Zapfenstreich

„Genug ist genug“, schrieb Roland Nelles am 5. März bei „Spiegel Online“: „Missgunst, Häme, Hass – die Debatte über Christian Wulffs Ehrensold, den Zapfenstreich und sein Büro ist unwürdig und muss sofort beendet werden … wie ihn nun diese kollektive deutsche Neid-Keule trifft, das ist unverhältnismäßig.“

„Bild“ hat Mitte Dezember 2011 die Lawine ins Rollen gebracht mit der Schlagzeile „Wirbel um Privatkredit“. Ob diese „Bild“-Berichterstattung nun preiswürdig ist oder nicht (s. Debatte S. 26/27): Dass die veröffentliche Kritik an Wulffs Schnäppchengebaren allzuoft in zynische Häme abgleitete, kann man „Bild“ nicht zum Vorwurf machen, jedenfalls nicht allein.

„Ein gewisses Missverhältnis zwischen investigativem Journalismus und Empörungsjournalismus“ sieht Ernst Elitz in der generellen Berichterstattung über die Causa Wulff und mahnt zu Recht: „Investigative Recherche kostet, Empörung dagegen ist wohlfeil“(s. S. 22).

Die Konsequenz ist auch in den über 1200 Leserkommentaren zu Roland Nelles‘ Aufruf „Genug ist genug“ nachzulesen. Symptomatisch der Kommentar von „Maynemeinung“: „Wie bitte? Die Debatte muss sofort beendet werden? Stimme Ihnen zu, dass die Debatte unwürdig, schäbig, beschämend ist … Dass allerdings nur ein einziger Journalist in Deutschland sich ein schnelles Ende der Debatte wünscht, das, verehrter Herr Nelles, glaubt Ihnen keiner.“

„Maynemeinung“, der anyonmye Schreiber, bringt damit auf den Punkt, was die Medien nach dem Zapfenstreich noch lange verfolgen wird: Der Vorwurf einer Kampagne, die kein Maß an Verhältnismäßigkeit in Ton und Sachvorwürfen mehr kenne. Und die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Journalisten, die ein Fehlverhalten anprangern, das der eigenen Branche doch nicht fremd ist.

Die Deutsche Bahn hat mit der Streichung ihres Journalistenrabatts für die Bahncard eine alte Debatte nun neu belebt. Die Gretchenfrage „Wie halten es Journalisten mit Rabatten, Vergünstigungen und Geschenken?“ muss nach den scharfen Vorwürfen gegen Wulff geradezu zwangsläufig gestellt werden.

Die Frage hat jedoch viele Facetten und betrifft keinesweg nur das Gebaren von Einzelnen – wie die Debatte um den Bahncard-Rabatt in den zahlreichen Foren zeigt. Da geht es keineswegs um gesponsorte Deos und Lustreisen, zweiffellos Auswüchse einer Rabattpraxis. Es geht vielmehr um grundsätzliche Fragen, die auch die Wulff-Berichterstattung aufwirft: Recherche kostet – aber wer trägt die Kosten?

Das müssen sich auch die Medienhäusern fragen lassen. Und die Journalistenverbände, die aus dem Rabatt-Service für Mitglieder ein eigenes kommerzielles Geschäft gemacht haben. Eine ehrliche Debatte über die Rabattpraxis würde der Branche gut zu Gesicht stehen. Klare Regeln aber noch viel mehr. Der Glaubwürdigkeit jedenfalls dient es nicht, wenn Journalisten von anderen Verzicht fordern und selbst Vorteilnahmen beanspruchen.

In eigener Sache

„Ja zur Quote!“, schrieb ich 2010 im Editorial unserer jährlichen „Journalistin“-Ausgabe: „Ja, ich bekenne: Ich war lange gegen eine Quote für Frauen im Beruf, auch im Journalismus. Aber ich habe meine Meinung geändert. Warum? Wenn sich wirklich etwas an den Strukturen ändern soll, gilt es, damit in den Führungsetagen anzufangen. Sonntagsreden zur Notwendigkeit einer Frauenförderung sind in den letzten Jahren genug gehalten worden.“

„Ja zur Quote“ sage ich deshalb unverändert 2012, als eine der Erstunterzeichnerinnen der Aktion „Pro Quote“. Aber auch, weil ein festgelegter Frauenanteil nicht nur die männlichen Chefs in die Pflicht zum Handeln nimmt, sondern auch die Frauen selbst: sichdrücken vor einer Führungsverantwortung gilt nicht mehr. Anja Tiedge – die nicht zum Kreis der Pro-Quote-Unterzeichner gehört – hat für uns ein Stimmungsbild gezeichnet, Befürworter und Skeptiker(innen) nach den Möglichkeiten und Hürden einer Quotenförderung in Redaktionen gefragt (s. S. 30 ff).

Keine Frage der Quote ist allerdings die Berufung unserer neuen Kolumnistin: Mit dieser Ausgabe schreibt die Hamburger Autorin Silke Burmester regelmäßig für „medium magazin“, unter dem Titel „Burmesters Moralberatung“ (s. S. 73). Sie wird wie ihre Vorgänger Oliver Gehrs („Dr. med“) und Stefan Niggemeier („Darf man …“) einen ganz eigenen Blick auf Merk- und Fragwürdigkeiten unserer Branche werfen. Ihr erstes Thema ist ausgesprochen „zeitgemäß“ und lautet:

„Medienpartnerschaften“.

Annette Milz ist Chefredakteurin von „medium magazin“.

Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.