„Keine Spielverderber“

Herr Ott, Hans Leyendecker hat den Nannen-Preis für die SZ abgelehnt, weil es „ein Stückchen ein Kulturbruch“ sei, dass „Bild“ ebenfalls ausgezeichnet wurde. Was war für Sie ausschlaggebend für Ihre Ablehnung?

Klaus Ott: Ausschlaggebend ist, dass wir uns mit unserem Anspruch bei der „Süddeutschen Zeitung“ nicht auf eine Stufe mit „Bild“ begeben. Es kommt bei „Bild“ immer wieder zur Überschreitung journalistischer Grenzen, die nicht nur unserer Ansicht nach von den Medien eingehalten werden sollten. Ich will als besonders drastisches Beispiel nur den Fall Ottfried Fischer* nennen. Unabhängig davon, ob die Justiz die Recherche in diesem Fall als Nötigung bezeichnet oder nicht: Wie da recherchiert wurde – „Bild“ hat sich ein Sexvideo besorgt – und was da veröffentlicht wurde, war einfach nur ekelhaft.

Der Verleihung am 11. Mai gingen fast zwei Monate voraus, in denen die SZ bereits mit „Bild“ und „Spiegel“ öffentlich auf der Shortlist stand. Das war ja auch bereits eine Gleichstellung. Warum haben Sie nicht schon da reagiert und die Bewerbung zurückgezogen?

Wenn wir in dieser Phase gesagt hätten, wir ziehen unsere Bewerbung zurück, dann hätte das merkwürdig ausgesehen. So als wollten wir als Bewerber der Jury vorschreiben, was sie tun darf und was nicht. Wir wussten ja nicht, wie die Jury entscheiden würde.

Aber warum haben Sie sich überhaupt beworben, da Sie ja damit rechnen mussten, dass „Bild“ die Wulff-Geschichte ebenfalls für den Nannen-Preis einreichen würde – und dass das keineswegs auf einhellige Ablehnung in der Jury stoßen würde?

Wären wir erst gar nicht angetreten, weil damit zu rechnen war, dass „Bild“ sich mit der Wulff-Geschichte ebenfalls bewerben würde, dann hieße das doch, dass wir vor „Bild“ kapitulieren. Das tun wir bestimmt nicht.

Wann haben Sie festgelegt, dass Sie den Preis ablehnen wollen?

In dem Augenblick, in dem wir gerüchteweise hörten, dass wir gemeinsam mit „Bild“ ausgezeichnet werden sollten – das war für uns bis dahin unvorstellbar gewesen.

Und wann haben Sie das erfahren?

Kurioserweise war ich noch an jenem Vormittag bei einem Prozess in München dabei – die Erben von Leo Kirch gegen die Deutsche Bank –, wo auch Friede Springer als Zeugin aufgetreten ist. Nach ihrer Zeugenaussage hörte ich von der angeblichen Jury-Entscheidung und besprach vom Zug aus per Handy mit meinen beiden Kollegen, die in anderen Zügen unterwegs waren, wie wir uns in solch einem Fall verhalten würden.

War die Begründung, die Hans Leyendecker auf der Bühne formuliert hat, mit Ihnen abgesprochen?

Wir hatten im Vorfeld kurz besprochen, wie wir eine Nichtannahme des Preises erklären würden. Ich finde, dass Hans Leyendecker das sehr gut und auch sehr diplomatisch gemacht hat. Wir haben uns hinterher überlegt, dass wir zur Begründung vielleicht noch einen oder zwei Sätze mehr hätten sagen sollen, aber man muss sich auch die Situation vorstellen: Man steht auf der Bühne vor 1.200 Leuten und weiß, dass das, was man jetzt macht, sicher nicht der Feier und der Stimmung förderlich ist. Man will seine Haltung zum Ausdruck bringen, aber nicht der große Spielverderber sein und auch nicht arrogant auftreten. Das ist immer schwierig. Ich finde, dass wir das ganz ordentlich über die Bühne gebracht haben.

Leyendecker sagte auch, dass sich die Ablehnung des Preises nicht gegen die „Bild“-Kollegen richte. Wie kann man das denn trennen?

Wir sitzen hier nicht zu Gericht über die beiden Kollegen der „Bild“-Zeitung – das steht uns anlässlich der Wulff-Berichterstattung auch überhaupt nicht an. Andererseits kann man – im Gegensatz zu dem, was Helmut Markwort im Namen der Jury vorgetragen hat – die Berichterstattung eben nicht trennen vom Medium, in dem sie erscheint. So eine Veröffentlichung erscheint nicht im luftleeren Raum. Wir wollten uns deshalb nicht mit „Bild“ auf eine Ebene begeben, weil „Bild“ immer wieder bei der Recherche und bei der Berichterstattung Methoden anwendet, die unserer Ansicht nach eben nicht zum journalistischen Handwerk gehören.

Die SZ wiederum hat am 2. Januar Christian Wulffs Anruf auf Kai Diekmanns Mailbox groß veröffentlicht. Wie stehen Sie dazu?

Natürlich gibt es auch bei uns Fälle, bei denen wir diskutieren, ob wir alles richtig gemacht haben. Da gibt es immer wieder unterschiedliche Ansichten bei uns im Hause. Der Diskurs gehört zum Journalismus. Der Unterschied zu „Bild“ ist aber, dass „Bild“ systematisch immer wieder Grenzen verletzt und dann pure Heuchelei betreibt, wenn zum Beispiel Chefredakteur Kai Diekmann dem damaligen Papst Johannes Paul II. eine „Volksbibel“ überreicht. Wer die Ehre anderer Menschen verletzt, kann nicht mit dem christlichen Glauben hausieren gehen.

Andere befürworten die Auszeichnung für „Bild“ auch als Signal, dass sich eine beispielhaft gute Leistung positiv auf die weitere Entwicklung des Boulevardmediums auswirke.

Diese Sicht der Dinge halte ich für ziemlich naiv. Man muss sich nur die Berichterstattung der vergangenen Wochen anschauen – siehe der Fall Emden. Ich kann nicht erkennen, dass „Bild“ sich auf einem Weg der Besserung befindet, was journalistische Grenzüberschreitungen und populistische Veröffentlichungen, etwa im Fall Griechenland, anbelangt. Ich glaube, dass das Ergebnis eher umgekehrt ausfällt: Dass „Bild“ mit Hilfe dieses Preises weitere gesellschaftliche Anerkennung suggeriert; dass die Diskussion über „Bild“-Methoden auf diese Weise noch weiter verdrängt wird, zum Schaden des Journalismus. Und dass unterm Strich diese Fehlentwicklung sogar noch begünstigt wird. „Bild“ hat sich mit diesem Preis am nächsten Tag auch gleich auf Seite eins gefeiert.

Sie kritisieren „Bild“ für ihre Recherche-Methoden. Was sind denn Ihre Kriterien für saubere und faire investigative Recherchen?

Am besten bringt man da immer Beispiele – da können wir auf unsere Recherchen in der Formel-1-Affäre verweisen. Wir haben über Wochen und Monate hinweg recherchiert, ob frühere Vorstandsmitglieder der Bayerischen Landesbank heimlich Zuwendungen für den Kauf der österreichischen „Hypo Alpe Adria“-Bank bekommen hatten – diesen Verdacht hatte die Staatsanwaltschaft und ist selbst nicht fündig geworden. Wir dagegen fanden beim damaligen BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky einen nicht erklärbaren Vermögenszufluss in Höhe von 50 Millionen Dollar. Nachdem wir diesen Sachverhalt hart recherchiert hatten, haben wir Gribkowsky natürlich damit konfrontiert und immer wieder Fragen nachgereicht. Zwischen unserem ersten Gespräch am Telefon mit Gribkowsky und der Veröffentlichung lagen zehn Tage, in denen wir weiter recherchiert und seine ersten Erklärungen geprüft haben, wobei wir zum Ergebnis kamen, dass diese Erklärungen nicht schlüssig waren.

Dabei haben wir immer wieder zu dritt die Frage diskutiert: Was passiert, wenn an dem Verdacht, dieser Vermögenszufluss könnte unrechtmäßig gewesen sein, nichts dran ist – dann würden wir ihm ja massiv schaden. Wir haben immer wieder gezweifelt und uns gefragt: Ist das überhaupt eine Geschichte? Erst nachdem wir das Ganze absolut sorgfältig ausrecherchiert hatten und die letzten Zweifel durch weitere Recherchen beseitigt waren, erst dann haben wir es veröffentlicht. Genau so muss es ablaufen, damit wir nicht Gefahr laufen, jemandem Unrecht zu tun, der dann für sein ganzes Leben gebrandmarkt wäre – und wir dann zu Recht nicht mehr ruhig schlafen könnten.

Was halten Sie von der Bildung spezieller Investigativressorts?

Das ist ein großer Fortschritt. Je mehr Zeitungen und andere
Medien dazu übergehen, desto besser – auch wenn es natürlich für unser kleines Team bei der SZ noch mehr Konkurrenz bedeutet und unsere Aussichten auf weitere exklusive Investigativgeschichten weiter schmälert. Wir sind ja nur drei Leute und können nicht dauernd große Bäume ausreißen. Ich hoffe, dass noch mehr Zeitungen und Fernsehanstalten dazu übergehen, damit möglichst viele Kollegen auch einmal länger an einem Thema dranbleiben können und nicht jeden Tag auf Teufel komm raus soundso viele Geschichten produzieren müssen, damit das Blatt am nächsten Tag voll ist.

Medium:Online

Das Interview mit Klaus Ott ist eine gekürzte Fassung eines zweiteiligen Gesprächs, dokumentiert auf www.mediummagazin.de. Darin äußerst er sich detailliert zu seinen Arbeitsmethoden und zur Zukunft des Nannen-Preises.

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 14 bis 14 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.