Die Sheriffs der Pressestellen

Siemens und Daimler, Telekom und Deutsche Bank, Bayer und Deutsche Bahn – es gibt beinahe kein DAX-Unternehmen, das sich nicht schon einmal des Vorwurfs der Korruption, der Preisabsprache, des Insiderhandels oder anderer illegaler Geschäftspraktiken erwehren musste. Die Konzerne haben darauf reagiert und sogenannte Compliance-Management-Systeme eingeführt. An der Spitze dieser Überwachungsorganisationen steht der Chief Compliance Officer – in aller Regel ein Jurist.

Die die Fäden im Hintergrund ziehen

So weit, so gut. Schließlich geht es nicht nur um die Einhaltung ethischer Grundsätze, sondern ganz wesentlich um Gesetzestreue. Werden also Recht und Regeln verletzt, können auch Unternehmensführer strafrechtlich belangt werden. Das macht den Compliance Officer zu einer mächtigen Figur im Spiel.

Davon abgesehen, dass die Wirklichkeit den hehren Verhaltensgrundsätzen der Unternehmensführung und bisweilen selbst dem Gesetz kaum standhält, wächst mit der übersteigerten Bedeutung der Compliance eine Mammut-Krake in den Unternehmen heran, die mit ihren kräftigen Armen anderen – strategisch nicht minder bedeutenden – Bereichen die Luft zum Atmen nimmt. Und einer dieser Bereiche ist die Kommunikationsabteilung.

Es gibt kaum mehr ein Unternehmen, in dem der Pressechef die brisante Anfrage eines Journalisten noch allein beantworten darf, selbst wenn er ohne Rückfrage die Sachlage erklären oder aufklären könnte. In aller Regel hat der Kommunikationsverantwortliche die Frage an den Compliance-Juristen weiterzuleiten, der ihm dann den verquasten Wortlaut einer Antwort diktiert. Eigene Interpretationen sind zu vermeiden. Versteht der Journalist den Sachverhalt nicht, dann ist das sein Problem.

Längst ist es Übung in Aktiengesellschaften, dass auf Anraten der Compliance Manager Rechtsanwälte die Antwort-Versatzstücke für Fragen auf Pressekonferenzen oder Hauptversammlungen vorformulieren. Der Hinweis, dass Journalisten so nicht fragen, wie man sich das in den realitätsfernen Paragrafen-Stuben vorstellt, verfängt nicht. Juristen schützen mit ihren Formulierungen zunächst sich selbst. Wird eine Aussage in den Medien fehlinterpretiert, weil sich der PR-Chef eine eigenständige Kommentierung erlaubt, verweist der Viertel-Sheriff vom Compliance Management auf seine Diktion – und wäscht sich die Hände in Unschuld.

Es geht nicht um die Frage, ob der juristische Sachverstand bei Vorwürfen über unsaubere Geschäftspraktiken eingeholt werden soll oder nicht. Er muss. Aber die Antworten sind für die Katz, wenn sie von Nichtjuristen nicht nachvollzogen werden können.

An die Leine gelegt

Bleibt das Unverständnis dafür, warum die Kommunikationsleute ihren schleichenden Bedeutungsverlust kampflos hinnehmen. Zum einen fühlen sie sich gefangen im juristischen Gestrüpp, zum andern gibt der Unternehmensführer in dieser Frage eine klare Vorgabe: Den Anweisungen des Compliance-Managers ist strikt Folge zu leisten. Und der Wächter über saubere Geschäfte hat längst eine harmlose Essenseinladung in die gleiche Schublade gesteckt wie die versuchte Bestechung im Morgenland. Auf Kosten Dritter zu Messen oder Vorträgen zu gehen, mag da noch in eigenständiger Entscheidung durchgehen.

Aber wie sieht es mit der Einladung eines Automobilherstellers zur Formel 1 aus, wenn man Pressechef eines Zulieferers ist? Wie mit dem Presserabatt für ein iPad, weil der PR-Manager in der Regel ja auch einen Presseausweis besitzt? Überhaupt: Wie geht man mit ganz gewöhnlichen Terminen um, die gerne im angenehmen Ambiente eines guten Restaurants stattfinden? Da bleibt einem wirklich nichts anderes übrig, als beim Chief Compliance Officer nachzufragen. Und der legt den PR-Manager schnell an die Leine – an die ganz kurze. So erobert er sich auf ganz simple Weise die begehrte Bastion der Kommunikation.

Spätestens dann sollten die Warnlampen aufleuchten. Sobald der Verhaltenshüter sich nämlich anschickt, neben der Restaurantkategorie auch noch die Wortwahl in der Kommunikation vorzuschreiben, sollte ihn der Sprecher in die Schranken weisen: Der Kommunikator formuliert und lässt prüfen. Nicht umgekehrt. Alles andere grenzt an berufsmäßige Kastration.

Eunuchen machen sich gut in einem Harem, gar nicht gut in einer Kommunikationsabteilung. Da gelten sie gemeinhin eher als hinderlich.

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „PR“ auf Seite 68 bis 68 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.