„Da lachen ja die Hühner“, so der Kommentar eines türkischen Kolumnisten zum Urteil im Prozess gegen die Drahtzieher des Mordes an dem armenisch-türkischen Publizisten Hrant Dink. Denn einer der Hauptverantwortlichen, ein Rechtsextremist, wurde im Januar 2012 zu lebenslanger Haft verurteilt, der andere jedoch, ein Polizeispitzel, wurde freigesprochen. Das klingt wie Messen nach zweierlei Maß. Der Richter beharrte auf der These eines Einzeltäters, sah keine Beweise für ein Komplott. Die Gendarmerie, der Sicherheitsapparat, selbst der Gouverneur – sie alle wussten, dass etwas gegen den prominenten Herausgeber der Zeitschrift „Agos“ im Busch war, schrieb Mehmet Ali Birand. Dink wurde gewarnt, aber nicht beschützt. Am 19. Januar 2007 erschoss ihn ein Jugendlicher, offenbar ein Handlanger von Ultranationalisten, vor der Redaktion in Istanbul auf offener Straße.
Dieses Urteil, das fast auf den Tag genau fünf Jahre später gefällt wurde, sei „wie ein zweiter Mord“ an Dink. Vergeblich verlangten die Anwälte der Familie Dink die Herausgabe von Telefonmitschnitten des Todesschützen. Der Richter schien an einer gründlichen Aufklärung des Verbrechens nicht interessiert. Es hagelte scharfe Kritik an dem offensichtlichen Fehlurteil. Dies veranlasste sogar den Justizminister sowie Premier Recep Tayyip Erdoğan, auf das Berufungsverfahren zu pochen. Das Berufungsgericht solle „gerecht“ urteilen, versuchte Erdoğan zu beschwichtigen. Hoffentlich werde das Urteil revidiert, meinte ein Journalist, sonst würde die türkische Justiz, an die ohnehin nur mehr wenige Türken glauben, zu einer glatten Farce.
Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 42 bis 43. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.