Die Journalisten des 21. Jahrhunderts haben wie Columbus eine neue Welt entdeckt. Diese neue Welt ist grenzenlos und digital. Aber auch in ihr gelten die klassischen Regeln des Journalismus. Die journalistische Königsdisziplin ist auch in der digitalen Welt die investigative Recherche. Sie ist eine kostbare Erbschaft aus der analogen Vergangenheit.
Radikal verändert jedoch hat sich das Verhältnis zum Leser. Der aus der Leserbriefspalte befreite Kunde hat sich zum Mitmach-Reporter, Tippgeber und schnell reagierenden kritischen Counterpart des Journalisten emanzipiert. Das ist einer der großen Fortschritte im Journalismus – angestoßen und vorangetrieben durch die digitale Kommunikation –, von denen der bürgernahe Journalismus besonders profitieren kann.
Bloß daraus müssen die Redaktionen auch Konsequenzen ziehen. Jedes unbesetzte Telefon, jede Mail-Funktion „Nicht zu erreichen. Mails werden nicht gelesen!“ und jede Endloswarteschleife sind tödlich für den neu gewonnenen Kontakt zwischen Leser und Redakteur. Der Journalist muss im digitalen Zeitalter verlässlich und persönlich ansprechbar sein, sonst erleidet sein Medium einen Vertrauensverlust.
Vorwärtsgewandter Journalismus muss radikal einfach sein. Denn im Kern des Kontrakts, den der Kunde täglich mit den Medien schließt, stehen Verständlichkeit, Überprüfbarkeit und persönliche Nähe. Der Leser möchte seinem Journalisten persönlich vertrauen. Er will hinter der Professionalität einen Menschen mit Leidenschaft und Mitgefühl spüren. Das muss in jeder Zeile spürbar sein. Mal ehrlich: Die trockene Nachricht war noch nie des Lesers Leibgericht.
Journalismus ist Komplexitätsreduktion. Um es mit den Worten des Dichters zu sagen: „Einfach werden – radikal./ Kompliziert, das war einmal./ Weil … Subtilität/ kaum ein Leser noch versteht.“ (Peter Rühmkorf)
Nun will ich von einigen Autoren des FAZ-Feuilletons nicht einfordern, so zu schreiben, dass ich es verstehe. Sie schreiben für eine Zielgruppe, die schlauer ist als ich. Das muss ich akzeptieren. Aber der Journalist der Regional- und Lokalzeitung hat sich, wenn er seinen Beruf richtig versteht, längst von dem Dünkel verabschiedet, Dienstleister allein für die gebildeten Stände zu sein. Darauf gründet der Erfolg eines Lokaljournalisten. Er bietet allen Lesern unabhängig von ihrem Schul- oder Hochschulabschluss ein attraktives Angebot zur Welterklärung. Qualität ist, wenn der Leser nach der Lektüre sagt: Ich habe verstanden!
Aber wir beschreiben und erklären die Welt nicht nur. Wir gehen der Welt auf den Grund. Wir recherchieren. Wir sind Investigatoren. Und davon haben wir in den letzten Wochen ein Musterbeispiel erlebt. Nur gibt es bedauerlicherweise ein gewisses Missverhältnis zwischen investigativem Journalismus und Empörungsjournalismus.
Wiegen wir all die Zeitungsseiten gefüllt mit moralisierenden Leitartikeln über die Causa Wulff kommen ein paar Tonnen Empörung zusammen. Die Empörung war gerechtfertigt, aber sie war auch wohlfeil. Recherche macht Arbeit. Sie braucht gut ausgestattete Redaktionen mit journalistischen Trüffelschweinen, die sich wochenlang aus der Tagesfron des Zeitungsmachens verabschieden können.
Es reicht nicht,
sich ein paar Dokumente aus dem Netz auf den Rechner zu laden. Rechercheure müssen juristisch fit sein, sie müssen über Jahre gewachsene Verbindungen ausspielen können, sie müssen geschönte Zahlenkolonnen enttarnen. Und sie brauchen einen Verlag, dem die journalistische Königsklasse der Recherche noch ein paar Euro wert ist. Da gibt es leider nicht mehr viele in Deutschland, beim „Spiegel“, bei „Bild“, bei der „Süddeutschen“, bei der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, auch bei der „Welt“.
Investigative Recherche kostet, Empörung dagegen ist wohlfeil. Sie ist zwischen Kantinenbesuch und Redaktionsschluss schnell niedergeschrieben, zumal andere die Affäre detailversessen und wasserdicht ausgebreitet haben. Für den Rest blieb nur ein Kettcar übrig, ein Blick in den Kleiderschrank der First Lady und ein Kochbuch der niedersächsischen Küche.
In der Wulff-Affäre hat sich der Journalismus mal wieder als Meister des Copy-and-paste-Verfahrens erwiesen. Die einen recherchieren, die anderen drucken das Recherchierte freihändig nach und geben als eigene Leistung den erhobenen Zeigefinger des Kommentators dazu. Sieht so Arbeitsteilung im Journalismus aus?
Skurril wird die Sache, wenn einige Bedenkenträger dabei noch sorgenvoll ihr Kommentatorenhaupt wiegen, weil es ein Boulevardblatt war – noch dazu „Bild“ –, auf das sie sich nun berufen müssen. Aber wer nicht selber kocht, kann sich nicht aussuchen, wer serviert.
Bei Guttenberg war es nicht anders. Die investigative Recherche hatten netzaffine Laien übernommen, die den Medien ihre Rechercheergebnisse kostenfrei überließen. Danach purzelten noch ein paar andere Doktorhüte. Aber nicht etwa, weil der Journalismus auf den Trichter gekommen wäre, den sinistren politischen Gestalten selber auf den Zahn zu fühlen.
Ein Journalismus, der darauf vertraut, dass andere für ihn die Arbeit machen und die Ergebnisse dann beim Pförtner abgeben, macht es sich zu bequem auf dem Sofakissen.
Die milliardenschwere ARD,
die Maschmeyer und diverse Billigdiscounter wegen ihrer schmierigen Praktiken mit harten Recherchen zu Leibe rückte, drückt sich bei politischen Skandalen gern in die letzte Reihe. Ein kesser Titel wie „Der Bundespräsident stellt sich!“ ersetzt keine investigative Recherche.
Ebenso wenig war es journalistischer Hochleistungssport, den Präsidenten, der mit einem Gesicht wie auf einem zerknitterten Fahndungsfoto im Studio saß, mit einigen Fragen zu konfrontieren. Die ARD bekennt sich mit der Talkshowisierung ihres Programms ohnehin zum Psychotherapeuten-Prinzip „Schön, dass wir drüber geredet haben“.
Journalismus ist mehr als Abschreiben, drüber Reden und sich reihenweise Empören. Journalismus ist: etwas rauszubekommen, sich dabei schmutzig zu machen und bei der Unter-Tage-Arbeit auch mal zu verzweifeln, weil die Goldader der Informationen sich hinter hartem Gestein verbirgt. Journalistische Qualität zeichnet sich durch investigative Arbeit aus. Empörung ist nur der würzige Nachtisch.
Ernst Elitz (70) war bis April 2009 Intendant des Deutschlandradio. Er ist Honorarprofessor für Kultur- und Medienmanagement an der FU Berlin und schreibt als Publizist, u. a. für „Tagesspiegel“ und „Bild“. Sein Essay basiert auf einer Rede, die er vor kurzem beim Symposium des deutschen Lokaljournalistenpreises 2012 in Berlin gehalten hat
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Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 22 bis 23 Autor/en: Ernst Elitz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.