Der Politsprech der Journalisten

Wir schimpfen ja nur zu gerne über die politische Klasse. Wir Journalisten. Über ihre Abgehobenheit, ihre Arroganz, ihre Lebensferne, über ihre verschmockte Sprache. Aber einige von uns Journalisten möchten doch auch ein bisschen dazugehören. Zur politischen Klasse. Hauptstädtischen Korrespondenten wird das zum Beispiel gerne nachgesagt. Oder Fernsehmoderatoren.

Der Markt als Mensch

Es gibt freilich ein ganz probates Mittel, diese Wunschnähe zu demonstrieren, ohne sich an die politische Klasse ranzuschleimen. Man muss nur so ein bisschen sprechen wie sie: Spitzenpolitiker aller Couleur reden zum Beispiel gerne von den „Märkten“ oder den „Finanzmärkten“, als wären das Menschen. Individuen. Die Märkte sind nervös, sie haben Angst, sie reagieren hektisch. Und so sagen Journalisten Sätze wie der ZDF-Börsenexperte Franz Zink: „Der Geduldsfaden der Märkte mit Griechenland ist längst gerissen.“ Oder der WDR-Hörfunk lässt uns wissen, dass Jean-Claude Juncker bei der Lobrede auf Wolfgang Schäuble zur Verleihung des Karlspreises gerne Klartext geredet hätte, „aber er weiß, dass die Märkte mithören“.

Bei Wahlen – vor, während und danach – feiert dieses emsige Bemühen um politiknahe Sprache die größten Triumphe. Besonders beliebt ist die Frage, was der jeweilige Politiker denn zu tun gedenke, wenn er das gesteckte Ziel nicht erreicht. Ein treuherziger Blick, ein tiefer Griff in den rhetorischen Setzkasten, dann die Antwort: „Daran denke ich überhaupt nicht. Ich will die Wahl gewinnen.“ Oder: „Wir werden alles dafür tun, damit dies nicht eintritt.“ Auch schön, wenn’s etwas elaborierter sein soll: „Ich verstehe ja Ihr journalistisches Interesse an solchen Szenarien, aber Sie werden verstehen, dass wir uns mit anderen Fragen beschäftigen.“

Wie soll man auch sonst auf manche Journalistenfragen reagieren. So frech und mutig wie die mitunter schließlich sind: „Stecken Sie nicht in einem Dilemma?“, das ist so eine Lieblingsfrage von Berliner Fernsehkorrespondenten. Lieblingsantwort: „Nein.“ Wie schön. So schön wie Ulrich Deppendorfs Frage an den FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler: „Sind Sie nicht ein Vorsitzender auf Abruf?“ Was mag Rösler wohl geantwortet haben? Ziemlich genau das, was Gregor Gysi auf die Frage „Beginnt bei den Linken jetzt der Selbstzerfleischungsprozess?“ einfallen durfte. Das Schönste daran: Man muss nicht weiter zuhören, kann den Ton wegdrehen und die Antwort selbst geben. Das nennt sich interaktives Fernsehen.

Aber es reicht ja durchaus nicht, wenn Journalisten virtuose Stichwortgeber für Politiker sind. Mitunter lassen sie sich auch ganz auf Sprache und Denken der Politik ein.

Auf gleicher Augenhöhe

Gelegentlich funktioniert das ganz gut, etwa als der Sprecher des Auswärtigen Amtes 1997 nach einem Anschlag in Ägypten, bei dem auch deutsche Touristen betroffen waren, erklärte: „Unter den Verletzten des Anschlags befindet sich eine tote Deutsche, die derzeit bereits in Kairo versorgt wird. Sie ist im übrigen leicht verletzt.“ So etwas ist offensichtlich stilbildend, wirkt auch viel später noch nach. Etwa als über zehn Jahre danach eine deutsche Nachrichtensprecherin diesen Satz zustande brachte: „Vor den Philippinen ist eine Fähre mit fast eintausend Menschen an Bord gestorben.“ Damit sind wir dann auf Augenhöhe oder, um es im gängigen Politiker- und Journalistenjargon zu sagen: auf gleicher Augenhöhe. Denn die politische Klasse kann nun mal nicht wissen, dass der Begriff „Augenhöhe“ die Gleichheit nicht nur enthält, sondern begrifflich repräsentiert.

Aber das ist gleichsam schon hohe Schule. Der deutschsprachige Journalist ist erst noch auf dem Weg zum Musterschüler der Politik. Er übt sich vorläufig an Metaphern. Peter Hahne, das Grinsemonster vom ZDF, ist da schon ziemlich weit: „Damit eröffnen Sie natürlich ’ne Flanke, ’ne Achillesferse.“ Öffne nie eine Achillesverse.Du weißt nicht, ob du jemals die Blutung gestillt kriegst.

Im medizinischen Bereich kennt sich auch Caren Miosga von der ARD gut aus, sie sagte: „Der erste Paukenschlag galt einer schon lange kläffenden, hässlichen Wunde, die Obama jetzt endlich schließen will.“ Was macht man, wenn eine Wunde hässlich kläfft? Man schließt sie mit einem Paukenschlag. Großes Kino. Aber sie kann auch Kleinkunst: „Ackermann weiß schließlich, dass die Börse jedes Wort von ihm auf die goldene Waage legt.“ Knapp vorbei ist auch daneben. Die Waage ist nicht golden, sondern es ist eine Waage für Gold. Die besonders fein wiegt.

Wir sehen: Sie sind noch nicht perfekt, aber doch erkennbar auf dem Weg zu Meisterschülern, unsere Damen und Herren Kollegen. Mehr kann man nicht verlangen.

Peter Zudeick ist freier Journalist und politischer Korrespondent für mehrere ARD-Hörfunkprogramme.

p.zudeick@t-online.de

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Tipps“ auf Seite 58 bis 58 Autor/en: Peter Zudeick. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.