Volles Rohr

Die Sprache der Politik ist so, wie sie ist, weil Politik so ist, wie sie ist. Was für eine Erkenntnis! Und was heißt das praktisch? In der Politik überschlagen sich die Aktionen so, dass sie immer unübersichtlicher, undurchschaubarer werden. Auch und gerade für die Akteure.

Entsprechend überschlägt sich die Sprache. Über welche Krise, welchen Rettungsschirm, welches Hilfspaket reden wir gerade? Da ist so viel Klein-Klein, dass die Politiker selbst sich gedrängt sehen, den ganz großen Hammer herauszuholen.

So war auf europäischer Ebene schon die Rede von der „Bazooka“ (für die nicht Wehrkundigen: eine raketenangetriebene Panzerabwehrhandwaffe der US-amerikanischen Streitkräfte), von großer „Feuerkraft“, die zur Lösung der Griechenland-Krise nötig sei.

Das reichte EZB-Chef Mario Draghi nicht. Er forderte zur Rettung Europas aus der Krise eine „Dicke Bertha“, also ein deutsches Mörsergeschütz aus dem Ersten Weltkrieg mit großer Durchschlags- und Zerstörungskraft, die gegen belgische und französische Festungen eingesetzt wurde. Immer volles Rohr – schiefe Metaphern als Ausdruck von Hilflosigkeit.

Schirme & Schleier.

Der Begriff „Rettungsschirm“ zum Beispiel ist nicht nur eine Verlegenheit, sondern auch ein Verschleierungsversuch. Wenn einer einen Schirm aufspannt, dann will er sich vor etwas schützen, was von oben kommt. Regen, Schnee, tote Katzen.

Wer wird von europäischen Rettungsschirmen wovor gerettet? Ja, klar, wir wissen alle, dass hier weder Volkswirtschaften noch – selten so gelacht – kleine Sparer gerettet werden, sondern Banken.

Aber was fällt denen denn auf den Kopf? Der Himmel selbst? Tatsächlich sind Rettungsschirme Fallschirme, die vor allem die Banken vor dem Absturz retten, die sich und ihre Anleger an den Rand des Abgrunds gewirtschaftet haben. Natürlich weiß das jeder, der es wissen will. Aber wem das zu lästig ist, der wird mit der Assoziation „Regenschirm“ gut bedient.

Ergriffene Voraussetzung.

Dazu kommt: Es wird zu viel geredet in der Politik. Nicht nur im Bundestag, im Bundesrat, auf Parteitagen, Konferenzen, in Interviews, Talkshows und anderen Sabbelrunden. Vor allem Spitzenpolitiker müssen ständig irgendein Zeug reden. Und so hört sich das dann auch an. So spricht Angela Merkel gerne davon, dass „Voraussetzungen ergriffen werden“ müssen. Möglicherweise will sie ja damit tatsächlich etwas sagen. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie wie üblich nicht nachgedacht hat. Oder dass sie nicht weiß, dass man Maßnahmen ergreift und Voraussetzungen schafft.

Wer aber Voraussetzungen ergreifen will, müsste sagen können, wie derart Erstaunliches gelingen sollte.

Politiker machen zu viel und reden zu viel. Weil sie zu viel reden, plappern sie irgendwas vor sich hin. Jonglieren mit Sprechblasen, werfen mit Floskeln um sich. Der SPD-Politiker Joachim Poß brachte einmal den großartigen Ausspruch zustande: „Hier wird nur mit Floskeln gearbeitet. Und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.“ Schöner geht es nicht: Kritik an der Floskelsprache mit einer Floskel.

Unentwegt wird dem politischen Gegner etwas ins Stammbuch geschrieben, weht irgendeinem der Wind ins Gesicht oder es zeigt sich mal wieder die Spitze eines Eisbergs: Es ist das aufgeblasene Nichts, die dröhnende Wichtigkeit, die sich da sprachlich durchaus angemessen Raum verschafft.

Mediale Spitzenleistungen.

Und – nicht zu vergessen – unsere Damen und Herren Journalistenkollegen können das auch ganz gut. Entweder weil sie gerne zur politischen Klasse gehören möchten und deshalb so sprechen wie deren Vertreter, oder weil sie es auch nicht besser wissen.

Die „Spitze des Eisbergs“ zum Beispiel ist auch bei Journalisten höchst beliebt.

„Die toten Schwäne von Rügen – das ist nur die Spitze eines Eisbergs“, das fiel einmal Marietta Slomka vom ZDF ein.

„Wir sind gut aufgestellt“, dieser blödsinnige Allerweltsspruch von Politikern, die nun wirklich gar nichts mehr zu sagen haben, ist längst ins Dummdeutsch vieler Medienwerker übergegangen.

Auch werden immer wieder gerne „verkrustete Strukturen aufgebrochen“, noch viel lieber wird „zum Denken angeregt“ oder gar „aufgerüttelt“ – zum Beispiel wenn Journalisten in all ihrer Hilf- und Wortlosigkeit über neue Phänomene wie die Piratenpartei berichten sollen.

Selbstredend ist da auch viel von „kapern“ und „versenken“, „entern“ und „Beute machen“ die Rede. Immer volles Rohr, versteht sich.

Peter Zudeick ist freier Journalist und politischer Korrespondent für mehrere ARD-Hörfunkprogramme.

p.zudeick@t-online.de

Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 60 bis 60. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.