Es ist nicht so, dass Redaktionen fusioniert werden, weil diese Methode die einzige und denkbar beste ist, gute Zeitungen mit gutem Journalismus zu betreiben. Diesen Eindruck erweckt Springer bisweilen mit dem Hinweis, mit der Zentralredaktion der „Welt“-Gruppe Vorreiter der gesamten Branche zu sein und überall Nachahmer zu haben. Wirtschaftlicher Handlungsdruck war die Ursache für die unterschiedlichen Fusions- und Kooperationsmodelle in den jeweiligen Zeitungshäusern. Mal bestand er darin, dass die Rendite eines Verlags aus Sicht der Eigentümer zu niedrig war; dann wieder musste ein Chefredakteur, dessen Budget Jahr für Jahr gekürzt wurde, erkennen, dass er mit seiner Redaktion an Leistungsgrenzen gestoßen ist; im nächsten Fall war es der Glaube, mit einem „immer weiter so“ eines Tages Opfer der Strukturkrise zu werden; oder es waren die hohen Defizite, die zum Handeln zwangen.
Bei Springer war es Letztes. Da zum Jahrtausendwechsel klar war, dass es keine Hoffnung gibt, die defizitäre Tageszeitung „Welt“ jemals mit bewährten Mitteln aus den tiefroten Zahlen zu bringen, war es der Springer-Konzern unter Führung des gerade als Vorstandsvorsitzenden angetretenen Ex-„Welt“-Chefredakteurs Mathias Döpfner, der im Zuge eines massiven Stellenabbaus innerhalb der „Welt“-Gruppe eine enge Verzahnung der einzelnen Redaktionen beschloss. Zunächst waren es nur Rand-Ressorts wie Reise, Auto und Immobilien, die fusioniert worden sind. Gerüchte um mögliche Fusionspläne von so wichtigen und markenprägenden Ressorts wie Politik oder Wirtschaft wies Springer damals noch empört zurück. Es kam anders. Im Zuge der Zusammenlegungen wurden Hunderte von Stellen abgebaut. Von einst mehr als 800 Redakteuren sind rund 350 geblieben.
Zehn Jahre nach Beginn von „Projekt Alpha“ gibt es nur noch eine Zentralredaktion, die nicht nur titelübergreifend arbeitet, sondern auch medienübergreifend für die Digitalangebote und zusätzlichen Titel, die in den vergangenen Jahren hinzugekommen sind: Die Kompaktausgaben von „Welt“ und „Welt am Sonntag“, „Welt Online“, „Welt aktuell“ (für Lufthansa und Deutsche Bahn), „Welt mobil“, die „Welt“-App sowie das Mobil- und Online-Angebot und die kostenlose Wochenendausgabe der „Berliner Morgenpost“. Wie die Redaktion künftig stärker themenbezogen arbeiten will, erklären Jan-Eric Peters und Carsten Erdmann im Titel-Interview.
Jenseits von Springer gibt es weitere, je nach Bedürfnis unterschiedlich zugeschnittene Modelle redaktioneller Zusammenarbeit. Ein Beispiel ist die Essener WAZ-Gruppe, die ebenfalls im Zuge eines Stellenabbaus einen zentralen Newsdesk eingeführt hat. Jede Zeitung kann sich von dem Angebot nehmen, was sie braucht, muss es aber nicht. Ähnlich wie beim Madsack-Verlag, der in den vergangenen Jahren durch Zukäufe weit über das niedersächsische Heimatgebiet hinausgewachsen ist. Sie alle teilen sich die personell weiter wachsende Berliner Zentralredaktion, die für inzwischen 18 in unterschiedlichen Städten und Regionen erscheinende Blätter inklusive ihrer Online-Portale die nationalen Inhalte erstellt.
Anders gelagert ist die Aufteilung bei den Zeitungen des Verlags M. DuMont Schauberg mit seiner Redaktionsgemeinschaft in Berlin, an der die „Berliner Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“, der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und die „Mitteldeutsche Zeitung“ in Halle beteiligt sind. Die Autoren der sogenannten „ReGe“ liefern ihre Artikel nach Bedarf den weiterhin eigenständigen Zeitungen zu. Enger noch sieht die Zusammenarbeit zwischen „Frankfurter Rundschau“ und der „Berliner Zeitung“ aus (für die auch die Autorin dieses Textes schreibt). Dort wird das Überregionale aus einer Hand von Berlin aus produziert. Die regionale Berichterstattung aus Frankfurt und Hessen inklusive regionalem Sport und Kultur wird freilich weiterhin vor Ort gestemmt. Ebenso in Frankfurt zentral angesiedelt ist die Redaktion für die digitalen Angebote aller Zeitungen des Kölner Medienunternehmens. Ulrike Simon
Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 28 bis 29. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.