„Viele Printtitel sind zu billig“

Herr Bauer, Sie blicken als Preisspezialist hinter die Kulissen vieler Branchen und beraten seit rund fünf Jahren auch immer mehr Verlage. Welche Erfahrungen machen Sie im Mediengeschäft?

Florian Bauer: Da bringen Sie mich jetzt in die Bredouille, man soll ja nicht schlecht über Kunden reden. (lacht) Aber ehrlich gesagt wird viel falsch gemacht. Viel zu lange war die Preisgestaltung in den Verlagen ein Randthema, mit dem sich die Geschäftsführung höchstens einmal im Jahr beschäftigt hat. Häufig wird auch heute noch über Preiserhöhungen aus dem Bauch heraus entschieden, und zwar weil man in erster Linie Reichweite will. Für die meisten Verlagsmitarbeiter sind nicht die Leser die Kunden, sondern diejenigen, die die Anzeigen buchen.

Ändert sich das?

Ja, seit einigen Jahren findet ein Umdenken statt. Lange lebte die Verlagsbranche gut von den sprudelnden Anzeigenerlösen. Seit sich mehr und mehr Werbung ins Netz verlagert, werden die Vertriebserlöse immer wichtiger für das Geschäftsmodell der Verlage. Genau da setzen wir an. Unsere Erfahrung ist: Viele Printtitel sind immer noch zu billig, dadurch entgehen den Verlagen Erlöse.

Das sagt sich leicht. Die Furcht ist eben, den Bogen beim Abopreis zu überspannen und dadurch viele Käufer zu vergraulen.

Sehen Sie, diese Betrachtung geht von einer falschen Annahme aus. Im Gegensatz zu anderen Branchen handeln die Leser als Kunden der Verlage nur selten preisgetrieben. Unsere Erfahrungen zeigen deutlich, dass viele den Preis ihrer Zeitschrift oder Zeitung gar nicht genau kennen. Sicher gibt es hier zwischen Segmenten und Titeln deutliche Unterschiede, aber in der Tendenz ist das so. Nicht selten werden Abonnements, beispielsweise von Regionalzeitungen, im Haushaltsbudget als Fixkosten behandelt wie Wasser oder Strom. Es wird auch überschätzt, wie gut sich Kunden an Preiserhöhungen erinnern können. Wissen Sie, was für die Kündigung eines Printabos ein viel häufigeres Motiv ist?

Fehlende Qualität?

Nein, herausragender Kündigungsgrund ist das subjektiv als Schmerz empfundene Gefühl, eine Zeitschrift weitgehend ungelesen wegzuwerfen. Paradoxerweise verschärfen Verlage dieses Problem noch, wenn sie Preiserhöhungen abzumildern versuchen, indem sie die Umfänge der Zeitungen oder Zeitschriften erhöhen. Da gilt: Weniger ist manchmal mehr.

Kann man dennoch sagen: Zeitungen verlieren Leser, wenn sie die Preise erhöhen?

Nur in seltenen Fällen. Ich könnte Ihnen etliche Beispiele nennen, bei denen Verlage die Verkaufspreise ihrer Titel deutlich erhöht haben und höchstens minimal an verkaufter Auflage eingebüßt haben. Ich bringe bei meinen Vorträgen gerne ein Lieblingsbeispiel: Einer unserer ersten Kunden, ein deutscher Zeitungsverlag, hat zwischen 2006 und 2009 seine Verkaufspreise um 32 Prozent erhöht und gerade einmal zwei Prozent an Auflage eingebüßt. Dieses Beispiel ist immer ein bisschen gefährlich, weil manche Verlagsmanager dann mitnehmen, dass sie auch nur mal kurz und kräftig an der Preisschraube drehen müssen. So einfach ist das natürlich nicht. Bei jedem Titel muss man anders vorgehen, denn es ist wichtig zu wissen, wo genau die Preisschwellen für einzelne Segmente liegen.

Welche Fehler machen Verlage bei der Preisgestaltung?

Erstens: Der Preis wird für die Kaufentscheidung bei Printprodukten immer noch überschätzt. Es gibt beispielsweise keinen Zusammenhang zwischen der Höhe der Auflagenverluste in den vergangenen Jahren und dem Preisniveau der Titel. Eine Untersuchung in Deutschland hat gezeigt, dass eher niedrigpreisige Zeitungen wie die WAZ ebenso Auflage verloren haben wie höherpreisige Titel. Zweitens: Tatsächlich orientieren sich viele Verlage an den Preisen des Wettbewerbers. Nur kauft der später nicht das Produkt. Einer, der die FAZ liest, schaut nicht, ob die SZ vielleicht günstiger ist, so funktioniert das nicht. Wenn Sie den richtigen Preis finden und auch die Möglichkeiten für Erhöhungen ausloten wollen, müssen Sie diejenigen fragen, die das Portemonnaie öffnen: die Leser und Abonnenten.

Genau die befragen Sie dann ja. Nur sagen die Leser Ihnen doch auch nicht die Wahrheit, oder? Zeitunglesen gilt als kultiviert, da sagt niemand gerne, dass das Zeitungsabo zu teuer ist.

Das stimmt. Viele Befragte haben tatsächlich einen hohen Anreiz zu lügen. Deshalb müssen Sie intelligent fragen. Ein einfaches Beispiel: Wir fragen natürlich danach, was ein Abonnent bereit wäre zu bezahlen. Wir nehmen das allerdings nicht für bare Münze und fragen auch danach, was ein Abonnent tatsächlich bezahlt. Wie gesagt: Viele wissen das gar nicht. Also wird eine moderate Erhöhung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht zur Abbestellung führen. Dazu befragen wir auch die Kündiger. Wenn wir feststellen, dass viele den Preis nicht kennen, wissen wir, dass es nicht am Preis lag. Erstaunlich ist auch, dass 20 bis 55 Prozent der Kündiger längst schon wieder Abonnenten sind. Viele klassische Marktforschungsansätze sind einfach sehr plump, wir haben dagegen über Jahre ein tragfähiges Modell entwickelt. Der Kern ist, dass man den Leser nicht als homo oeconomicus anschauen darf, sondern wie er wirklich ist.

Wir haben jetzt über Bestandskunden gesprochen. Welche Rolle spielt der Preis bei der Gewinnung neuer Kunden?

Inwieweit der Preis beispielsweise eine Abo-Hürde ist, hängt weitgehend vom Titelsegment, von der Zielgruppe, aber auch von dem bisher üblichen Umgang mit dem Thema Preis und auch Prämie ab.

In Deutschland ist ein verbreiteter Fehler, dass Verlage mit Prämien wie Kaffeemaschinen oder sogar mit Cash um Neuabonnenten werben, was letztlich das Produkt entwertet. Außerdem setzen sie so unheimlich hohe Ausstiegsanreize. Das Problem ist also nicht der eigentlich Kunde, sondern das Ergebnis der reichweitenorientierten Prämienwerbung, die den Eindruck vermittelt, das Zeitungen und Zeitschriften eigentlich gar nichts kosten (müssen).

Als wichtige Zukunftsfrage gilt, wie Verlage ihre Digitalangebote bepreisen. Ihr Rat?

Wenn ich innovative Produkte auf den Markt bringe und eine starke Marke habe, würde ich empfehlen, hoch einzusteigen. Mit tiefen Preisen zu beginnen, ist ein Denkartefakt aus der alten Reichweitendenke. Viele Verlage sind allerdings gerade dabei, ihre alten Fehler aus den Anfängen des Onlinezeitalters beim E-Publishing zu wiederholen. Der Erfolg wird zu stark an der Reichweite gemessen. Deshalb sind viele Onlineangebote heute gratis. Und dieser Fehler ist nur schwer zu korrigieren.

Dennoch: Sollten E-Paper-Angebote und Tablet-Apps nicht günstiger sein als das Printangebot?

Jetzt soll ich den gleichen Fehler machen und diese Frage aus dem Bauch beantworten? Wenn Sie mich zu einer Aussage zwingen,würde ich das E-Paper tendenziell etwas unter dem Printpreis ansetzen, um eine geringe Einstiegshürde zu setzen. Ein neues Tabletangebot würde ich eventuell sogar teurer anbieten, um die Wertigkeit zu unterstreichen. Aber vergessen Sie nicht, es geht auch in der digitalen Welt um Preispsychologie: Es geht auch darum, Referenzpreise zu etablieren, um Wertigkeiten zu vermitteln. Das heißt, dass man ein E-Publishing Produkt unter Umständen als eigenständiges Produkt durchaus relativ teuer positioniert, im Bündel mit dem Print-Produkt beide Preise aber rabattiert. Das verleitet dazu, das Kombiprodukt zu nehmen – auch weil man sieht, wie viel man gegenüber den beiden regulären Einzelpreisen sparen kann. Der „Economist“ etwa hatte eine Preis-struktur, die das ganz hervorragend ausgenützt hat.

Warum geben Menschen vergleichsweise sorglos für einen Espresso zwei Euro aus, den sie in wenigen Minuten trinken, während eine Zeitung als teuer empfunden wird, obwohl der gleiche Preis allein nicht einmal die Kosten deckt.

Die Kostenstruktur der Verlage ist in den Köpfen der Leser nicht verankert, das ist eine falsche Denkweise. Wer hätte vor Jahren gesagt, dass er einmal bereitwillig fast zwei Franken (etwa 1,70 Euro, Anm. d. Red.) für den Liter Benzin
bezahlen wird? Preisbereitschaften sind dynamische Konstrukte und müssen entwickelt werden. Deshalb ist der häufigste Fehler, den Verlage machen, nicht unbedingt, dass sie im nächsten Schritt nicht den optimalen Preis treffen, sondern dass sie es versäumen, eine Preiserhöhungskultur zu etablieren, in der die Erhöhung die Regel und nicht die Ausnahme ist.

Zur Person

Florian Bauer (43) ist promovierter Psychologie, und verantwortet den Bereich Marktforschung der Unternehmensberatung Vocatus. Das Münchner Unternehmen berät Unternehmen aus verschiedenen Branchen (Mobilfunk, Autoindustrie, Energiesektor). Seit 2006 hat Vocatus sich auch in der Medienbranche einen Namen gemacht und nach eigenen Angaben international mehr als 70 Zeitungs- und Zeitschriftentitel bei der Bepreisung ihrer Produkte begleitet, darunter eine Reihe renommierte Blätter wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Der Spiegel“, aber auch kleinere Regionalzeitungen.

Markus Wiegand ist Chefredakteur des „Schweizer Journalist“.

markus.wiegand@schweizer-journalist.ch

Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 36 bis 38 Autor/en: Markus Wiegand. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.