Wulffen Sie auch?

Es war nicht anders zu erwarten: Kaum verkündete die Deutsche Bahn Ende Februar, die ermäßigte Bahncard für Journalisten abzuschaffen, wurde das Mediengetöse laut. Und das, während die Schelte auf Wulff, den Rabattpräsidenten, weiterging. „Nicht mehr zeitgemäß“, stand im Anschreiben der Bahn, „die Medienwelt hat sich grundlegend verändert“, und auch „die Diskussionen innerhalb des journalistischen Berufsstandes“.

In der Tat haben sich in der Vergangenheit Unternehmen unter deutlich geringerem Getöse von der Praxis verabschiedet, Journalisten spezielle Ermäßigungen zu gewähren. So auch der Hamburger Versandhändler Otto: Presserabatte seien „schlicht nicht mehr zeitgemäß“, findet auch Otto-Sprecher Thomas Voigt und stellt die Kernfrage: „Wie laut können die Medien gegen unberechtigt eingeräumte Vorteile von Politikern, Beamten und Angestellten zu Felde ziehen, wenn der eigene Berufsstand dagegen verstößt?“

Die Antikorruptionsorganisation Transparency International nahm die Bahn-Entscheidung zum Anlass, pauschal „ein Ende der Journalistenrabatte“ zu fordern: Unternehmen sollten nicht auf bessere Berichterstattung schielen, indem sie Journalisten potenziellen Interessenkonflikten aussetzten.

Die Bahn macht also mobil – in einer alten Debatte, die nun plötzlich wieder rasant Fahrt aufnimmt: Dürfen Journalisten bei Unternehmen schnorren, neudeutsch: wulffen? Und wenn ja, warum ausgerechnet sie?

Ende Januar, Bundespräsident Christian Wulff war noch nicht zurückgetreten, talkte Sandra Maischberger im Ersten zum Thema „Die Schnorrer-Republik: Sind wir alle ein bisschen Wulff?“. Die Runde mit TV-Journalistin Lea Rosh und Historiker Arnulf Baring betrachtete auch die Vorteilsnahme der Medien kritisch: Welchen Sinn hat ein Pressekodex, der die Annahme von Vorteilen mit der Unabhängigkeit der Presse für unvereinbar hält, wenn Medienvertreter reihenweise wulffen? Die Gastgeberin vergaß dabei nicht zu erwähnen, dass sie selbst seit Jahren mit Rabatt Bahn fahre, wollte das aber erst kürzlich entdeckt haben.

Journalisten, die Schnorrer der Nation? Dass die Mehrheit der deutschen Journalisten Presserabatte nutzt, ist ein offenes Geheimnis. Wissenschaftlich damit befasst hat sich erstmals Dominik Stawski in seiner 2009 als Diplomarbeit verfassten Studie „Die Prozente der Presse“ (s. S. 29). Die deutschlandweite Befragung von Tageszeitungsjournalisten ergab, dass 74 Prozent, vom Praktikanten bis zum Chefredakteur, schon einmal einen Presserabatt in Anspruch genommen haben. Wobei Vielverdiener Privilegien häufiger nutzten als die Schar der Unterbezahlten und Frauen skeptischer seien als ihre männlichen Kollegen. Stawski fand auch heraus, dass knapp die Hälfte denkt, Sonderkonditionen seien „unproblematisch“. „Auswüchse“ im Rabattgeschäft machten den jungen Forscher „fassungslos“: Manche Kollegen drohten Unternehmen offen mit negativer Presse, sollte ihnen kein Rabatt gewährt werden.

Nylonstrümpfe, Tantra-Massage

Die Anspruchshaltung von Journalisten scheint gestiegen, auch weil sich der Markt professionalisiert hat: Newsletter informieren über aktuelle Schnäppchen, Unternehmen richten Hotlines für Journalistenbestellungen ein. Nachdem die rot-grüne Bundesregierung 2001 das Rabattgesetz von 1933 abgeschafft hatte, beobachtete Historiker Götz Aly, kamen die Journalistenbegünstigungen richtig in Schwung. Portale wie journalismus.com und pressekonditionen.de listen Billig-Hits für Journalisten auf, unter den 1.800 Angeboten gibt es alles: 50 Prozent auf Flüge, 20 Prozent auf Autos oder Möbel, Rabatt auf Nylonstrümpfe und Tantra-Massagen.

Rabatte und Preisnachlässe dienen der Klimapflege zwischen Unternehmen und Journalisten. Sie sind, lässt etwa die Telekom mitteilen, in zahlreichen Branchen „fester Bestandteil von Programmen zur Kundengewinnung respektive Kundenbindung“. Kritiker sagen auch: zur Kundenbestechung. Die Telekom selbst erlässt Journalisten 15 Prozent auf ausgewählte Tarife, entsprechend „den strengen Compliance-Richtlinien“ des Konzerns; einen Preisnachlass in gleicher Höhe erhalten auch von Telekom-Mitarbeitern geworbene Kunden wie Freunde, Nachbarn und Vereinskameraden. Und daran soll sich, so heißt es aus Bonn, auch nichts ändern.

Eine nicht repräsentative Umfrage von „medium magazin“ hat ergeben, dass die kontaktierten Billigflieger, Mobilfunker, Elektronikanbieter, Reiseveranstalter und Autobauer mit der Bahn nicht gleichziehen: Sie wollen an ihrer Rabattpraxis für Journalisten festhalten. Bei Thomas Cook sieht man keinen Grund für den Verzicht auf zehn Prozent Pressediscount: „Es ist wichtig, dass unsere Kunden das Produkt erleben“, sagt Sprecher Mathias Brandes. Der personelle und finanzielle Aufwand für die speziellen Buchungen bewege sich aus interner Sicht in einem „vernünftigen Rahmen“; durch die direkte Buchung entfielen Provisionen für Reisebüros. Letztlich, so Brandes, gehe es auch um „Waffengleichheit“. Will heißen: Gibt die Konkurrenz Prozente, muss man mittun.

Ob Bahn, BMW oder Telekom: Kein Presseausweis, kein Presserabatt. Das ist die Abmachung. Diejenigen, die ganz offiziell einen Presseausweis ausgeben dürfen, wurmt diese „unnatürliche“ Verquickung von ID und Discount. So beklagen die von uns befragten journalistischen Verbände und Gewerkschaften unisono, dass der Presseausweis in den letzten Jahren als Türöffner in die bunte Rabattwelt missverstanden wurde. Und sie betonen, dass das Plastikkärtchen ausschließlich zur Ausübung des Berufs behilflich sei soll.

Der DJU-Bundesvorsitzende Ulrich Janßen stellt klar: „Der Presseausweis ist kein Rabattbuch, sondern ein Arbeitsmittel.“ Der DJV findet, dass das größte Kapital des Journalismus seine Glaubwürdigkeit ist. Und die dürfe, so Sprecher Hendrik Zörner, „nicht für zehn oder 15 Prozent Rabatt aufs Spiel gesetzt werden“. Dass die größte Journalisten-Organisation Europas für ihre 38.000 Mitglieder mittels einer kommerziellen Tochter, der DJV Verlags- und Service-GmbH, Presserabatte aushandelt, hält ihr Sprecher nicht für problematisch: Das sei vergleichbar mit den Vorteilen, die ADAC-Mitglieder genießen. Ein direkter Kontakt zwischen Unternehmen und Journalist werde vermieden. „So kann auch kein Abhängigkeitsverhältnis entstehen“, findet Zörner.

Der Verband der Freischreiber, der selbst keinen Presseausweis ausstellt, sieht insbesondere die freien Journalisten im Dilemma: „Wir wissen“, sagt der Freischreiber-Vorsitzende Benno Stieber, „dass manche Auftraggeber überhaupt keine Reisekosten mehr übernehmen. Diese strukturellen Probleme können und dürfen Presserabatte jedoch nicht lösen.“ Die Bahncard sei abgesehen davon im Rabatt-Karussell ein „untypisches“ Beispiel. Stieber zufolge komme sie ja nicht den Journalisten selbst zugute: „Sie ist in erster Linie eine Subvention für Verlage. Sie halbiert die Fahrtkosten, für die der Auftraggeber aufkommen muss“ (ausführliche Statements der Verbände s. a. www.mediummagazin.de).

Die Resonanz im Internet auf die neue Bahn-Politik ist zwar überwiegend positiv: auch wenn man den Wegfall bedauere, sei es das gute Recht eines Unternehmens, einen Rabatt wieder zurückzunehmen. Doch gerade freischaffende Journalisten mit schmalem Geldbeutel bestätigen Stiebers Vorwurf: Honorare seien rückläufig, Redaktionen weigerten sich immer öfter, Reisekosten zu erstatten. Viele beteuern ihre Unbestechlichkeit, argumentieren, die Bahn erwarte ja keine gewogene Berichterstattung über ihr Unternehmen. Gerne hätten wir erfahren, ob Verlage nun etwas an ihrer Reisekostenpolitik ändern. Gruner+Jahr bittet nur um Verständnis, „dass wir zu internen Abrechnungs-Vorgängen in Bezug auf unsere Reise- und
Spesenordnung keine Stellungnahme abgeben“.

Fürs Protokoll: Den Bahnrabatt gab es seit 2004. Noch bis zum 15. April kommen Journalisten mit 122 (2. Klasse) beziehungsweise 244 Euro (1. Klasse) für die Bahncard 50 weg; danach gilt auch für sie der Preis für Normal-sterbliche: 240 respektive 482 Euro.

Senta Krasser ist freie Journalistin in Köln.

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Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 28 bis 28 Autor/en: Senta Krasser. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.