Keine Frage, die Occupy-Bewegung kann man aussitzen. Sie hat kein Gesicht, kein klar definiertes Ziel und gebärdet sich irgendwie chaotisch. Mag sein, dass die Bewegung, die sich über das Netz formierte, für Derivate-Händler und Ramsch-Anleihen-Verkäufer ungefährlich ist – für Banker jedenfalls nicht.
Sorge am Sparkassenschalter
Der Protest formuliert ein Unbehagen und bündelt die Wut über eine Zunft, die aus lauter Ignoranz keine verständlichen Worte findet. Occupy ist für Banker und ihre PR-Strategen eine Sternschnuppe: Kurz am Himmel – und wieder weg. Jedenfalls ist das der Eindruck, den ihre Sprachlosigkeit hinterlässt. Dabei müssten in den Kommunikationsabteilungen der Geldhäuser die Alarmglocken läuten: Occupy ist nicht für etwas, Occupy ist gegen etwas – gegen die ungerechten Auswüchse einer zunehmend unkontrollierten Finanzwelt.
Ganz offensichtlich ist das Publikum hochgradig verunsichert – und keiner nimmt ihm das Unbehagen. Mit der besorgten Frage des Kunden am Sparkassenschalter, ob denn sein Geld noch sicher sei, kann der Banker nicht viel anfangen. Für ihn ist das keine Frage, er denkt in seinen erlernten Kategorien. Die einlullende Attitüde steht jedenfalls in einem grandiosen Kontrast zu dem, was der Kunde täglich in der Zeitung liest: dass auf der Welt gerade etwas ziemlich aus dem Ruder läuft. Sein Bankberater scheint darauf jedenfalls keine befriedigende Antwort zu haben.
Mit dem Vokabular der Finanzszene kann der Kunde ohnehin nichts anfangen. Junkbonds, Credit Default Swaps, AAA-Rating, Transferunion oder Short Selling sagen ihm nichts. Und wenn er sich etwas darunter vorstellen soll, dann allenfalls, dass es Werkzeuge des Teufels sind. Wie kann man sich dagegen wehren? Die Finanzkrise ist nicht greifbar. Sie macht nur Angst.
Zu allem Überfluss hört er vom Bundesfinanzminister, dass die Griechen jetzt „liefern“ müssten. Liefern, ja was denn? Olivenöl, Rotwein, Spargel oder Tomaten? Die „Tagesschau“ zeigt ein aufgebrachtes Volk, das sich gegen Gehalts- und Rentenkürzungen wehrt, das nicht mehr weiß, wie es überleben soll, das aber, eben: „liefern“ soll.
Lloyd Blankfein, der Chef der Investmentbank Goldman Sachs, sagte auf dem Höhepunkt der Krise, dass er nur „Gottes Werk“ verrichte. Armer Gott, irgendwie hat man ihn anders in Erinnerung. Und New Yorks Oberbürgermeister Michael Bloomberg sprang dem selbst ernannten Gottesdiener zur Seite und bemühte ebenfalls den Herrn: Blankfein versuche, „die Firma in einer Zeit zu leiten, in der selbst Gott sie nicht führen könnte, ohne kritisiert zu werden“. Da muss der Sparkassenkunde natürlich vor Ehrfurcht auf die Knie fallen und wenigstens drei „Vater Unser“ beten. Verstanden hat er „Gottes Werk“ dann immer noch nicht.
Ramsch für Muppets und Ninjas
Wolf Schneider, Ausbilder an Journalistenschulen und prominentester Stillehrer der deutschen Sprache, hält das Banker-Gewäsch ganz einfach für „hemmungsloses Imponiergehabe“. Von dem, was ihm die Bank schreibe, verstehe er fast nichts, weil die Sprache der Finanzbranche „nicht für Laien gemacht ist“. Das sei schon deshalb kurios, weil die Kunden der Banken ja in der Regel Laien seien. Schneider konstatiert den Bankern „totale Gleichgültigkeit gegenüber den Adressaten“. Man braucht sich nur die Diktion reinziehen, wenn wieder einmal die Preise erhöht werden: „Wir haben die Sollzinssätze der Marktsituation angepasst.“ Eigentlich eine Steilvorlage für jeden PR-Manager in der Finanzbranche, wenn er sich die verquasten Schriftsätze einmal vornehmen würde.
Dabei sprechen die Banker durchaus Klartext, wenn sie unter sich sind. Kunden werden dann gerne als „Muppets“ bezeichnet, also als Deppen, wie der Ex-Derivate-Händler Gregor Smith offenbarte, nachdem er seine Kündigung bei Goldman Sachs eingereicht hatte. Larry McDonald von der gestrauchelten Lehman-Bank schrieb in seinen Erinnerungen von einer „Elite-Einheit“, die sich mit „Ninjas“ beschäftigte. Und „Ninjas“ stand dafür, jenen Menschen Immobilienkredite anzudrehen, die über „no income, no job, no assets“ verfügten – offensichtlich eine Lizenz zum Gelddrucken.
Das ist eine Sprache, die auch Laien verstehen. Nur gekauft hätten sie den Ramsch dann nicht.
Anton Hunger (63) ist Journalist und war 17 Jahre Pressechef bei Porsche. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicita“ in Starnberg.
Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.
Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 68 bis 68 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.