Preisfrage

Nico Fried

Hauptstadtkorrespondent „Süddeutsche Zeitung“

Ich möchte nicht bewerten, ob die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung über Wulffs Ärger in Hannover tatsächlich die wichtigste Enthüllung des Jahres war. Aber wenn die „Bild“ dafür den Nannen-Preis bekommt, habe ich damit überhaupt kein Problem. Eine der folgenreichsten Geschichten war es auf jeden Fall.

Christian Bommarius

Mitglied der DuMont-Redaktionsgemeinschaft („Berliner Zeitung“/FR)

Auch eine verabscheuungswürdige Zeitung kann guten Journalismus machen. In diesem seltenen Fall sollte er auch gewürdigt werden.

Klaus Boldt

Reporter und Medienspezialist, „Manager Magazin“

Kai Diekmann ist zwar die Scheinheiligkeit in Person, und die Wulff-Enthüllungen der „Bild“ waren nicht nur, ja wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie oder überhaupt gar nicht Ethos-getrieben oder irgendwelchen höheren Prinzipien geschuldet.

Aber Ethos-Getriebene und Prinzipienreiter gehen mir sowieso auf den Senkel. Also, wenn schon unbedingt Preise verliehen werden müssen – und Journalisten sollten eigentlich keine annehmen wollen –, warum dann nicht ein Preis an „Bild“? Und sei es nur, um die üblichen Sonderermittler und selbst ernannten Spezial-Enthüller ein bisschen zu quälen. Alleine deswegen würde es sich lohnen. Aber noch lieber wäre mir, Journalisten selbst würden sich dem Starkult verweigern und auf alle Preise pfeifen und einfach ihre Arbeit erledigen.

Claus Richter

Leiter „Frontal 21“, ZDF

Auch wenn es mir schwerfällt: Ja, „Bild“ hat den Henri-NannenPreis verdient.

In Sachen Wulff (und auch schon bei der Kunduz-Affäre) lag das Blatt mit investigativen Recherchen klar vor der Konkurrenz, auch vor dem „Sturmgeschütz der Demokratie“ und den anderen Spitzen-adressen der Branche.

„Bild“ ist zwar alles andere als ein leuchtendes Vorbild bei kritischem, aufklärerischem Journalismus, aber in diesem Fall hat sie sich um die Öffentlichkeit verdient gemacht.

Christoph Lütgert

ehem. Chefreporter NDR, „Panorama – Die Reporter“

Ich bin gespalten. Mit der Wulff-Enthüllung oder -Entlarvung hat „Bild“ zweifelsfrei Geschichte geschrieben. Das war für sich genommen hervorragender Journalismus. Aber eben nur für sich genommen. Ginge es nur um die Wulff-Recherche, hätte das Blatt einen wichtigen Preis zweifelsfrei verdient. Aber nimmt man „Bild“ insgesamt, sträubt sich in mir vieles, ausgerechnet diesem Blatt den Henri-Nannen-Preis zuzusprechen. Ein Beispiel aus eigener Betrof-

fenheit: Wir von „Panorama – Die Reporter“ hatten akribisch recherchiert und unwiderlegbar aufgezeigt, mit welch üblen Methoden Carsten Maschmeyer und sein AWD zigtausend Menschen um ihre Ersparnisse gebracht oder gar ins Unglück gestürzt hatten. Und ausgerechnet „Bild“, die sich so oft als Anwalt des kleinen Mannes geriert, hat nach unserer Veröffentlichung eine mehr als fragwürdige Verteidigungsschlacht für den Multi-Multi-Millionär Carsten Maschmeyer geschlagen. Mit kritischem oder auch nur sauberem Journalismus hatte das nichts zu tun. Fazit: Lobende Erwähnung für die Wulff-Geschichte, aber bitte sehr kein ganzer Henri-Nannen-Preis an „Bild“.

Michael Jürgs

Publizist

1. Dies zu entscheiden ist alleine die Sache der Jury, die ist bestimmt beglückt, wenn Außenstehende ungebetene Ratschläge erteilen. 2. Wäre ich in der Jury, würde ich aber folgende Fakten bedenken: 3. Erst nach der langwierigen juristischen Klärung durch den „Spiegel“ war die Großburgwedel-Recherche (Stichwort: Besitzverhältnisse) machbar. 4. Der „stern“, in Person des hervorragenden Reporters Tillack, hatte eine fast fertige Geschichte, diese aber um ein Heft verschoben und auf stern.de online gebracht. Warum auch immer. 5. Dann übernahm „Bild“ mit eigenen Recherchen und den bekannten Folgen (Mailbox etc.). 6. Der „Spiegel“ brachte unter Bezug auf „Bild“ (Wortlaut Mailbox, Anruf Wulff bei Döpfner, Eigen-Recherchen Hannover) in einer Titelgeschichte die Affäre dann voran – und lag, wie man heute weiß, damit richtig: nämlich mit dem Titel „Der falsche Präsident“.

7. Sollte ich mit den bisherigen Punkten richtig liegen, würde es bedeuten, dass man den Preis gemeinsam „Bild“, „stern“, „Spiegel“ überreichen müsste. 8. Eine solche Mischung wäre in der Geschichte des Preises in der Tat überraschend. 9. Aber siehe Punkt 1: Die Jury – und nur die – hat zu entscheiden.

Ulrike Herrmann

Wirtschaftspolitische Korrespondentin der „taz“

Erstens: Der entscheidende Hinweis, der die Staatsanwaltschaft veranlasst hat, zu ermitteln, stammt von Peter Hintze. Aus Versehen im Fernsehen ausgeplaudert. Dies berührt nicht den Privatkredit, sondern die Nähe zu dem Filmproduzenten Groenewold.

Zweitens: Es ist bis heute nicht genau bekannt, wie „Bild“ eigentlich in Sachen Privatkredit ermittelt hat. Leider wurde Wulffs Anruf auf der Mailbox ja nie vollständig veröffentlicht (und die „Bild“ wird wissen, warum).

Aber die unvollständige Version lässt zumindest die Vermutung zu, dass sich Wulff erpresst fühlte – und zwar mit anderen Geschichten als dem Privatkredit. Angesichts des sehr merkwürdigen Umgangs der „Bild“ mit der Mailbox fände ich es ein bedenkliches Symbol, wenn diese Art des investigativen Journalismus ausgezeichnet würde.

David Schraven

Leiter Ressort Recherche, WAZ

Die „Bild“-Geschichte gehört sicher zu den besten investigativen Stücken des vergangenen Jahres. Und warum sollte nicht auch die „Bild“ mal ausgezeichnet werden für diese ausgezeichnete Arbeit? Man darf aber nicht vergessen, dass die anderen nominierten Stücke auch stark sind.

Natürlich ist das öffentlichkeitswirksamste Stück in der Wahrnehmung die „Bild“-Geschichte. Doch die investigative Arbeit des „Spiegel“-Teams oder der SZ-Mannschaft sind inhaltlich genauso stark und wichtig – wenn auch nicht so spektakulär.

Deswegen bin ich froh, dass ich unter den starken Themen nicht entscheiden muss, freue mich aber, dass intensive Recherche vom Boulevard-Blatt bis zum Magazin einen hohen Stellenwert genießt.

Stephan Detjen

Chefkorrespondent Deutschlandradio

„Bild“ hat hartnäckig recherchiert. Aber die wichtigste Rechercheleistung in der Causa Wulff war der bis zum Bundesgerichtshof geführte Rechtsstreit, mit dem der „Spiegel“ das Recht zur Einsichtnahme in das Grundbuch von Großburgwedel durchgesetzt hat. Die Karlsruher Entscheidung wirkt über den konkreten Fall hinaus und unterstreicht den Vorrang der Rechercherechte von Journalisten vor den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen, wenn es um Angelegenheiten von öffentlicher Bedeutung geht. Der „Spiegel“ hat hier in klassischer Weise die Watchdog-Funktion der Medien gegenüber Politik und Justiz behauptet. Preiswürdig? Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ich will die Leistung der Medien erst dann bewerten, wenn klar ist, wie sie gegebenenfalls mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Wulff umgehen.

Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 24 bis 24 Autor/en: Umfrage: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.