Im Herzen immer Journalistin

Der Elch ist weg. Er lag auf der Oberkante ihres Bildschirms und blickte die Schreiberin an. Geduldig, nachsichtig, manchmal prüfend, mitunter streng. Daniela Schadt hat inzwischen ihren Schreibtisch geräumt. Nur die Bildstrecke von Helmut Kohl vor dem Untersuchungsausschuss – der Altkanzler holt sich gerade mit sichtlichem Behagen ein Vesperbrot aus der Aktentasche – ziert noch wie eine Ikonenwand den Raum.

Den kleinen Knautsch- und Knuddel-Elch von ihrem Bildschirm hat sie mitgenommen. Ein Talisman. Sicher wird er inzwischen auf ihrem Berliner Laptop fläzen; und vielleicht darf er demnächst sogar mit in ein Büro einziehen, das man der Frau an der Seite des neuen Bundespräsidenten einrichtet.

Zeitungskommentare dürften dort allerdings nicht mehr entstehen. Das schickt sich nicht für eine First Lady. Denn jedes gedruckte Wort ist interpretierbar und verfänglich; keine zehn Pferde können es mehr zurückholen.

Im Herzen wird Daniela Schadt jedoch Journalistin bleiben. Dessen sind sich ihre Kolleginnen und Kollegen bei der „Nürnberger Zeitung“ sicher, wo sie 1990 als Volontärin nach Studium und diversen Praktika angeheuert hatte. Man saß damals an grün flimmernden und armlangen Röhrenbildschirmen. Die Seiten entstanden im Klebe-Umbruch. Es gab noch Erfasserinnen, Setzer, Reprofotografen.

Schnell stellte sich heraus, wo die gebürtige Hanauerin ihre Heimat innerhalb der Redaktion finden würde. Natürlich in der Innenpolitik. Da wirkte wohl auch noch ein wenig die Frankfurter Schule nach und die Grundhaltung ihrer früheren Uni. Aber auch die Lust, Politik transparent zu machen, parlamentarische Entscheidungen nachzuvollziehen, Verklausuliertes zu verklaren.

Am 12. November 1999 berichtete NZ-Redakteurin Daniela Schadt auf Seite drei von einer Ausstellungseröffnung in der katholischen Stadtakademie zum Thema Stasi-Akten. Überschrift: „Unterdrücker, die Angst vor den Unterdrückten hatten“. Das Zitat stammte vom damaligen Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, der an diesem Abend die Eröffnungsrede hielt.

Dass es beim nachfolgenden Hintergrundgespräch im Keller-Treffpunkt des Caritas-Pirckheimer-Hauses gefunkt haben muss, hat niemand in der Redaktion bemerkt.

Daniela Schadt kam am nächsten Tag wie immer mit dem Fahrrad auf den letzten Drücker in die Redaktionskonferenz. Dafür verließ sie gewöhnlich am Abend als Letzte ihren Schreibtisch.

Erst Wochen später, als man sie schon mehrfach in Nürnberg mit Joachim Gauck mal beim Bäcker, mal beim Spaziergehen gesehen hatte, sprach man auch in der Redaktion darüber. Journalisten sind komischerweise im persönlichen Umgang diskret und eher scheu. Doch wir platzten vor Neugier. Wollten mehr von ihrem „Jochen“ wissen.

Daniela Schadt gab dann gewöhnlich den Affen Zucker, ohne viel preiszugeben. Diese Gabe wird ihr bei der neuen Aufgabe helfen, die nicht leicht sein dürfte. Die aber kaum jemand besser meistern wird als sie. Freundlich und verbindlich zu sein, gleichzeitig aber verschwiegen die Distanz zu wahren – das ist ein Charisma, das sich schwerlich erlernen lässt.

Ob Pförtner oder Ressortleiter, Putzfrau oder Chefsekretärin – ihre Zuwendung verteilte Daniela Schadt gerecht und geradezu verschwenderisch. Unbefangen begegnete sie ihren vielen Duz-Bekanntschaften. Engere Freunde und Freundinnen wählte sie hingegen gezielt aus. Viele dürften es auch in Berlin nicht werden.

Eigene Schwerpunkte

Gezielt ging sie auch ihre Themen an. Die Redakteurinnen und Redakteure eines kleinen Blattes wie der „Nürnberger Zeitung“ müssen ein breites Spektrum abdecken. Gleichzeitig gilt es, eigene Schwerpunkte zu setzen und zumindest in einigen Bereichen das Fachwissen zu vertiefen.

Daniela Schadt hätte nie über Wulff geschrieben, das Thema Stasi-Unterlagenbehörde überließ sie anderen. Wer zu nah dran ist, verliert die Übersicht, war ihre Devise.

Sie beschäftigte sich lieber mit der EU und Griechenland. In einem ihrer letzten Kommentare für die NZ schrieb sie: „Schon länger kursieren Gerüchte, wonach Hellas aus der Euro-Zone gemobbt werden soll – rauswerfen kann man es ja nicht. Aber seit jene Brandmauern stehen, die ein Übergreifen der Krise in Italien und Spanien verhindern sollen, wird gelassener über die Griechen-Pleite diskutiert. Schließlich hat auch die Leidensfähigkeit der EU-Partner Grenzen.“

Noch mehr Kopfzerbrechen bereitete ihr in den letzten Jahren das neue Russland, wo die Geheimdienste noch immer eine obskure Rolle spielen, organisiertes Verbrechen und Behörden mehr denn je verfilzt sind, die Justiz oft fragwürdig entscheidet.

Das Buch „In Putins Russland“ der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja hat Daniela Schadt tief bewegt. Was schönfärberisch als „gelenkte Demokratie“ bezeichnet wird, erzeugte bei ihr tiefes Misstrauen; das drückte sich in ihren Kommentaren aus und schlug sich in der Auswahl der Nachrichten nieder.

Keine Schattenblume

Alle, die sie kennen, wissen, dass die 52-Jährige auch in ihrer neuen Aufgabe ihren politischen Verstand nicht ausschalten kann und will.

Im Gegenteil: Sie wird noch genauer hinschauen, sie wird sich einmischen, sie wird eine eigenwillige Frau an Gaucks Seite sein. Keine Schattenblume, davor bewahrt sie ihr sonniges Gemüt, das nicht berechnend ist und keine Eitelkeit kennt (die man eher ihrem Lebensgefährten nachsagt).

Auch ist sie kein Karrieretyp, was ihr einige Medien in den letzten Tagen unterstellt haben. Sonst hätte sie wohl nicht erst an jenem Sonntagabend im Februar – als sie im Zug von Wien nach Nürnberg erfuhr, dass Gauck als Bundespräsident nominiert ist – in der Redaktion angerufen, um am Montag einen Tag frei zu bekommen. Sie wollte bis zuletzt nicht an den Ernstfall denken.

Danach überschlugen sich die Ereignisse. Erste Glückwünsche und eine Menge von Interviewanfragen.

Die meisten wollten nur das eine wissen: Werden sie heiraten? Wird sich Gauck scheiden lassen? Wie funktioniert eine Partnerschaft ohne Trauschein im Schloss Bellevue? Fragen, die überraschend schnell keine Rolle mehr spielten.

Ohnehin ist es erfreulich, wie gelassen die Öffentlichkeit mit den Lebensumständen des Paares umgeht.

Dagegen reagierten viele Leser der „Nürnberger Zeitung“ traurig. Eine Zuschrift kam schon am folgenden Dienstag. Sie lautete: „Keine Kommentare mehr von Daniela Schadt – schad‘!“

VITA

Daniela Schadt, geboren am 3. Januar 1960 in Hanau, machte dort 1978 ihr Abitur. Anschließend studierte sie in Frankfurt/Main Germanistik, Politik und französische Literatur und absolvierte daneben Praktika beim Hessischen Rundfunk (hr). Nach ihrem Examen zum M.A. arbeitete sie zunächst als freie Doktorantin an der Uni Frankfurt und von September bis Dezember 1986 als Redaktionsassistentin beim hr. Dem folgten verschiedene Praktika und eine Redaktionsassistenz beim Nürnberg Supplement Verlag (heute rtv), bis sie im Januar 1989 Mitarbeiterin der „Nürnberger Zeitung“ wurde – zunächst frei, 1990-1991 als Volontärin und zuletzt (formal noch bis zum 31. März) als Ressortleiterin Innenpolitik.

Die 1804 gegründete „Nürnberger Zeitung“ ist eine der ältesten deutschen Tageszeitungen. Sie hat eine rund 60-köpfige Redaktion und eine Auflage von gut 26.000 Exmplaren.

Raimund Kirch arbeitet seit 1980 bei der „Nürnberger Zeitung“. Zuerst in der Innenpolitik, dann als Chef vom Dienst. Seit 2006 ist er Chefredakteur.

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Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 34 bis 35 Autor/en: Raimund Kirch. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die
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