Darf man … einen Preis ablehnen?

Sind Sie auch noch so gebeutelt von der Nannen-Preis-Verleihung? Haben Sie auch in Ihrer Taftrobe vor dem Computer gesessen, den Live-Stream geschaut und dann in der 73. Minute vor lauter Schreck den Brandy Alexander übers Textil geschüttet? Abgesehen von meinen tollen Leserinnen und Lesern natürlich, die vor Ort waren und deren dumme Gesichter zum Glück von der schlechten Beleuchtung verschluckt wurden. Ich für meinen Teil kann mich seither kaum vor Mails retten, die eine einzige Frage zum Inhalt haben: Darf man einen Preis ablehnen?

Das ist eine sehr kluge Frage, die sich jeder beizeiten stellen sollte, schließlich ist keiner davor gefeit, dass das Telefon klingelt und eine freundliche Stimme mitteilt, man habe in der Lotterie gewonnen. Da es sich wahrscheinlich um eine Lotterie handeln wird, an deren Teilnahme man sich nicht erinnern kann, ist man an dieser Stelle geradezu gezwungen, den Preis abzulehnen. So ähnlich werden die Unternehmen und Personen denken, die jährlich durch das „Netzwerk Recherche“ die „Verschlossene Auster“ erhalten sollen, den Negativpreis für „Auskunftsverweigerer in Politik und Wirtschaft“. Oder auch jene Fernsehmacher, die mit der „Sauren Gurke“ vom Journalistinnenbund für den frauenfeindlichsten Beitrag bedacht werden. Die Gewinner eint die Tatsache, dass sie einen Preis bekommen sollen, den sie nicht haben wollen. Sie haben zu keinem Zeitpunkt „Hier!“ geschrien, sie haben keine Arbeitsproben eingereicht oder sich durch jahrelange Anpassung hochgeschrieben. Von daher ist es nur konsequent, der Auszeichnungsvergabe fernzubleiben.

Anders die Kollegen von der „Süddeutschen Zeitung“, die ganz scharf darauf waren, mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet zu werden, der in Moderndeutsch nun „Henri“ genannt werden soll, damit man ihm unterschwellig die Bedeutung des „Oscar“ beimisst. Nur aus diesem Grund haben sie ihre Arbeit(en) eingereicht. Sie hätten es auch bleiben lassen können. Aber nein, sie wollten dabei sein. Die besten sein, mit Glanz und Gloria, immer vorneweg.

Nun ist es beim Nannen-Preis aber so wie bei einem Kindergeburtstag: Als Gast kann man nicht bestimmen, wer sonst noch eingeladen wird. Und wenn dann jemand kommt, den man doof findet, vielleicht, weil er stinkt oder nur „so voll scheiße reden kann“, dann ist es sehr unhöflich dem Gastgeber gegenüber, mit dem Doofen nicht in einer Mannschaft beim Wattepusten antreten zu wollen. Anders ist es, wenn man rechtzeitig erfährt, wer noch dabei ist. Dann hat man durchaus die Möglichkeit, zu sagen: „Wenn der kommt, dann komm ich nicht!“ So hätten auch die drei Redakteure der „Süddeutschen Zeitung“ Hans Leyendecker, Klaus Ott und Nicolas Richter ihre Teilnahme zurückziehen können, als klar wurde, dass ihre Arbeit neben der der „Bild“ als beste investigative Leistung nominiert ist. Das wäre aufrichtig und konsequent gewesen. Aber wo bliebe dann die Eitelkeit?

Wobei die Eitelkeit zwei Seiten hat. Es ist natürlich kein Zufall, dass dieser Akt der Brüskierung durch ein Zeitungshaus geschieht, das bereits einige der Büsten, die auch als Abbild Willy Brandts durchgehen würden, im Regal stehen hat. Aber vielleicht mag es auch an der Eitelkeit der Ausrichter liegen, dass der „Henri“, der allen Gruner+Jahr-Image-Absichten zum Trotz weiterhin „Nannen-Preis“ genannt wird, als ablehnenswürdig erscheint. Die Annahme des Theodor-Wolff-Preises wurde noch nie verweigert. Aber bei dessen Verleihung stehen auch nicht Veronica Ferres und Jette Joop auf der Gästeliste.

Wer zunächst zusagt, um dann auf der Bühne das schöne Happening zum Platzen zu bringen, lädt eine große Verantwortung auf sich. Und zwar die, den Gastgeber – und in diesem Fall obendrein die Jury – zu blamieren. Doch wie meist wohnt auch einem solchen Fiasko eine Chance inne: und zwar die, an den Schwachstellen des Preises zu feilen. „Schadet die Ablehnung dem Nannen-Preis?“, fragt die Moderatorin nach Leyendeckers Auftritt. Und während der Leiter der Henri-Nannen-Schule Andreas Wolfers pflichtgetreu keinen Schaden feststellt, muss die Antwort heißen: Sicher tut sie das! Was wäre das für ein Preis, wenn sie es nicht täte?! Nur: Sie nützt ihm eben auch. Nicht nur Bayern München liegt am Boden. Nach der Aberkennung des Nannen-Preises für die beste Reportage 2011 ist dies das zweite Jahr in Folge, in dem das Selbstverständnis des „Henri“ infrage gestellt wird. In dem deutlich wird, dass über die Frage, was guten Journalismus und seine Ehrung auszeichnet, neu diskutiert werden muss. Und zwar – und dies sei an dieser schönen Stelle eingeflochten – auch mit Frauen, die nur rund 20 Prozent der Jurys stellten.

Komme ich zum Schluss: Während man im Zusammenhang mit der Frage „Darf man einen Preis ablehnen?“ den Dreien von der Ablehnungsstelle ganz klar schlechtes Benehmen attestieren muss, kindlichen Trotz und Eitelkeit, darf man aber auch feststellen: Sie haben noch eine ganz andere Frage beantwortet. Die, ob die alte 68er-Parole vom Marsch durch die Institutionen noch gültig ist: Ganz auf Anstandslinie, im feinen Anzug, standen die drei SZ-Socken im Jahr 2012 auf der Nannen-Bühne und haben den Kampf gegen Springers „Bild“ fortgeführt. Sie protestierten gegen die Erhebung der „Bild“-Zeitung auf das Tableau seriöser Presseerzeugnisse. Und es ist gut, dass Sie mich, Ihre Moralberaterin, fragen, ob man das darf. Denn ich kann Ihnen aus tiefer moralischer Überlegung heraus sagen: Ja, das darf man.

Silke Burmester schreibt an dieser Stelle als Kolumnistin.

Die freie Journalistin und Dozentin hat jüngst ein Pamphlet gegen die Medienhysterie veröffentlicht: „Beruhigt Euch!“ (Kiwi 2012)

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Illustration: Luis GraÑena

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Kolumne“ auf Seite 73 bis 73 Autor/en: Silke Burmester. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.