Die weibliche Sicht

Tanja Nissen, freie Wirtschafts-Journalistin und Seminarleiterin

„Es geht darum, die Menschen über wichtige wirtschaftliche Entwicklungen in ihrer Region zu informieren. Ihnen spannende Geschichten zu erzählen. Das funktioniert entweder, indem man eine echte Verbindung herstellt zwischen einem Ereignis oder einer Firma und dem Leser. Oder indem man es menscheln lässt. Hinter jedem Unternehmen verbergen sich zig persönliche Geschichten. Man darf nur nicht müde werden, den Blick dafür zu schulen. Natürlich hilft es auch, etwas vorausschauend zu planen, so dass die Redaktion besser selbst Themen setzen kann und aus dem Pflichttermin die Kür einer eigenen Geschichte werden kann. Die Energiewende z. B. bietet Stoff für viele spannende lokale Beiträge.“

Gabi Pfeiffer, freie Journalistin und Leiterin eines bpb-Modellseminars über „Wirtschaft im Lokalen“:

„Wirtschaft begeistert mich, wenn sie mir etwas erklärt und so mein Wissen über die Welt erweitert. Deshalb wünsche ich mir mehr erklärende Geschichten, mehr historische Linien und Bezüge, mehr Arbeitsleben statt Pressekonferenzen, mehr konträre Positionen. Wirtschaft bewegt mich, wenn Menschen ganz persönlich erzählen und dies mit harten Fakten belegt wird. Wirtschaft mag ich knallhart und knochentrocken, wenn sie nachvollziehbar berichtet und Zusammenhänge deutlich werden. Wenn ein Bank-Manager erklärt, wie das lokale Institut seine Margen berechnet. Wenn der Zahnarzt nicht nur jammert über sein Einkommen, sondern offenlegt, wie viel er woran verdient. Wenn Familien mal rausrücken, wofür sie ihr Geld ausgeben. Wenn Wissenschaftler einen anderen Blick auf Wirtschaft werfen: analytisch, soziologisch, quer denkend.“

Susanne Lob, Seminarleiterin an der Hamburger Akademie für Publizistik:

„Ein Wirtschaftsteil sollte eine klare Perspektive einnehmen: die des Lesers. Er darf sich nicht gemeinmachen mit der Sache der Unternehmen und Lobbyisten. Ich erwarte lokale und relevante Themen, kritische Unternehmensberichterstattung und Blicke über den Tellerrand. Neben klassischen Themen zu Finanzen, Märkten und Unternehmen sollten auch gesellschaftspolitisch relevante Themen wie die Veränderung der Arbeitswelt in der Region oder andere Strukturveränderungen regelmäßig vorkommen. Ein Wirtschaftsteil muss verständlich und lesernah sein. Deshalb müssen Wirtschaftsjournalisten nicht nur recherchieren, informieren und einordnen. Sie müssen auch Übersetzungsarbeit leisten: aus Bilanzen interessante Geschichten herausdestillieren, anstatt Zahlenwerke herunterzubeten.“

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 55 bis 55. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.