukrative Perspektive wegbrechen. Die These entlarvt allerdings nur eines: Die selbst ernannten Arbeitsmarktpropheten der Medienbranche kennen das Geschäft nicht wirklich.

Es gibt auch Sektglashalter

Als ob der Journalist, der die Seiten wechselt, nicht schon immer auch Manager, Führungskraft, Fachmann, Stratege und Diplomat sein musste. Und in aller Regel war und ist der Journalist auf dem PR-Stuhl auch Absolvent eines akademischen Studienganges. Sicher gibt es zu Pressesprechern konvertierte Journalisten, die scheitern. Sicher findet man unter ihnen Frühstücksdirektoren und Sektglashalter, Kofferträger, Trickser und Lügner. Ja, und auch echte Trottel. Aber das findet man alles auch unter anderen Professionen.

Nein, der Journalist ist zunächst von seiner Ausbildung her geradezu eine Idealbesetzung für den PR-Job. Er kennt die Mechanismen des Medienbetriebs, übt sich in immer anderen Themen, vermag komplizierte Vorgänge in einfachen Worten zu erläutern, kann zuspitzen und hat in aller Regel berufsbedingt auch eine gesunde Distanz zum eigenen Dienstherrn, was seiner Glaubwürdigkeit hilft. Und er weiß, was es heißt, an der Front zu stehen und Kugelfang zu spielen.

Vor allem aber hat der Journalist im PR-Beruf das Schreiben nicht verlernt. Und wer schreibt, um zu erklären oder aufzuklären, muss seine Hirnwindungen mehr strapazieren als der PR-Moderator oder der Dampfplauderer. Schreiben macht genau und das geschriebene Wort bleibt: litera scripta manet. Universitäre PR-Anwärter lernen das oft nicht mehr und wollen es auch gar nicht lernen. „Ich studiere doch nicht zehn Semester Kommunikationswissenschaften, um hinterher blöde Pressemitteilungen zu formulieren“, wollte eine Studentin der Leipziger Hochschule ihre Berufsvorstellung auf den Punkt bringen.

Irgendwie hat sie ihren künftigen Job nicht verstanden. Der oberste Kommunikator in Wirtschaft und Politik ist der jeweilige Häuptling des Betriebs. Der Chef. Er gibt die Richtung vor. Aber es kann nicht jeder Häuptling sein. Einer muss ihm auch den Sprechzettel schreiben.

Anton Hunger (63) ist Journalist und war 17 Jahre Pressechef bei Porsche. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicita“ in Starnberg.

Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.

Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 66 bis 66 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.