Blatt-Konzepte

1. Zeitungsgruppe Lahn-Dill

Steffen Gross, Wirtschaftsredakteur

Zwei-Monats-Fahrplan

Mit einer langfristigen Planung versucht Steffen Gross, dem aktuellen und oft termingetriebenen Journalismus etwas entgegenzusetzen. Er betreut die zwei Wirtschaftsseiten, die mittwochs und sonntags in der Zeitungsgruppe Lahn-Dill erscheinen.

Der Regionalteil versucht, das Wirtschaftsleben in ganz Mittelhessen abzubilden. Um das zu gewährleisten, gibt es einen Zwei-Monats-Fahrplan, in dem steht, wann welche Lokalredaktion Geschichten zuliefern muss. „Auf diese Weise bekommen wir oft schöne Lesegeschichten abseits der aktuellen Termine“, so Gross.

Wichtig ist ihm, das wahre Leben abzubilden, den Alltag, die Arbeitswelt – und das für Laien verständlich. Das gelinge natürlich nicht immer gleich gut. „Aber es lohnt sich immer, darüber nachzudenken, wie man auch bei Pflichtterminen schöne Lesegeschichten machen kann.“

2. Stuttgarter Nachrichten

Klaus Köster, Ressortleiter Wirtschaft

Kein Fachjargon

Klaus Köster, Ressortleiter Wirtschaft bei den Stuttgarter Nachrichten, hat ein paar klare Eckpunkte: Verständlichkeit statt Fachjargon, erklären statt nur beschreiben, eigene Themen statt Terminjournalismus. Dies alles mit dem Bewusstsein: „Der Leser ist nicht wirtschaftlich vorgebildet, nimmt aber an vielen Bereichen des Wirtschaftslebens teil.“ Deshalb sei es wichtig, stets die Perspektive der Leser einzunehmen. Bei einer Bilanzpressekonferenz gehe es immer auch um Arbeitsplätze, Trends, Produktgruppen. Köster: „Beim Schreiben müssen wir uns immer wieder die Frage stellen: Warum sollte das ein normaler Leser lesen?“

Wichtig ist dem Ressortleiter sich bewusst der Außensteuerung durch Pressemitteilungen und sogenannte Pflichttermine zu entziehen. „Die Kür ist die Pflicht, die Eigenthemen sind die Pflicht.“ Sonst werde man zum austauschbaren Produkt. Auf den täglich vier bis fünf Wirtschaftsseiten der „Stuttgarter Nachrichten“ gehe man natürlich auf die aktuellen Themen ein. Doch sei es wichtig, die Nachricht in einen Zusammenhang zu stellen und zu erklären. So habe man beim Tarifabschluss der Metallindustrie in zwei Artikeln nebeneinandergestellt, wie die Gewerkschaft und der Arbeitgeberverband die Einigung ihren Mitgliedern als Erfolg verkaufen können. Es gehe immer darum, die Einstiegsschwelle für die Normalleser niedrig zu halten. Das bedeute, dass man die großen Themen und Entwicklungen einordnen müsse. „Sonst schreiben wir nur noch für die Experten.“

„Wir sollten uns das Denken nicht abnehmen lassen“, sagt Köster und rät zu einer „gesunden Grundskepsis – auch gegenüber dem Guten“. Dazu gehöre auch keine Angst zu haben vor Liebesentzug. „Wenn ein Pressesprecher mal sauer ist, ist das vielleicht ganz gut.“

3. Süderländer Tageblatt

Stefan Aschauer-Hundt, Chefredakteur

Team-Recherchen

Wie aus einer kleinen Idee eine große Wirtschaftsserie wird, zeigt das Beispiel des „Süderländer Tagblatt“. Die kleine Zeitung (Auflage 5.200 Exemplare) im Sauerland wurde im Mai von der Adenauer-Stiftung mit einem Lokaljournalistenpreis für eine Serie über Elektro-Mobilität ausgezeichnet.

Am Anfang stand eine einfache Lokalgeschichte, so Chefredakteur Stefan Aschauer-Hundt. Die Kanzlerin sprach davon, dass der Elektro-Mobilität die Zukunft gehöre. Also befragte er dazu die zahlreichen Autozulieferer seiner Region. „Ich habe selten so große Augen gesehen und gehört, dass es nirgendwo Konzepte dazu gibt“, erzählt er. Diese Reaktion der Befragten verleitete Aschauer zum Weiterrecherchieren.

Ein kleines Redaktionsteam wurde gegründet, das sich immer tiefer in die komplizierte Materie einarbeitete. Am Ende wurde aus dem Thema eine 30-teilige Serie mit überraschendem Ergebnis: „Wir haben die Geschichte einer großen Lüge recherchiert – das E-Auto ist ein Ufo.“ Aschauer berichtet, dass es sehr schwer war, an kompetente Gesprächspartner heranzukommen, und dass die Geschichte ständig neue Wendungen nahm. Und er berichtet von großer Resonanz der Leser, von vielen Tipps und Anregungen. Sein Fazit könnte als Grundsatz für guten Wirtschaftsjournalismus im Lokalen (und nicht nur dort) stehen: „Recherche lebt davon, dass man brennt und dass man sich überraschen lässt.“

4. Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung

Jürgen Haar, Chefredakteur

Bürgerbefragung

Einer, der den Mantel aus Stuttgart bezieht, ist Jürgen Haar bei der „Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung“ (SZ/BZ). Er hat die Besonderheit, dass sein Verbreitungsgebiet von Mercedes-Benz dominiert wird. Im Werk Sindelfingen arbeiten rund 30.000 Menschen. Haar erzählt, dass ihm sein Alt-Verleger bei der Einstellung sagte: „Schreiben Sie immer so, dass es den Vorstand interessiert und dass es der Mitarbeiter am Band versteht.“ Daran halten er und seine Redaktion sich noch heute.

Die SZ/BZ macht alle drei Jahre eine Bürgerbefragung. Darin, so Haar, habe man festgestellt, „dass Wirtschaft im Lokalen ein Top-Thema ist“. Deshalb gibt es nicht nur zwei Wirtschaftsseiten pro Woche, sondern ständig aktuelle Wirtschaftsberichterstattung im Lokalteil. Zusätzlich erscheint jeden Freitag eine Seite, die sich ausschließlich mit Daimler beschäftigt. Dazu brauche man Expertenwissen in der Redaktion, einen engen Kontakt zur Pressestelle des Werks und dennoch kritische Distanz.

Die Meinung der Werksleitung sei wichtig, aber eben nur ein Teil der Geschichte. „Hier gibt es 25.000 Schaffer, das sind deutlich mehr als die mit Krawatte“, so Haar. Da müssten beide Seiten auch mal Kritik aushalten. „Unsere Leser erwarten, dass wir unsere Arbeit ordentlich machen.“

5. Neue Presse Hannover

Andrea Tratner, Redakteurin

Menschen in der Wirtschaft

Eine besondere Form von Wirtschaftsjournalismus hat Andrea Tratner in ihrer Serie „Team 2010“ ausprobiert. Die Redakteurin bei der „Neuen Presse“ in Hannover hat in 100 Folgen Menschen an ihrem Arbeitsplatz vorgestellt, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Teams, die eng zusammenarbeiten und an ihre Geschäftsidee glauben. Mannschaften, die stolz auf ihre Erfolge sind. „Die Serie sollte Wirtschaftsberichterstattung sein, die Geschichten jenseits von drögen Umsatzzahlen und Bilanzen erzählt“, so Tratner. Die Menschen sollten im Vordergrund stehen. Denn: „Viele Menschen machen ihren Job mit Herz und Leidenschaft.“

So suchte die Redaktion Arbeitsteams, die etwas besonderes machen, und rief gleichzeitig dazu auf, sich für die Serie zu bewerben. Die Bandbreite reichte vom kleinen Start-up bis zum Großkonzern. In ausführlichen Reportagen wurde die Arbeit der Teams beschrieben. Hinzu kamen Interviews, Info-Boxen und eine auffallende Optik. „Wir kamen über die Aktion nicht nur mit vielen Firmen ins Gespräch, sondern auch mit Lesern, die uns jede Menge Tipps und Anregungen auch für weitere Geschichten gaben“, so die Redakteurin.

Der Lohn für den enormen Aufwand war nicht nur ein Preis der Konrad-Adenauer-Stiftung, sondern ein enormes Feedback von Lesern und Kunden. „Wir hatten viele begeisterte Mails und Anrufe, gerade kleinere Betriebe freuten sich darüber, dass ihre Arbeit in einem so großen Rahmen Beachtung findet“, berichtet Tratner. Und auch in großen Konzernen gab es Anerkennung, weil auch mal andere im Rampenlicht stehen als immer nur die Geschäftsführer.

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 56 bis 57. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.