Wie sehen Sie denn aus, Herr Gottlieb?

1995

Unser prominentes Foto-Opfer Nr. 23 (zuletzt: Gabriele Krone-Schmalz und Sabine Töpperwien) ist Sigmund Gottlieb (60), seit fast 17 Jahren Chefredakteur des BR-Fernsehens. Er studierte Politikwissenschaft, Neue Geschichte und Germanistik in Erlangen, war Volontär, dann Redakteur beim „Münchner Merkur“. Beim Fernsehen landete er über den BR, wechselte 1981 zum ZDF, wurde Redaktionsleiter des „Heute Journal“– und ging 1991 schließlich zum BR zurück; zunächst als Vizechefredakteur. 2001 wurde er zudem Stellvertreter des Fernsehdirektors.

heute

Gottliebs Fotokommentar:

„Dieses Foto entstand im Oktober 1995, kurz nachdem ich vom Rundfunkrat zum Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks gewählt worden war. Es wurde schon im neuen Büro aufgenommen, die Bücher waren bereits mit umgezogen – von meinem Büro, in dem ich vorher als stellvertretender Chefredakteur arbeitete. Gleiche Etage, gleicher Flur, aber nach Süden gelegen. Das hieß für mich, auf dem Vizeposten zwischen 1991 und 1995: schweißtreibende Sommertage. Manche mögen’s heiß, ich nicht. Klimaanlage gab es keine, auch heute noch nicht.

Im Hintergrund links sieht man ein Buch mit einer großen ‘89 auf dem Rücken. Das erinnert mich an die Zeitspanne zwischen 1989 und 1991. Dies war die spannendste Zeit meines Journalistenlebens: Während der Wiedervereinigung arbeitete ich als stellvertretender Chef und Moderator des ‚Heute Journal‘.

Ich bin politischer Journalist aus Leidenschaft, mein Vorbild ist noch immer Peter Scholl-Latour. Er verbindet die Fähigkeit des Reporters vor Ort mit der Kompetenz des hochgebildeten außenpolitischen Analysten. Diese Kombination findet man heute nur mehr selten. Meinen Wechsel zum Bayerischen Rundfunk habe ich nie bereut. In den ‚Tagesthemen‘ zum Beispiel befasse ich mich als Kommentator mit den großen Themen der Bundes- und Wirtschaftspolitik. Auch mein Blick ins Ausland ist gefragt: Der BR mit seinen Auslandsstudios ist für höchst spannende Regionen verantwortlich: Tel Aviv, Rom, Athen, Wien, Istanbul und Teheran.

Im Laufe der Jahre greift die administrative Verantwortung um sich, die Präsenz im Programm geht zurück. Doch ich achte darauf, dass ich auch meine journalistische Neigung ausleben kann. Deshalb spreche ich auch seit Jahren mit die meisten Kommentare in den ‚Tagesthemen‘. Es macht mir Freude, hin und wieder meine Meinung kundzutun.

Die Kommentare schreibe ich in der ersten Fassung von Hand, manchmal mit Füllfederhalter. Dabei empfinde ich es immer wieder als Defizit, dass die Fernsehsprache mehr und mehr zu einer deformierten Sprache wird: kurz, knapp, auf Wirkung bedacht, manchmal ohne Verben, wo Verben eigentlich hingehören. Jedem jungen Journalisten rate ich: Er sollte sich möglichst breit aufstellen und sich fit machen für alle Mediengattungen. Auch ich arbeitete schon bimedial: als Zeitungsjournalist beim ‚Münchner Merkur‘ und als Moderator und Kommentator beim Bayerischen Fernsehen. 27 war ich damals, jung und neugierig und ohne die geringste Ahnung, wo ich einmal landen würde.“

Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 8 bis 8. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.